„The Master“ ist eine Geschichte über Kontrolle, Leidenschaft, Unterdrückung, Selbstfindung – über einen hoffnungslos wissbegierigen Mann. In einem breiteren Kontext jedoch wagt der neue Beitrag von Paul Thomas Anderson vielmehr einen Einblick in die Entstehung einer spirituellen oder intellektuellen Bewegung. Die Mitglieder von „The Cause“ besprechen die Traumata, welche sich durch ihre vergangenen Leben schlängeln – und das Trauma im Hintergrund der Handlung ist der Zweite Weltkrieg, die größte Erschütterung des 20. Jahrhunderts. Wenn der Mensch infolge solcher Zerstörung einen Sinn sucht, dann fühlt er sich hingezogen zu neuen Wegen des Denkens, besonders zu jenen Führern in ihrer Mitte, die behaupten eine Bedeutung in allem zu finden; selbst wenn ihre Auswürfe nicht den geringsten Sinn ergeben. Deshalb vermochte es Lancaster Dodd in „The Master“ Menschen an sich zu binden, genauso wie Ayn Rand in der Nachkriegszeit ein Publikum an den Objektivismus fesselte. In einer Zeit großer Unsicherheit, als niemand wusste was zu glauben war, kann ein Einzelner mit der Bestimmtheit und dem Glauben an etwas – irgendetwas – immens mächtig werden.
Freddie Quell (Joaquin Phoenix) ist ein Produkt jener Ära: ein Lügner, Alkoholiker, ein Treibender im Diesseits. Zunächst begegnen wir ihm in den letzten Tagen des Krieges, als er Kokosnüsse zerhackt und in ihnen Alkohol vermengt. Später kämpft er mit einigen Matrosen, gibt vor Sex mit der Sandskulptur einer Frau zu haben und masturbiert am Strand. Von da an sorgt seine Obsession mit dem Geschlechtsakt und einem Talent für ungewöhnliche Mixturen für Probleme: Er braut gefährliche und höchst berauschende Substanzen aus dem Treibstoff von Torpedos, Fotofixiermitteln und Farbverdünner. Jene Alchemie mag auch sein teilweise hirngeschädigtes Verhalten und seine eigentümlich missgebildete Erscheinung erklären; sein Nervenleiden der Nachkriegszeit ist nicht nur im Physischen, sondern auch im Emotionalen verankert. Er ist ein Mann, der sich nach Liebe verzehrt, nach Anerkennung und manchmal nur nach Nahrung.
Doch „The Master“ handelt nicht von dieser traumatisierten bedeutlosen Existenz des Freddie Quell, sondern von seiner Verbindung zu dem Intellektuellen und Anführer von „The Cause“. Nachdem er einige trostlose Beschäftigungen angenommen hat, stolpert Freddie schließlich in die Hände von jenem Lancaster Dodd (ein famoser Philip Seymour Hoffman) – ein religiöser Krämer, ein Bibelverkäufer wie aalglatter Unternehmer mit einer absonderlichen neuen Technik die menschliche Existenz zu erklären. Er nimmt Freddie unter seine Fittiche als sein Versuchsobjekt und seinen Schützling, stellt ihn seiner Frau (Amy Adams) und seinem Sohn (Jesse Plemons) vor, als die beiden langsam ein intensives und vergängliches Band verknüpft.
Beide Männer sind ebenso antithetisch wie sie sich gegenseitig ergänzen: der eine ein animalisches Bündel aus Emotion und Verlangen, der andere ein kalkulierter und manipulativer Demagoge. Anderson illustriert diesen Kontrast im Laufe des Films, aber niemals offenkundiger als in jener Szene, als sie in angrenzenden Gefängniszellen untergebracht sind. Freddie wirft sich durch die Luft, zerstört das Inventar und rammt seinen Kopf vergeblich gegen die obere Pritsche seiner Zelle, während Dodd starr die Situation beobachtet. Es ist ein Zwiespalt, der eine Freundschaft gegenseitiger Faszination produziert. Freddie fühlt sich zu Dodd hingezogen, da er eine Vision und einen Orientierungssinn zu haben scheint, den er in seinem Leben vermisst; Dodd hingegen sieht in Freddie die zügellose, triebhafte Natur, die er selbst unterdrückt.
Jene Dynamik reflektiert sich in den zwei zentralen Charakteren. In der Rolle des Dodd ruft Hoffman das Charisma und die Leidenschaft eines egozentrischen Scharlatans und Sektenführers hervor. Dabei ist Dodd nicht bösartig; lediglich ein sehr gewiefter, kreativer, intellektueller Zeitgenosse, der sich Illusionen erdachte und wahrscheinlich zu seinem eigenen Erstaunen bemerkte, wie Menschen seinen Idealen lauschten, sie sogar verfolgten. Doch ist er kein widerwilliger Anführer, sondern mit Mängeln behaftet, wenn ihn seine Emotionen bisweilen in den Momenten von Flüchtigkeit und tiefschürfenden Selbsthass übermannen. Dagegen steht Freddie als drahtige, glühende Figur, die immerzu eine Sekunde von einem Gewaltausbruch entfernt scheint. Phoenix spielt dies mit jeder Faser seines Wesens, von seiner strengen, geladenen Körpersprache bis zu der Art, wie er die scharfen, kantigen Falten seines Gesichts zu seinem großen Vorteil entlädt: der manischen, unangemessenen und verstörenden Energie, die schließlich durch die Leinwand strahlt.
Nichts an der spärlichen Handlungsstruktur und komplizierten Charakterzeichnung in „The Master“ wirkt banal, genauso wie nichts konventionelles in Jonny Greenwoods Score zu finden ist. Greenwood erkennt, wann er sich überwältigend und drohend an die Handlung drängen muss, wann nur eine Anspielung genügt oder lediglich die Stille das Sagen hat. Sein schriller und häufig atonaler Ansatz komplettiert den Film und schafft jene bestimmte Tonart, die Anderson anstrebt: das Gefühl permanenter Unsicherheit und Bedrohung. Aber Andersons verwendete Dualität der Form zwischen dem Einfachen und Komplexen mag am reichhaltigsten sein, wenn er den straffen konstruierten Dialog gegen die prächtige und majestätische Kameraführung von Mihai Malaimare Jr. ausspielt. Keine Unordnung; nur eine Linse, Licht und Schatten, die in einer Symphonie funktionieren und die Topik von Humanität und Persönlichkeit verborgen in den Falten und Ebenen des menschlichen Gesichts entdecken.
Obwohl „The Master“ ein Gefühl der Erhabenheit und das impressionistische Vorgehen mit „There Will Be Blood“ teilt, ist es doch ein insgesamt bedächtiger, beinahe leiser Film, der die schmerzhafte Vertrautheit von „Punch Drunk Love“ aufnimmt. Er versetzt langsam in Aufruhr, baut fast unmerklich Intensität auf, die dann sowohl überraschend als auch natürlich ausbricht. Die Freundschaft zwischen Freddie und Dodd gleicht der zwischen Mentor und Protege, Vater und Sohn, Sadist und Masochist; und ergibt dazwischen einen Sog einer eigentümlichen Liebe, die entweder platonisch oder homoerotisch sein könnte. Anderson ist seither von den biologischen und stellvertretenden Verwicklungen zwischen Vätern und ihren Söhnen fasziniert. Diese jedoch zwischen Freddie und Dodd ist seine bislang verführerischste und unerträglichste.
Wie ein meisterhafter Bildhauer arbeitet Anderson im negativen Raum, erlaubt seinen Darstellern durch ihre Entscheidungen und Interaktionen ihr Selbst zu definieren und die vagen Klötze abzukratzen, um hinter das Verborgene zu blicken. Dabei gewährt er keinen leichten Zugang zu jenen Flächen; vielmehr höflich aber entschieden steuert er durch die Feinheiten dieses Tanzes, begleitet seine Spieler und zwingt schließlich uns das Konstrukt unter der trügerischen Einfachheit der Oberfläche zu erkennen. „The Master“ ist eine komplex verwickelte, strukturierte Charakterstudie und zugleich eine akribische, wohl überlegte Fingerübung, die Technik des Filmemachens bis zum Außergewöhnlichen zu treiben.
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