Meist ist es still in George Ovashvilis Erfassung vom Leben auf der sogenannten „Maisinsel“. Jenes Fleckchen Erde, das aus herbeigetriebenen Brocken des Flusses Enguri fruchtbaren Bodens bildet, ist nun mal ein Ort fernab nationaler Hoheitsgebiete und für die ansässigen Bauern ein Segen, da es sich hier unabhängig anbauen lässt. Der alte Abga (Ilyas Salman) wagt die Beanspruchung der zwischen den Grenzen von Georgien, Abchasien und Russland verorteten Zone, an der er eine eigenständige Existenz aufzurichten gedenkt. Zunächst begleitet Regisseur Ovashvili diesen Weg als impressionistisches Prozedere: Im Zentrum der Natur wird geschwiegen, während der Film dieses Credo anhand einer inszenatorischen Unaufgeregtheit und asketischen Tonkulisse verinnerlicht. Der darin handelnde Abga respektiert das Geschenk des Individualismus mit behutsamer Hand und wir sehen im minutiösen Detail, wie er die Saat setzt und das Fundament für eine kleine Hütte legt.

Die Konzentration auf einen Schauplatz zieht den Zuschauer schnell in ihren Bann und lädt ein zur räumlichen Erfassung und zum Nachempfinden der umweltlichen Wärme, ohne dass sich der Protagonist als filmisches Vehikel erklären muss. Selbst, als dieser seine Enkelin Asida (Mariam Buturishvili) mit auf die Insel bringt und zusammen den Aufbau der notwendigen neuen Heimat vollzieht, behilft sich der Film keinem dramaturgischen Bogen, sondern erhöht die Sinnlichkeit im Verstehen sowie Theoretisieren des Handelns und der skizzenhaften Verhältnisse. Der alltägliche Wandel zwischen Arbeit, wortloser Hilfe und Ruhe reicht allein zur Empathie und zur reizvollen Vorstellung, in derartig friedfertiger Isolation zu wirken. Nach und nach legt der Film dann aber doch hintergründige Texturen frei, die aus der etablierten Wahrhaftigkeit der Atmosphäre eher ein festes Narrativ zurecht stricken.

Zunächst präsentiert sich dieses anhand des klassisch elegischen Scores von Iosif Bardanashvili, der zusammen mit der eindrücklichen Bildsprache und ihrem Fokus auf Gesichter eine tief in den Seelen verwurzelte Melancholie à la Sergio Leone vermittelt. Ein wohliges Mittel, aber eben doch ein Kompromiss zur angestrebten Natürlichkeit. Allmählich fahren auch potenzielle Antagonisten an der Insel vorbei: Soldaten der jeweiligen umliegenden Nationen vollziehen im Off den Sezessionskrieg zwischen Abchasien und Georgien um 1992, stören den Frieden und richten ihre Blicke vor allem auf die wie der Mais heranwachsende Asida, deren Unschuld der Großvater entschlossen verteidigt – auch, wenn ihre innere Sehnsucht andere Wege zu gehen versucht. Allmählich tropft also Blut auf den Boden, wie auch der Regen und die Nacht neue Elemente einer auferlegten Erzählung bringen. Schließlich rettet sich ein flüchtiger, angeschossener Soldat aus Georgien in den Mais, den Abga versteckt und versorgt, während Asida von einer Freundschaft und noch mehr mit ihm träumt.

Solche Hoffnungen werden von Abga jedoch im Keim erstickt, wie auch der Film an sich keine stimmige Vervollständigung dieser Ansätze aufbringen kann und eine gute Menge Emotion opfert. Die aufgefüllte Handlung mag zwar das Gleichnis existenzieller Barrieren im Hinblick auf den zeithistorischen Kontext bekräftigen, lässt aber trotz aller Schweigsamkeit nur wenig Freiraum zur Reflexion. Erst zum Ende hin findet der Film zu einer Konsequenz, die bitter nachwirkt und vor allem den Schrecken des unausweichlichen Zusammenbruchs unter aller Unterdrückung vermittelt. Da sprechen die Bilder und die Gesichter der Menschen für sich, sobald die Natur einen neuen Zyklus einleiten muss. Dieser Zyklus beherbergt aber dennoch Hoffnung sowie eine Erinnerung an das Vergangene und Humanistische. Regisseur Ovashvili erinnert sich nur etwas zu spät daran, als dass sein Film wirklich auf einer Stufe mit der Natur stehen kann. Solange er es allerdings macht, findet der Zuschauer eine Harmonie mit der Wurzel des hier errichteten Lebens.

Meinungen

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