The Mystery Man is back! Auf den Spuren von David Lynchs Inszenierungswahn eines Mannes ohne Augenbrauen lässt Denis Côté im kanadischen Waldparadies einen Erfolgsmann namens Boris Malinovsky (James Hyndman) sein Gewissen erproben. Seine Versuche, seine tief in einer Depression feststeckenden Frau Béatrice (Simone-Élise Girard) zu heilen, enden bereits im Anfangsstadium. Ohne Aussicht auf den geringsten Erfolg gibt er die Verantwortung in andere Hände und lenkt sich mit triebhafter Frustration von der Wirklichkeit ab. Boris ist an der Spitze des Kapitalismus, sein Denken ist gnadenlos erfolgsorientiert. Immer wieder befallen ihn Momente, in denen er in Harmonie mit Beatrice das Leben genießt. Es scheint, als schwelge er lieber in Erinnerungen, anstatt seiner leblosen Ehefrau mit Liebe zu begegnen. Die Gewohnheit, sich etwas selbst zu erarbeiten ist ihm fremd geworden; andere erledigen die Arbeit für ihn. Béatrice wird wegen ihrer ebenso erfolgreichen politischen Karriere vom kanadischen Staat unterstützt – die Psychotherapeutin Dr. Miller, die Boris nicht leiden kann, kümmert sich um sie. Um für absolute Ruhe zu sorgen, ziehen Boris und Béatrice in ein luxuriöses Haus mitten in einer riesigen Naturlandschaft voller Wälder. Das engagierte Mädchen für Alles, Klara, pflegt die psychisch kranke Frau.
Denis Côté, der auch das Drehbuch geschrieben hat, erschafft eindrucksvolle Bilder, die durch ihren mystischen Touch sehr gelungen mit der Geschichte auf psychologischer Ebene einhergehen. Der Zuschauer platzt mitten ins Geschehen und wird sofort mit Symbolen bombardiert. Bereits die erste Einstellung beschreibt Boris’ Charakter, ohne ihn zu erklären. Ohnehin arbeitet der kanadische Regisseur nicht nur mit zeichnenden Dialogen, sondern vor allem mit ausdrucksstarken Bildern, die nicht unbedingt immer sofort entschlüsselbar erscheinen. Der erwähnte Einstieg in das Geschehen demonstriert, dass Côté den Zuschauer keineswegs mit simplen Mitteln zu erreichen sucht. Hyndmans in den Bann ziehenden Augen, Statur und modisches Erscheinungsbild drücken etwas Gewaltiges aus, jedoch vielmehr im Subtext. Seine Anziehungskraft bindet alle Figuren an sich, er ist stets umgeben von Optionen – nicht nur, weil er steinreich ist. Sein animalisches Verlangen nach Sex paart sich im Laufe des Films mit einer Unfähigkeit, die zentralen Probleme in den Griff zu bekommen. Anstatt sie zu bewältigen, entscheidet er sich oft unüberlegt dafür, seine eigene Struktur geradezu zu dekonstruieren. Die logische Konsequenz der geknickten Beziehung zu Béatrice ist für ihn die Suche nach Ersatz.
Was „Boris Without Béatrice“ so interessant macht, ist, dass Boris an sich selbst hohe Erwartungen setzt, gerade was Anstand und Höflichkeit betrifft. Er verläuft sich innerlich und steckt in einer emotionalen Spirale fest, die aus gegebenen Problemen nach einer intensiven Reflexion schreien, die ihm sein Aufenthalt in der Natur tatsächlich gewährt. So interessiert sich Côté weniger für Béatrices Genesung – eigentlich ist ihr Zustand vor allem von Boris’ Innerlichkeit abhängig, was ihm auch der plötzlich erscheinende l’Inconnu (Denis Lavant) im Bühnenlicht erklärt. Die innere Reise beginnt für Boris, der Zuschauer kann sich nun darauf einlassen, dieser Geschichte zu folgen. Da Côté innere und äußere Emotionen sowie Gedanken nicht sortiert, sondern wild miteinander mischt, ergibt sich ein Drama, das mit dem Zuschauer spielt. Manchmal sieht man Boris einfach nur dabei zu, wie er überlegt – wunderbar begleitet von Ghislain Poirier, dessen elektronische Lieder der gesamten Szenerie eine zusätzliche Note der Mystik, aber auch der Spannung verleihen. Manchmal ist es der Mystery Man, der zusammen mit Boris’ Mutter und Tochter die Grenzen zwischen Einbildung und Realität prüft. Die interessante Inszenierung, die Boris stets im Auge behält, verhilft dem Film zum Genuss des Zuschauers. Oft sieht man jedoch nicht, was Boris sieht oder hört, oder teilweise erst verzögert, sodass der Fokus auf das Off gesetzt wird und man seine Handlungen umso gespannter verfolgt. Dieses Tappen im Dunkeln wird durch impulsive Spannungsspitzen unterbrochen, dazu fügt sich eine sehr ästhetische Bebilderung von Jessica Lee Gagné ein.
Boris’ Charakter bietet nicht nur viel Raum für Interpretation, er ist auch mit mehr oder weniger subtilen Mitteln gezeichnet. Da jede andere relevante Figur in „Boris Without Béatrice“ auf ihn ausgerichtet ist, entsteht durch die Beziehungen untereinander ein sehr aussagekräftiges Bild über ihn. Wichtig für seine Darstellung ist das Verhältnis zu Mutter und Tochter, das Boris letztendlich auf die Sprünge hilft. Côté erklärt gezielt Hintergründe und lässt dabei trotzdem so viel offen, dass man tausende Antworten finden könnte. Sein Interesse für die Hauptfigur trägt den Film ebenso wie die grandiose Darstellung von James Hyndman.
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