Warum ist es inzwischen zur Regel geworden, dass Filme mit dem Wort „Captive“ im Titel den Zuschauer ebenso wie eine Geisel behandeln? Atom Egoyan schubste schon mit „The Captive“ herum, nun ist Jerry Jameson mit einer noch unverschämteren Gefangennahme an der Reihe. Seit den siebziger Jahren hauptsächlich für Fernsehserien aktiv und in seinen zweifelhaften Höhepunkten Hauptverantwortlicher für Grenzfälle wie „Hebt die Titanic“ und „Bat People – Die Blutsauger“ spult der achtzigjährige Veteran ein Prozedere ab, das in seiner Blässe zur Schlaftablette verkommt. Zunächst sei bemerkt, dass der hier geschilderte Fall auf einer wahren Geschichte basiert – folglich wird man jenem Stichwort eines austauschbaren Fernsehdramas gerecht und genauso kostengünstig wie frei jeder stilistischen Handschrift inszeniert. Das bedeutet reichlich wahllose Handkameragestik und musikalische Einheitsflächen, die stilecht zum gedämpften PG-13-Ton beitragen.

Die Ausgangssituation klingt ebenso nach Standardware, könnte unter anderen Umständen aber für neue Sichtweisen sorgen, wenn diese nicht auf die peinlichste Konsequenz der Anbiederung treffen würden. Mittelstandsmutti Ashley Smith (Kate Mara, „Fantastic Four“) will ihrer Tochter ein neues Zuhause bieten, hat aber gegenwärtig noch mit Crystal Meth zu hadern. Ihre Betreuerin empfehlt ihr demnach einen christlich angehauchten Motivationswälzer namens „The Purpose Driven Life“ von Pastor Rick Warren. Währenddessen bricht allerdings der verurteilte Vergewaltiger und Mörder Brian Nichols (David Oyelowo, „Selma“) aus und verschafft sich nach einer längeren Flucht Zugang zu ihrem Haus. Nun ist sie seine Gefangene und in Todesangst, während er die urbane Gefahr schlechthin ausstrahlt und ihre Drogen nimmt, um einige klischeehafte Verhaltensweisen von Zugedröhnten darzustellen. Doch um diesen Film nicht zu einem kompletten „Angst vor dem schwarzen Mann“-Albtraumszenario für das konservative Amerika zu gestalten, will Brian einfach nur seinen neugeborenen Sohn sehen und Buße tun, sobald er Ashley erlaubt, ihm aus ihrem Buch vorzulesen, dem er per Überblendungsmontage verfällt.

Auch sie kann in dieser Extremsituation wohlgemerkt zu einem besseren Menschen werden, denn Verantwortung und Vergebung will sich der Film gerne einverleiben, obwohl er sich hauptsächlich mit dem Terror von Geiselnahme und Entführung beschäftigt. In seiner kalkulierbaren Charakterzeichnung und überkorrekten Darstellung des Geschehens stemmt er nichts Außergewöhnliches, aber auch nichts allzu Fehlerhaftes – wie Mara und Oyelowo in ihrem naturalistischem Spiel zu einem biederen Drehbuch. Das Problem ist nur, dass sich „Captive“ brav an Vorgaben hält und die Überraschungsfreiheit seines Genres lanciert, sodass nicht nur Tempo obsolet wird. Die Entbehrlichkeit des Stoffes mag vielleicht durch die humanistische Botschaft umgekehrt werden, doch basiert auch diese auf Binsenweisheiten, die nur einen leichtgläubigen Geist überzeugen könnten oder, wie in diesem Fall, Gebrochene im Drogenrausch. Wenn der Film in jener Lethargie des nüchternen Dokudramas verbleiben würde, könnte man ihn immerhin als unscheinbaren Langweiler abhaken.

Das wahre Verbrechen am Zuschauer lauert jedoch im Abspann, der Gospelmusik aufdrückt und nicht bloß Fotos und Texttafeln zu Tätern und Opfern der wahren Begebenheit aufbietet. In seiner Aufdringlichkeit präsentiert er nämlich zudem ein Interview mit der echten Ashley Smith in der „Oprah Winfrey Show“, wo einem die Power von Gott und Jesus so explizit eingehämmert wird, dass sogar der Autor von „The Purpose Driven Life“ zur Untermauerung seiner Thesen ins Studio geholt werden muss! Oh „Captive“, sei doch wenigstens deinem Zuschauer gegenüber gnädig, wenn du um Vergebung bittest. Zuerst lässt du ihn mit deinem glattgebügelten Einheitslook fern jeder Atmosphäre und Spannung fast einschlafen – und danach willst du ihm auch noch mit großen Gesten ein blödes Buch verkaufen. Gut, dass man genauso stark wie Ashley sein und diese Gefangenschaft früher als nötig verlassen kann.

Meinungen

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