Der eine implodiert an seiner Wut, der andere explodiert an ihr. Kim Ki-duks „Bin-jip“ führt die unterschiedlichen Formen zweier Männer zueinander, die im Affekt um eine Frau buhlen, obgleich ihre Entscheidung zu dem einen oder anderen in den ersten Minuten fällt. Der stillschweigende, aber ruhelose Kerl braucht keiner vielen Worte, seine Liebe zu gestehen; der unzähmbare, triebhafte aber gleicht mit vielen leeren Silben seine Bedürfnisse aus – wenn möglich zudem mit Gewalt. Sie beide haben im Laufe von Kims Film zu lernen, was Schweigen bedeutet, was Ruhe bezweckt und wie ihre Kraft zügelloser nie eingesetzt werden könnte. Sie beide zerfallen am Rande der Leinwand an ihrer Sehnsucht. Immer wieder nehmen sie den Golfschläger zur Hand, bringen ihre Körper in Stellung und schlagen aus. Nie war Wut geschürter, nie grenzenloser als in Kims Film. Er, der als Meister der Stille gilt und den rechten Weg seiner Charaktere entlang rar gesäter Worte führt. Die Protagonisten in Kims Filmen sprechen nie genug, aber verstehen die Unschuld der Worte. Den gelobten koreanischen Regisseur zeichnet aus, Schuld und Sühne immer in kunstvollen visuellen Bädern enden zu lassen, die dem Publikum eine ungeahnte Melancholie auf den Weg geben; und eine Sprachlosigkeit, die plötzlich mit den Protagonisten geteilt wird.
Eine gewisse träumerische Grundstimmung entblößt diesen Film Kim Ki-duks in eine Symphonie zwischen dem barfüßigen Buddhismusplädoyer „Frühling, Sommer, Herbst, Winter … und Frühling“ (2003) und der zurücknehmenden Expertise von „Seom – Die Insel“ (2000), in sonderbar ruhiger Ausstattung, umspannt von weit schweifenden Blicken, verstecktem Zwinkern und entrückten Augen einer Gesellschaft des Chaos. Die wenigen Dialoge des Films teilen einzig seine Nebencharakteren, als wenn sie nur Löcher graben. „Bin-jip“ formatiert die Sprachlosigkeit der Liebe in die Melancholie des Augenblicks absoluter Übereinstimmung. Seine zwei Charaktere, zwischen denen bis zuletzt kein Wort fällt, entspannen ein selbstverständliches Pendant tiefer Verständigung ohne Worte, die immer wieder als entsprechendes Element die Wut oder den Hass einer Stadt widerspiegelt. Manchmal fallen Ansagen von Anrufbeantwortern ein, manchmal die abrupte Gier der Ehemänner, manchmal die Freudlosigkeit der erniedrigten Frauen. Dahinter jedoch schweigt jeder unentwegt. Tatsächlich bewegt Stille die Handlung voran, wie eine geheime Führungshand Pfeile zum Ziel ausstößt.
Die einsame Waffe des Helden Tae-suk (Lee Hyun-kyoon) bleibt das rohe Holz eines Golfschlägers. Es markiert die innere Unruhe des Protagonisten, aber auch seine Befreiung. Wie er durch die Wohnviertel mittels seines Motorrads braust, besitzt er den Zwang eines Unnahbaren, eines Freigeistes der alten Schule, als ob die Inkarnation des Jesse James ein Stück Vergangenheit einbüßt. Tae-suk ist jener „Easy Rider“ ohne Heim, ohne Sitz, ohne den materiellen Stellenwert seiner Umwelt. Stattdessen schafft er sein Domizil nebenbei in fremden Häusern, deren Besitzer ausgeflogen sind. Er wäscht, putzt, repariert, sorgt um diese vier Wände, als wären sie sein Eigen. Eine Ruhe blüht auf, in dieser kalkulierten Traumwelt.
Wie ein Ganove stiehlt sich Tae-suk voran in die Finsternis, in abgeschottete Siedlungen, hinein in das leise Klappern seines Werkzeugkastens, vorbei an den Türen, die einen Einbruch verhindern. Ein bisschen schleicht er noch mit seiner neu gewonnenen Kumpanin Sun-hwa (Lee Seung-yeon) nebenher – einer Ehefrau, unterdrückt neben den harschen Prinzipien ihres Mannes –, doch ist er auch siegessicher, hinter verschlossenen Türen und dem Schutz der Häuser und Wohnungen. Kim Ki-duks Methoden wirken dem Stummfilm entnommen, gestohlen aus den unbeirrt plappernden Charakteren der Neuzeit, mit der Sehnsucht, den Seelen seiner Protagonisten einen Hauch Sprachlosigkeit anzueignen. Sie schweigen oft – mit der Kraft der Worte. Das könnte dem Film alle Farbe entziehen und sich gegen den Zuschauerwillen stellen, weil jener es eben so erlernt hatte: Sprache, händeringende Verständigung um des Verstehens willen. „Bin-jip“ reibt dagegen an Silhouetten kalter Städtemauern. Laut, bunt und materialistisch entzaubert Kim das drängende Verlangen dieser Popkultur zwischen seinen sanften – so wunderbar stillen – Saiten einer Liebesromanze.
Kims Film fließt chinesischen Ursprüngen entgegen und bündelt Sinn und Verstand der Meditation in einer Melange der Entspannung. Der Blick als Gesamtheit entspringt vollkommener Ruhe: den Mächten des Yin und Yang, gelebten Gegensetzen seiner Hauptprotagonisten und törichten Lebensweisheiten, die inbrünstig aufplatzen. Tae-suk schweigt voll Zorn, während seine Wut immer wieder in harten Aufschlägen ausbricht. So wie die Charaktere aus Kims Fluss bisweilen ihren Zorn stillen, kehrt in ihnen nach der Tragödie und aller Taten der Buddhismus ein. Da umarmt die Frau ihren Mann, während ein anderer Weggefährte von hinten entgegen tritt. Er küsst sie schließlich voll Behagen, der Mann wiederum sehnt sich nach seiner Angetrauten. Der eine kennt das Spiel, der andere erfreut sich über es, ohne es zu kennen. Merkwürdige Ruhe: so ohne Worte, ohne Quasten, ohne Belanglosigkeiten. Film merkwürdig ruhig; ein Weg, den Hollywood nie lernen wird und Kim Ki-duk ein weiteres Mal in „Bin-jip“ gefunden hat.
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