Zwischen Wissen und Wissenschaft porträtiert David Cronenberg den Albtraum aus Fleisch und Blut mit Gift und Galle. Zeit, ihm in einer Retrospektive zu huldigen! Des Parasiten neunter Schlag mit „Spider“.

Kein Ekel, sondern Gift. Immerzu. Unsichtbar, maliziös, eifersüchtig. Als ob es von einem fremden Planeten käme. Es schießt in die Augen, in den Sinn. Und Dennis Cleg ist unfähig, ihm zu entgehen – er ist unfähig, einen normalen Gedanken zu fassen, der nicht über seine Vergangenheit spekuliert. Selbst Peter Suschitzky muss diesen Mann in seinen Bildern erst finden. Also wartet er an einem Bahnhof: auf einen Zug, auf seine Insassen, auf ihren Gang zurück ins Leben. Peter Suschitzky wartet, bis er Auguste und Louis Lumière zitiert. Dann wachen seine Bilder auf und heften sich an diesen Mann; unfähig zur Sprache, unfähig zu sehen, dass seine Realität eine Halluzination ist. Sogar unfähig, ein Puzzle zu vollenden. Ebenso heftet sich David Cronenberg an ihn, indem er ihm ein neues, anderes, bösartigeres Gift in die Venen pumpt: das Gift der Erkenntnis. Zunächst ist unklar, warum gerade dieses Gift die bisherige doppelbödige Manie Cronenbergs und dessen Körperhorror ablösen sollte. Vielleicht sogar ist es ihm selbst nicht bewusst. Die Erkenntnis Dennis’ meint gleichsam die Erkenntnis Davids: Ekel gibt es nicht mehr – nur noch Gift. Und jenes Gift ist in „Spider“ Grund für eine Ballade, die sich in ödipaler Hilflosigkeit ergeht.

In diesem Film reibt sich alles wund: die Haut, das Denken, der Schrebergarten. Es fängt an in einem Wohnheim, das zugleich eine Pension der Paranoiden ist; beherrscht von einer Frau, die den Stunk ihrer Gäste wie ein psychotisches Festmahl goutiert. Dennis stolpert in jenes Auffangbecken am Rande Londons. Und womöglich würden seine Marotten amüsieren, trage sie nicht Ralph Fiennes zur Schau – als Nägel, welche die Vergangenheit zur Oxidation zwang. Hemd um Hemd trägt er am dürren Körper, Erinnerung um Erinnerung schleppt er mit sich. Doch einer Schicht mangelt es an Wahrheit, obwohl Dennis seiner kindlichen Ägide über den Rücken späht. Der Positionswechsel ändert nichts, das Auge sieht noch immer eine Inszenierung des Geistes. Auch dies ist ein böser Kniff, über den der Zuschauer stürzt: Vielleicht täuscht David Cronenberg vor, es gebe Transparenz, wo sich höchstens Doppelgänger im Spiegel krümmen? Vielleicht folgen Peter Suschitzkys Bilder einer Ordnung, nur keiner offensichtlichen? „Spider“ wagt keine fantastische Banalität, sondern eine Konstruktion, die halbe Antworten liefert. Und jene halben Antworten sind es, die das Melodram übertünchen und sagen: Dennis Clegs Unfähigkeit, sich zu artikulieren, ist ebenso David Cronenbergs Unfähigkeit, sich zu artikulieren.

Meinungen

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