Ist es nur ein Trick, ein Gimmick, das wir gar nicht brauchen? Dauernd fragt dies jene entführte Tochter von Matthew (Ryan Reynolds) in der Aufrechterhaltung seiner damaligen Meinung zu ihrer Eiskunstlauf-Technik, da sie sich in Gefangenschaft nach einer Vergangenheit sehnt, deren Fortschritt sie jäh entrissen wurde. Doch genauso könnte die Frage als Appell an Regisseur und Koautor Atom Egoyan gelten, der mit The Captive“ einen standardisierten Kidnapping-Thriller belang- und wahllos in seinen Zeitebenen verschiebt, um womöglich eine Spirale der Verzweiflung darzustellen, ohne jedoch die hölzerne Plakativität seiner Charaktere zu kaschieren. Stattdessen erlebt man gleich von Anfang an den mit dem Holzhammer aufgespielten Pädophilen und Kinderentführer Mika (Kevin Durand), wie er in seiner mondänen Designer-Bude umherschlendert und mit aufgegeilt-offenem Mund unter dem Mantel seines spleenigen Lebensstils den Wolf im Schafpelz repräsentiert.

Dann gibt es aber auch noch in loser Reihenfolge den stürmischen Detektiv Jeffrey (Scott Speedman), die gewissenhafte Ermittlerin Nicole (Rosario Dawson) und zuguterletzt auch noch die hysterische Mutter der kleinen entführten Cass, Tina (Mireille Enos). Dass man für diese Figuren allerdings etwas empfindet, vermeidet Egoyan geschickt dadurch, dass er sie – verbunden mit den Zeitsprüngen – schlicht ohne kognitiven Aufbau einer Persönlichkeit und jenseits der funktionalen Schablone in eine Extremsituation schleudert und alle zum machtlosen Opfer dieser macht. Das Gefühl der Hoffnungslosigkeit zu vermitteln, ist natürlich ein klares und nachvollziehbares Ziel, doch in dieser Konstellation kommt schlicht nichts voran im Narrativ, welches stattdessen in blassen Schneelandschaften, trübseligen Mychael-Danna-Streichern und einer höchst spekulativen und klischeebeladenen Darstellung eines kriminellen Netzes stagniert.

Dies alles wird in Einzelabschnitten zugegebenermaßen mit einem souveränen Stil und genügsam lebhaften Darstellerleistungen im wutentbrannten Dialog aufgearbeitet; doch unter den Rahmenbedingungen des Gesamtgefüges kann selbst der sichtlich ambitionierte Ryan Reynolds nur wenig ausrichten. Dessen Charakter wird ohnehin für einen Großteil des Films zur Seite geschoben, um die unfähigen Selbstgefälligkeiten der örtlichen Polizeiarbeit als noble Investigationsarbeit auszuweisen, während beim Normalbürger die Angst vor dem finsteren Boogeyman des Kindesmissbrauchs geschürt wird. Egoyan bedient dabei gängigste Rollenmodelle, ergibt sich allerdings auch einer Faszination für deren System, welches er selber kaum stimmig erklären kann. Folglich bleiben auch dessen Motivationen auf der Strecke, man muss schlicht mit dem puren Bösen und dessen undurchsichtiger Philosophie rechnen, die oftmals nur für müde Lacher des Unverständnisses sorgt.

Allzu bezeichnend für einen Film, der keine Art von Mensch in seinen Charakteren versteht und stattdessen versucht, die Aufmerksamkeit auf eine Form zu lenken, welche auf Furcht basiert, doch keine rechte Lust hat, dieses Gefühl und seine schlussendliche, beliebige Katharsis mit natürlichem Verständnis auszustrahlen. Eben ein Genre-Stück, das in der Verinnerlichung und dem Ausdruck der Urängste des Verlusts lediglich sich selbst bedient und als reißerisches Gimmick auftritt. Braucht man so was? Nicht wirklich. Denn wer treffendere Reflexionen auf derartige Tragödien finden will, der hat reichlich filmische Alternativen zur Hand sowie ein Hirn mit einem Standpunkt dazu. Es ist nämlich nicht so, dass „The Captive“ irgendetwas Neues dazu zu sagen hätte – er hat sich nämlich wie sein Regisseur selbst in die Verblendung gegenüber dem Fortschritt entführt.

Meinungen

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