Der diesjährige türkische Kandidat im Oscar-Rennen für den Besten fremdsprachigen Film ist ringsum den wieder erstärkten Rassismusvorwürfen um die Academy of Motion Picture Arts and Sciences ein willkommener Beitrag, der beweist, dass Nominierung auch zeitgenössisch sein kann: „Mustang“ ist ein Film einer Frau über Frauen. Ein Film über (anfänglich) fünf Mädchen, um genau zu sein, die mit dem Erwachsenwerden im ländlich-östlichen Hinterland der Türkei erstmals Opfer der Geschlechterunterdrückung werden. Die Ausgangslage erinnert stark an Sophia Coppolas „The Virgin Suicides“, der seinerzeit selbst nur die Verfilmung eines Romans von fünf Heldinnen darstellte, gefangen in familiärer Tristesse und den eigenen Körpern, die mit dem Beginn der Pubertät nach Entdeckung und Erkundung eigener und fremder Lustregionen schreien, aber nicht dürfen – oder in „Mustang“ zumindest nicht vor der Ehe. Deniz Gamze Ergüven adaptiert die Idee und versetzt sie aus den amerikanischen Siebzigern unter neuen Voraussetzungen hinein in die gegenwärtige, türkische Provinzregion, in der neben traditionellen Rollenvorstellungen und unfreiwilliger Keuschheit eben auch Öffentlichkeitstabus und Zwangsehen große Themen sind. Was Ergüven allerdings daraus macht, ist lediglich die Darstellung des Übels.
Nach einer spielerischen (und keineswegs sexuellen) Annäherung der Mädchen mit anderen Jungs nimmt die Tragödie ihren Lauf. Die fünf Schwestern werden von ihrem Ziehonkel unter strengere Beobachtung gestellt, ihre Jungfräulichkeit wird ärztlich überprüft, sie werden in kärgliche Kleider gesteckt, Gitterzäune werden errichtet und Zwangsehen eingeleitet. Dabei verharrt die Geschichte stets bei dem Mädchenkollektiv zwischen Kindheit und Erwachsensein, sodass der Zuschauer ob ihrer tragischen Entwicklung ähnlich ratlos ist wie die Protagonistinnen, bevor letztlich gerade die unerfahrenste von allen den größten Durchblick beweist und die eigenen Nachteile in eine Chance umzumünzen vermag – eine Verbeugung vor der Kleinsten unter den Kleinen, die gefällt. Ein tieferer sozialkritischer Blick bleibt jedoch aus. Vielleicht ist Regisseurin Ergüven, größtenteils in Paris und den USA aufgewachsen, selbst schon zu verwurzelt mit dem Westen, als dass sie eine tiefere und persönlichere Geschichte erzählen könnte. Denn leider zählt „Mustang“ am Ende zu jenen Filmen, bei denen man als Zuschauer genau das bekommt, was man erwartet: eine nur allzu deutliche Abhandlung über Ungerechtigkeit, die auf feudalen Wertevorstellungen fußt, behutsam gar gekocht für die westliche Welt, die ein weiteres Mal daran erinnert werden darf, wie gut es ihnen doch geht.
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