Endlich ist es so weit: Das Jahr kommt zum Schluss und wir können alle zuhause bleiben, statt zur Arbeit gehen zu müssen! Man hat sich diesen letzten Hafen Sicherheit zwischen Weihnachten und Neujahr aber auch redlich verdient, wenn man bedenkt, womit sich die Welt in letzter Zeit zu beschäftigen hatte. Da sind kühle Köpfe gefragter denn je und müssen Kraftakte leisten, während sich alle anderen gegenseitig niederstrecken und der Großteil der Bevölkerung nur zusehen oder weglaufen kann. Grimmige Zeiten stehen an, so erreiche uns also bitte schnell, du alles umfassende Decke aus Schnee, unter welcher der Winterschlaf vollzogen werden kann. Vielleicht tut manch einem die Ausnüchterung ganz gut – bis dahin setzt es allerdings Glühwein an, als ob das Hin und Her der Stimmungen nicht schon genug wäre. Wie soll man nicht irre werden, wenn der Druck von innen sowie außen forciert wird und gleichzeitig den Schutzmantel der Entspannung vorspielen muss? Es bleibt einem nichts anderes übrig in der Natur des Menschen. Das Leben muss ja weitergehen.

Die Filme im Dezember

Genauso schwierig gestaltet sich der Balanceakt von Eskapismus und Realitycheck auf der Leinwand. Alle rennen bezeichnenderweise jetzt schon mit Millionen Vorverkaufstickets dem Sternenkrieg hinterher, während unser Erdenkrieg tagtäglich Schlagzeilen und Ängste schürt. Life imitates art und andersherum, die Reflexion dessen mag also mehr oder weniger bewusst im Erleben von Fantasien und Wahrheiten geschehen. Zumindest wird man nicht alleine gelassen mit dem, was Globus, Herz und Hirn bewegt – im Angesicht innerer Dunkelheit darf man sich also in der Dunkelheit des Kinosaals geborgen fühlen. Liebe, Trauer, Spaß und Ärger lassen sich in üppiger Varianz verinnerlichen, sobald Schnee fällt oder auch nicht, wer kann die Zukunft schon genau bestimmen? Nur der Mensch an sich. Unsere fünf nach Kinostart sortierten Empfehlungen würden dementsprechend gerne helfen, den Weg zu weisen, wie sich die Angst vor der Angst nicht nur in der Flucht zur Reinheit des Schnees, sondern zusammen bewältigen lässt.

The Duke of Burgundy

Kinostart: 3. Dezember. Regie: Peter Strickland.

Szene aus „The Duke of Burgundy“ © Salzgeber & Co. Medien GmbH

Szene aus „The Duke of Burgundy“ © Salzgeber & Co. Medien GmbH

Die Wahrheit zähmt Peter Strickland nicht in softerotischer Sexploitation, obwohl er sich à la Jess Franco der Ästhetik europäischer Trashfilme aus den späten sechziger und frühen siebziger Jahren bedient; sogar bis hin zu einer Erwähnung im Vorspann, dass ein Parfüm namens Je Suis Gizella für den Film kreiert worden wäre. Es ist nichts weiter als ein roter Hering, der Richard Quines frivole Komödie „Zusammen in Paris“ übersteigert, in der sich Audrey Hepburn 1964 mit dem Duft und der Garderobe von Givenchy eindeckte. Doch Je Suis Gizella existiert nicht, ist gar eine Täuschung wie der Herzog von Burgund selbst. Denn bei dem wahren Herzog handelt es sich um den einzigen Vertreter des Würfelfalters in Europa: ein Insekt in Zimt- bis Schwarzbraun mit gelben und weißen Flecken. Vor allem aber neigt die Art zu Mimikry; sie imitiert, um zu täuschen. Wie der fiktive Duft Je Suis Gizella. Nichts anderes ist daher auch „The Duke of Burgundy“, Stricklands dritter Spielfilm nach „Katalin Varga“ und „Berberian Sound Studio“: eine streng halluzinatorische, olfaktorische Fiktion, die sich über die Sinne in den Geist tanzt.

Der Perlmuttknopf

Kinostart: 10. Dezember. Regie: Patricio Guzmán.

Szene aus „Der Perlmuttknopf“ © Real Fiction

Szene aus „Der Perlmuttknopf“ © Real Fiction

Durch seine Distanz, die spirituelle Verknüpfung zum Wasser und den weiten geschichtlichen Bogen, den Patricio Guzmán zu schlagen gewillt ist, prozessiert „Der Perlmuttknopf“ nichts, sondern rekonstruiert und lässt verstehen. Ähnlich wie die Ureinwohner selbst, die weder für „Gott“ noch für „Polizei“ ein Wort in ihrer Sprache Kawesqar haben, werden zwar der Patriotismus und die Abscheu deutlich, doch ist es immer noch ein dokumentarisches Essay, ohne Gerichtsbarkeit. Kameramann Katell Djian, hoch über Chile fliegend, aus dem All die Küste und das Meer beobachtend, lässt den philosophischen Kontext auch zu einer philosophischen, beinahe transzendenten Reise werden. Er beobachtet nur, während Guzmán erklärt, zeigt Djian mal einfühlsam, mal distanziert, welch Schönheit selbst hinter jeder Bösartigkeit liegen kann. Am Ende gibt es nur noch zwanzig Nachfahren der Indigénas, von zuvor Abertausenden. So vergänglich das Leben der Menschen ist, so versucht Patricio Guzmán die Geschichte der Unendlichkeit des Wassers anzupassen: Wasser vergeht nicht, es kommt wieder, ist in Bewegung, lebt und erzählt.

Carol

Kinostart: 17. Dezember. Regie: Todd Haynes.

Szene aus „Carol“ © DCM Film Distribution GmbH

Szene aus „Carol“ © DCM Film Distribution GmbH

Es ist ein leiser, sonnenkitzelnder Film, der ruht und innerlich doch tobt, der leidet, klammheimlich, hinter wisperndem Dekor, das sich an uns presst wie Seidenpapier. Währenddessen streut Edward Lachman purpurrote Nuancen auf seine Bilder, und ein elliptisches Kaminfeuer zürnt zwischen zwei Frauen, die ihre bisherigen Beziehungen zu Männern einstellen, damit sie fühlen, was die konservative Gesellschaft der fünfziger Jahre ihnen zu fühlen verwehrt: Liebe. Carol, eine Upper-Class-Femme-fatale im suburbanen New Jersey, deren Leben als Hausfrau um ihre Tochter kreist; Therese, eine aspirierende Fotografin zwischen New Yorks Wolkenkratzern, die nicht einmal weiß, was sie zu Mittag essen soll: Ihre Welten kollidieren, obgleich sie unterschiedlichen Strukturen folgen. Haynes näht daraus eine Mise en Scène, in der zwei Arten der Liebe existieren: die Liebe als Puppe; seelenlos, hölzern, determiniert – und die Liebe als Eisenbahn; warm, frei, zirkulierend. „Carol“ nimmt sich beider an, doch ist sich sicher, welche die richtige ist.

Die Melodie des Meeres

Kinostart: 24. Dezember. Regie: Tomm Moore.

Szene aus „Die Melodie des Meeres“ © KSM/24 Bilder

Szene aus „Die Melodie des Meeres“ © KSM/24 Bilder

Mit „Die Melodie des Meeres“ will Tomm Moore die irische Kultur ähnlich stilvoll einfangen wie Hayao Miyazaki die japanische in seinen Filmen. Und es gelingt ihm ausgezeichnet. Auch wem der kulturelle Hintergrund unbekannt ist, wird an ihn mit angenehmer Leichtigkeit herangeführt – über eine Geschichte, die herzerweichend ist. Vor allem aber entwirft Moore mit Saoirse einen ebenso süßen wie spannenden Charakter, der den Film auf unnachahmliche Art und Weise trägt. Leider sind nicht alle Figuren so gut ausgearbeitet. Denn immer wieder tauchen Charaktere auf, die für ein wenig Comic Relief sorgen sollen, aber den Film schleppend und uninspiriert werden lassen. Mehr Negatives gibt es im Übrigen nicht zu berichten – „Die Melodie des Meeres“ wird schließlich nicht umsonst weltweit in den höchsten Tönen gelobt. Allein das dramatische Finale und die wunderschöne Musik machen den Film mehr als nur sehenswert. Junge Filmemacher wie Moore sind ein wunderbares Zeichen dafür, dass diese Trickfilmkunst niemals aussterben wird.

Kirschblüten und rote Bohnen

Kinostart: 31. Dezember. Regie: Naomi Kawase.

Szene aus „Kirschblüten und rote Bohnen“ © NEUE VISIONEN Filmverleih GmbH

Szene aus „Kirschblüten und rote Bohnen“ © NEUE VISIONEN Filmverleih GmbH

Wie wird etwas wahrhaft süß? Nicht nur oberflächlich, sondern in seiner Essenz? Beim Kochen ist es wie im Film, denn beides ist Kunst: Die richtige Zubereitung, mit Gefühl und ohne künstliche Zusatzstoffe, macht den Geschmack aus. Naomi Kawase verinnerlicht diesen Gedanken in ihrem neuen Werk über „Kirschblüten und rote Bohnen“. Vielleicht hat sie dafür noch nicht die perfekte Rezeptur gefunden, da sie offensichtliche Symbole und eine überflüssige Musikuntermalung gebraucht, jene Elemente aber ebenso auf ein Minimum staucht. Schließlich gilt wie bei ihrem Vorgänger „Still the Water“ Naturverbundenheit, die sie nun in einen ruhigen Stadtteil verlegt. Alles ist unaufgeregt, still, aber im Alltag verwurzelt. Die Grundlage normierter Menschlichkeit gibt sich Dialogen fern bemühter Drehbuchsprache hin, die Handlung verläuft simpel wie unsentimental. Die Demut Kawases vor ihren Figuren ist keine Schwäche, da sich auch diese in Demut üben – für ein Verständnis, das sich nicht durch künstlerische Selbstbestätigung aufbauschen muss.

Weitere Starts im Dezember

Ebenso in den hiesigen Lichtspielhäusern laufen an: „Im Herzen der See“, „Krampus“, „Im Rausch der Sterne“, „The Perfect Guy“ und „Schöne Jugend“ am 3. Dezember; „By the Sea“, „Dämonen und Wunder – Dheepan“, „Heidi“, „Knock Knock“ und „Mistress America“ am 10.; „Hilfe, ich hab meine Lehrerin geschrumpft“, „Star Wars: Episode VII – Das Erwachen der Macht“ und „Unsere kleine Schwester“ am 17. Dezember; „Die Peanuts – Der Film“ am 23., „Mr. Holmes“ am 24.; „Jane Got a Gun“, „Joy – Alles außer gewöhnlich“, „Remember“ und „Die Vorsehung“ am 31. Dezember.

Für alle, die sich ihre Hintern lieber oder vorrangig auf der heimischen Couch platt drücken, gibt es: „Antboy – Die Rache der Red Fury“ und „Big Game“ ab 1., „Ant-Man“, „Die Lügen der Sieger“, „Liebe auf den ersten Schlag“, „Magic Mike XXL“, „Margos Spuren“, „Pixels“ und „Slow West“ ab 3. Dezember, „Gefühlt Mitte Zwanzig“ und „Men & Chicken“ (Pro & Contra) ab 4., „Big Business“ und „Fantastic Four“ ab 10., „Codename: U.N.C.L.E.“, „Horns“ und „Mission: Impossible – Rogue Nation“ ab 17. sowie „We Are Your Friends“ ab 24. Dezember.

Meinungen

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Kinostart: 14.09.2017

Mr. Long

In seiner neunten Berlinale-Teilnahme schickt Sabu Rindersuppen in den Wettbewerb.

Kinostart: 27.07.2017

Django

Étienne Comars Debüt eröffnet mit einem Porträt über Django Reinhardt die 67. Berlinale.

Kinostart: 06.04.2017

Tiger Girl

Jakob Lass’ dritter Langfilm zeigt erneut befreites, deutsches Kino basierend auf einem Skelettbuch.

Kinostart: 09.03.2017

Wilde Maus

Josef Haders Debüt als Regisseur ist ein harmloser Film über Kommunikation und Schnee.

Mr. Long

Sabu, Japan (2017)

Zerbrochene Leben und einstürzende Neubauten: In seiner neunten Berlinale-Teilnahme schickt Sabu Rindersuppen in den Wettbewerb.

Wilde Maus

Josef Hader, Österreich (2017)

Selbstmord durch gefrorenes Wasser: Josef Haders Debüt als Regisseur ist ein harmloser Film über Kommunikation und Schnee.

Occidental

Neïl Beloufa, Frankreich (2017)

Italiener trinken keine Cola! Neïl Beloufa verzettelt sich in seinem chaotisch-absurden Kammerspiel-Debüt.

Tiger Girl

Jakob Lass, Deutschland (2017)

Freiheit durch Reduktion: Jakob Lass’ dritter Langfilm zeigt erneut befreites, deutsches Kino basierend auf einem Skelettbuch.