Michael Lennox’ „Boogaloo and Graham“ stand mit neun weiteren Filmen in der Vorauswahl für eine Nominierung bei den Oscars in der Kategorie „Bester Realkurzfilm“ und wurde als einer von fünf Beiträgen nominiert.
Was kam zuerst – das Ei oder das Huhn? Nun, im Fall von Michael Lennox’ Kurzfilm „Boogaloo and Graham“ ist zunächst der Mensch schon geteilter Meinung, wer und was zu wem gehört. Er steigt nämlich mit minimalistischen Eindrücken sofort in das Zeitkolorit von Belfast anno 1978 ein, sprich mitten ins Zentrum der Konflikte um die Unabhängigkeit Nordirlands von der britischen Krone. Soldaten, Gewehre und Zäune gesellen sich da an der bürgerlichen Haustür; in einem Schwenk zum Hinterhof bringt der Vater (Martin McCann) sodann zwei Küken in diese siedende Zone hinein. Er vertraut sie seinen Söhnen Jamesy und Malachy an, des Lernens der Verantwortung und des gewissenhaften Kümmerns halber. Seine skizzenhaft gehaltenen Motive beherbergen im Sinne des Films aber auch ein politisches Gleichnis in Hinblick auf die nationale Misere. Die neuen Gäste finden bei den Jungs nämlich eine herzhafte Heimat; diese nehmen sie wie Haustiere auf, spazieren mit ihnen durch die Gegend und waschen sie zum Leidwesen der genervten Mutter (Charlene McKenna) im Küchenwaschbecken.
Das sind freie Wesen, unbetroffen von der Selbstverständlichkeit des Konzepts Nutztier, das meistens gut gebraten auf dem Teller endet. Von dieser kindlichen Unbeschwertheit ist die Umwelt der Jungs längst nicht erfüllt, doch setzt Regisseur Lennox nicht nur darin ein Zeichen für das dringliche Gefühl der Freiheit unter diesen Bedingungen. So entwickelt sich im Haushalt allmählich ein Konflikt, dass die Jungs einen Kompromiss eingehen und die Hühner abschaffen müssen. Frau Mutter erwartet nämlich ein weiteres Kind und da reicht es nicht, die Tiere in den eingezäunten Stall auf dem Hinterhof zu stecken. Dafür dürfen sie als Ausgleich einen Hund bekommen. Doch auf diesen Deal gehen die Burschen nicht ein. Jenes potenzielle Herausreißen aus heimatlichen Gefilden ist ein klarer Verweis auf die allgemeinen Ängste der damaligen Ära. Der familieninterne Terror, der damit einhergeht, droht wahrhaftig mit dem Tod der Hühner, wie auch IRA-Bomben und das allgegenwärtige Militär Nordirland in Atem hielten. Lennox’ Film strebt allerdings nicht vornehmlich den Besitzanspruch einer nationalen Identität, sondern einen von der Angst befreiten Frieden des gemeinsamen Zusammenlebens an.
Der Wandel bei den Erwachsenen sowie die Klarheit beim Zuschauer darüber kommt dann auch etwas plakativ zustande, sobald die direkte Konfrontation mit den (un)menschlichen Zuständen der Verfolgung und Internierung stattfindet. Das Gewissen für eine Zukunft, in der alle ihr Glück finden können, erhält überhand und bringt auch Vorteile für jedermann mit sich, da Hühner ja Eier legen können. Eine wahrhaftig gelungene Einwanderungspolitik! Insgesamt als Film vielleicht dann doch wieder etwas zu naiv ausgearbeitet; thematisch und emotional nur ungefähr so effektiv wie konzipiert, wenn auch nicht ambitionenfrei. Immerhin wird die Lektion ja auch Kindern beigebracht, da hält man es etwas einfacher, obwohl die politische Dimension des Films erst für ein erwachseneres Publikum komplett erfassbar sein sollte. Leider verstehen Kinder vielerorts jedoch zu gut, wie die gesellschaftlichen Missstände zu deuten und mit ihren eigenen vergleichbar sind. Es ist also letztendlich gleich, ob zuerst das Ei oder das Huhn kommt, solange überhaupt etwas zur Veränderung und zur Befreiung von der Furcht angefangen wird. Der gute Ansatz wird von „Boogaloo and Graham“ zweifellos souverän vermittelt.
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