Atom Egoyan hat wieder zugeschlagen! Nicht, dass sein neuester Streich „Remember“ an bessere Werke vor „Devil’s Knot“ und „The Captive“ erinnert – doch in diesem Fall versteht er es zumindest, sich seinem Sujet mit Kurzweil zu nähern, obwohl die Strenge der Konvention Stil vermissen lässt. Die Filmerfahrung definiert sich hier schlicht durch ihre Story, weniger durch die oberflächlich gezeichneten Gefühle ihrer Charaktere. Allerdings erweckt das Schauspiel zumindest noch Verständnis, während andere Einflüsse von einem karikaturenhaften Weltverständnis zeugen. Wie eine spartanische Variante filmischer Erinnerungspuzzles à la „Memento“ begibt sich der demente Holocaustüberlebende Zev (Christopher Plummer) mithilfe seines Leidensgenossen Max (Martin Landau) vom Pflegeheim auf die landesweite Suche nach ihrem ehemaligen Peiniger in Auschwitz, der nun unter dem falschen Namen Rudy Kurlander in Nordamerika lebt. Auf den jeweiligen Reisen setzt Zevs Gedächtnis allerdings nach jeder Runde Schlaf auf Anfang und muss durch einen erklärenden Brief erinnert werden, auf welcher Mission er sich befindet.
Hilfe findet er dabei in drolligen Kindern, deren Bilderbucheltern, Ladenverkäufern und Wachmännern, die nicht weiter nachfragen, warum ein alter Mann eine Glock 17 mit sich führt. Dennoch packt ihn stets die Angst, wenn er sich in immerzu neuen Umgebungen befindet und seiner Frau nachtrauert, deren Tod ihn immer wieder erneut übermannt. Nun könnte Egoyan das introspektive Potenzial dieser wiederholenden emotionalen Belastungen mit stiller Beobachtung wirken lassen, doch der permanente Einsatz von Mychael Dannas nervösem Score eliminiert das Gefühl zugunsten einer vollkommenen Eindeutigkeit. Im Kontrast dazu steht die streitbare Darstellung von Zevs Tollpatschigkeit, die hilflos durch Baumärkte, Hotels und schließlich die Eigenheime der teils vermeintlichen Altnazis führt. Letzteren begegnet er ohnehin mit einer Härte, die (scheinbar) aus dem Nichts kommt – doch Egoyan hält sich noch im Rahmen der Glaubwürdigkeit, was angesichts der offenbar spärlichen Drehbedingungen ein respektables, wenn auch repetitives Narrativ erschafft. Erst, als es Richtung Dean Norris als Sohn einer der Kurlanders geht, stülpt Egoyan seinen Rätselspaß um Identität und Schuld zu einem Wahn des Overacting um, an dem jeder Ansatz einer packenden Erzählung verloren geht, das Abenteuer jedoch erst richtig beginnt.
Vorbei ist dann die Hoffnung auf eine Rückkehr des Meisters hinter „Sweet Hereafter“, jetzt gilt es, Übertreibungen ins Amüsante abzuwarten – und die kommen erst recht zum Vorschein, als Jürgen Prochnow mit Glatze die ganze Wahrheit enthüllt. Jenes Finale muss man in seinem fehlgeleiteten Verständnis für schockierende Offenbarungen erlebt haben, so erschüttert fasst es die wohl dümmste Wendungsoption als Zusammenbruch eines Lebens auf, das in der erlebten Laufzeit lediglich als Ventil eines senilen Krimi-Roadtrips gebraucht wird. Ansonsten stellt „Remember“ plump, aber nicht uninteressant Fragen über das wahre Ich, Schuld und Rache, Verhältnisse zwischen Opfern und Tätern, und wie sich die Gegenwart ein Abbild der Vergangenheit bildet. Nicht, dass Egoyan diese Aspekte subtil oder einprägsam auflösen könnte – doch er nimmt seine Inszenierung zumindest so einfach, wie es das Drehbuch von Benjamin August hergibt. Damit ist auch eine stets künstliche Aufregung verbunden, die der innewohnenden Taktlosigkeit des Ganzen hilft und dessen Trivialität herausstellt. Aber das ist immer noch besser als ein trockener Teufelsknochen oder die umständlich zerwürfelte Eintönigkeit einer spurlos Verschwundenen, die Egoyan zuvor versuchte. Lange wird man sich aber so oder so nicht daran erinnern.
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