Als die Frau den Mann und der Mann die Frau findet, fühlt es sich gleichermaßen wie eine Umarmung und wie ein Kampf an, ein Segeln aufeinander zu, welches nur scheinbar zufällig einer eigenen Kunst ähnelt. Doch die Bewegung zerreißt im Flug noch vor dem sehnlichen Aufprall beider Körper. Auch Zhang Yimous „Coming Home“ (so der englische Verleihtitel, während das chinesische Guīlái schlicht Rückkehr bedeutet) wagt sich entgegen vorheriger Werke des neuen Jahrtausends nicht in die Weite, sondern in die politische und energetische Stille der neunziger Jahre. Nur die Beschränkungen erlegt sich Zhang nunmehr selbst in der aussichtslosen Banalität einer vergessenen Liebe auf. Obwohl die Liebe für die Frau Hoffnung und für den Mann Zukunft bedeutet, in einer Zeit, da die chinesische Kulturrevolution so weit wütet, bis Liebe nur noch eine Meinung definiert, die es zu beschützen oder besser zu verwerfen gilt. Es könnte ein explodierendes Melodram sein oder ausuferndes Emotionskino, welches einen ungestümen Wildbach an Tränen freigibt. Und man weint; und das viel. Aber der Film macht es sich damit auch extrem einfach, weil er der Repetition nur erliegen muss. Darin wirkt er auch wie eine Parabel auf das heutige China und den Drang nach immer mehr, nach immer höher entwickelter Technologie und immer weiter reichender Zensur. Eigentlich meint die Rückkehr hier nur Stillstand.
Der Stillstand zeigt sich bereits in der Wahl des Ausgangsmaterials und auch der Hauptdarstellerin, welche Zhang Yimou leichthin behäbig und nur allzu stilisiert einsetzt. Schon „13 Flowers of Nanjing“ (Zhang verfilmte den Roman 2011 unter dem Titel „The Flowers of War“) entsprang der Feder Yan Gelings, die in fortwährend distanzierter Ruhe von den Geiseln menschlicher Existenz erzählt. Auch in „Lù fàn Yānshí“ („Der Verbrecher Lu Yanshi“) sucht sie den politischen Knoten aller Entwurzelung, den Zhang und sein Drehbuchautor Zou Jingzhi nicht vollständig zu entkapseln vermögen, wie großspurig sie die Politik auch versuchen zu umschiffen. Lu Yanshi (Chen Daoming) ist der intellektuelle Reaktionär, den das China unter Mao Zedong als Gefahr sieht und schnellstens in die Arbeitslager im Westen der Volksrepublik abschiebt. Seine Familie jedoch bleibt zurück. Als Yanshi flieht, beginnt „Coming Home“ erst; seine Jugend bleibt bloße Randnotiz, obwohl Yan Geling die Geschichte des Mannes in den Fokus hebt. Tochter Dandan (in ihrem Debüt: Zhang Huiwen) und Mutter Feng Wanyu (Gong Li) finden sich daher im Büro eines Parteifunktionärs ein, der sie sogleich ermahnt, Yanshi zu verraten, falls dieser sich ihnen zeigen sollte. Die erneute Verbannung Yanshis führt ebenso zur Verbannung Dandans, die ihrem Vater den politischen Eigensinn bis zum familiären Bruch übel nimmt. Auch, da sie jüngst die prominente Hauptrolle im Staatsballett als Mahnmal nicht erhielt. Die Zensur setzt Zeichen und trennt Familien. Aber Zhang Yimou möchte lieber von etwas anderem erzählen. Etwas, das sich bei aller Politik auch in den Westen mogelt. Etwas – das meint die Liebe.
Die Liebe zwischen dem Mann Yanshi und der Frau Wanyu meint ebenso die Liebe zwischen Zhang Yimou und Gong Li. Er, der Regisseur, kann nicht von ihr lassen; sie, die Schauspielerin, kann nicht von ihm lassen. Ihre Beziehung trifft über die Qualität beider Karrieren eine schließlich ernüchternde Aussage. Bis 1995 drehten sie sechs Filme miteinander, was zugleich genau den ersten sechs Werken seines Œuvres entsprach. Als sich Gong Li von Zhang Yimou nach „Shanghai Serenade“ trennte, war es der vorläufige Abschied zweier Gefährten, die als Schaffende der Kunst das Private gleich kombinierten. Nur: Danach kam wenig. Gong Li ging ihren Weg, Zhang Yimou ging seinen Weg. Der ihre führte nach Amerika, der seine in Martial Arts, in die Schwerelosigkeit und in ein unkontrolliertes Zerwürfnis mit der chinesischen Zensurbehörde, die ihm immer wieder das künstlerische Licht ausknipste oder Produktionen verheerend stillstehen ließ. Mit „Der Fluch der goldenen Blume“ rieben sich der Regisseur und seine Muse nochmals auf – da zeigte der Zeiger schon das Jahr 2006 an. „Coming Home“ aber zersprengt aus eben jenen persönlichen, politischen und profitablen Gründen, da die Begrenzungen in vielerlei Hinsicht der künstlerischen Freiheit den Stilismus verwehren. Infolge von Yanshis doppeltem Exil (ausgelöst durch den Staat und die eigene Tochter) erleidet Wanyu eine dissoziative Amnesie. Das Trauma lässt sie ihren Mann nicht mehr erkennen, egal mit welchen Kniffen Yanshi ihr schließlich die Augen öffnen möchte. Sie wartet auf einen Mann, der sie im Warten begleitet. Am fünften Tag eines jeden Monats fokussiert sie den Zug, der Yanshi zu ihr bringen soll. Er kommt nie, weil er schon da ist.
Gerade da Zhang die permanente Wiederholung wählt, geschieht entgegen des omnipräsenten Stillstands etwas – wenn auch weniger in den Protagonisten selbst (vor allem in Gong Li nicht, die effektive Spielfreude wie Zhang Yimou Kritik vermissen lässt). Vielmehr vibriert „Coming Home“ wie frühe Zhangs im Visuellen, in den Regenfanfaren, der kontrastarmen Ballettchoreografie, den Augenauf- und niederschlägen, dem leeren, dem hasserfüllten Blick, den Yanshi immer und immer wieder erträgt, bis die Hoffnung glücklicherweise keine Rührseligkeit und keine Vereinigung mehr zulässt. Es ist Tragödie, Melodram, es ist Distanz. Denn der sorgsam ausgebildete Mensch fehlt und die Simplizität der Geschichte weiß irgendwann nicht mehr wohin. Bis sie nur noch Kreise zieht, in denen Zhang die Liebe erlegt. Der Staat kümmert ihn nicht mehr, wo doch gerade das System die Schuld an solchen Schicksalen trägt, in denen der Mensch zum Vergessen gezwungen wird. Die Wahrheit würde schwerer wiegen.
„Coming Home“ ist dabei nur ausformulierte Zensur, welche Film selbst die Fragen verbietet, mögen sie in der realen oder fiktiven Historie auch noch so offensichtlich anklingen. Jener Zhang, der sich gegen den Staat und gestrengen Kulturbetrieb auflehnte, lässt die Enge des Wortlosen hier ohne Ausflucht eintreten, obwohl ihm das Trauma wahrhaft großer und emotionaler Geschichten einst zu wundersamer Systemkritik gereichte. Die Geschichte einer Verbannung und der dann folgenden Verdrängung zeigt ein Kino des Fühlens, das über die Jahre dauert. Aber die Gefühle stagnieren – bis auch Zhang Yimou dieser Reduktion auf das Wesentliche nachtrauert. Weil die Liebe sich ändert; und erst die Veränderung ihr neue, für ein Narrativ notwendige Facetten abringt. Obwohl sie für den Regisseur immer Kampfkunst bedeutete, füllt nicht jede Liebe auch ganze Bewegungen. Manchmal ist sie nur Stillstand. Aber auch Stillstand steht im Film nie still. Zumindest nicht so, wie „Coming Home“ ihn in prallen Regenschauern malt, aus denen die letzte Schönheit tropft.
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