Bereits vor seinem offiziellen Kinostart in Großbritannien machte sich unter Kritikern teilweise Unmut breit, man äußerte sich entrüstet über die vermeintlich anti-katholische Aussage von Stephen Frears’ „Philomena“, ohne dabei der realen Philomena Lee und ihrer Geschichte den nötigen Respekt zu zollen.

Anfang der fünfziger Jahre: Die junge Irin Philomena Lee (Sophie Kennedy Clark) lernt auf einem Jahrmarkt einen Mann kennen. Ihre Naivität weckt sein Interesse, er umgarnt sie und hat leichtes Spiel, denn sie schlafen miteinander. Die Konsequenz: Die blutjunge Philomena wird schwanger. Auf ihr unsittliches, unkeusches Verhalten folgt Strafe, ihr streng katholischer Vater schickt sie auf das Kloster Sean Ross Abbey im ländlichen Roscrea. Dort kümmert man sich führsorglich um die werdende Mutter, doch nach der Entbindung ihres Sohnes Anthony wird sie zur Strafarbeit von vier Jahren gezwungen, denn sie muss ihre Schulden bei den Nonnen begleichen. Von nun an stehen Zucht und Ordnung auf dem Tagesplan und jede Nichteinhaltung der strengen Regeln wird von den Nonnen geahndet. Doch für Philomena erscheint diese Bürde erträglich, solange sie einmal täglich ihren kleinen Sohn sehen darf. Doch eines Tages wird er ihr ohne Vorwarnung entzogen, ein fremdes Paar nimmt Anthony mit und Philomena sieht ihn nie wieder.

Aus Scham und Reue verschweigt sie diesen Vorfall, lebt eine Lüge, heiratet, bekommt eine Tochter, doch vergessen kann sie den kleinen Anthony nicht. Als sie jedoch ins höhere Alter kommt, beschließt sie ihr Schweigen zu brechen. So bittet Philomenas erwachsene Tochter den Journalisten Martin Sixsmith (Steve Coogan) ihrer alternden Mutter bei der Suche nach ihrem verschollenen Halbbruder zu helfen. Eigentlich interessieren Sixsmith solche Lifestorys nicht, vielmehr geht es ihm um das große Ganze: Er will da sein, wo Politik gemacht wird. Da er aber nach einem Fauxpas erst kürzlich entlassen wurde und nicht so recht etwas mit sich anzufangen weiß, beschließt er zu helfen.

Sixsmith und Philomena (Judi Dench) sind zwei Persönlichkeiten, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Sie ist eine hingebungsvolle, wenn auch naive Katholikin, die so sehr an ihrem Glauben festhält, dass sie geprägt von christlicher Nächstenliebe, Hoffnung und Selbstaufgabe, eher von ihrer eigenen Sündhaftigkeit, als von den bösen Absichten anderer Menschen überzeugt zu sein scheint. Sie ist eine Frau, die, wie es scheint, niemals ihre Sehnsüchte ausgelebt hat, und trotz ihres hohen Alters, ihrer Unkeuschheit in der Vergangenheit, in ihrem Inneren so unschuldig ist, dass sie weder Ironie versteht, noch flucht. Der Journalist wiederum ist jung, dynamisch, erfolgsverwöhnt, ehrgeizig und extrem zynisch. Jeder Glaube an Hoffnung und Wohlwollen ist für ihn eine Farce, denn er scheint mehr an die Wahrheit, als an das Gute im Menschen zu glauben. Vor allem ist Gott für ihn tot.

Philomena und der investigative Journalist begeben sich auf eine erschütternde und schmerzliche Spurensuche. Es beginnt ein transatlantischer Roadtrip. Von London geht es zuerst nach Irland, um nur irgendwelche Anhaltspunkte erhalten zu können, doch die neue Klosterführung zeigt sich wenig kooperativ. Immer wieder wirkt es, als sei die Mission des seltsamen Zweigespanns zum Scheitern verurteilt, denn je öfter die Situation aussichtslos erscheint, desto mehr prallen die Ideale der beiden Charaktere aneinander. Doch umso häufiger sich Philomena und Sixsmith die Stirn bieten, desto mehr wachsen sie zusammen.

Das Duell ist zugleich ein Duett. Die genial geschriebenen Dialoge bewegen sich zwischen der Normalität der Grausamkeit und authentischer Alltagskomik. Perfekt umgesetzt von Steve Coogan, der mit seiner Darstellung und seinem Drehbuch viel Esprit versprüht. Ausgesprochen lobenswert ist hier der Wortwitz, das britische Understatement, das zwar „Fuck you“ denkt und meint, es aber nicht sagt. Gekrönt wird die Story zudem von der Art wie Judi Dench der Philomena Leben einhaucht. Dench auf der Leinwand zu sehen, ist unglaublich berührend, daher wundert es nicht, dass sie in dieser Rolle für den diesjährigen Oscar als „Beste Hauptdarstellerin“ nominiert wurde. Sie bleibt in ihrer Darstellung als Philomena jederzeit subtil und gerade das macht ihren Charakter gleichzeitig zu einem Sinnbild der menschlichen Zerbrechlichkeit und mentalen Stärke. Beeindruckend und unpathetisch.

„Philomena“ ist ein Film über Unmenschlichkeit, die getarnt als Philanthropie daherkommt. Er zeigt, was geschieht, wenn der Zweck die Mittel heiligt, und kritisiert dabei Kirche, Politik und den modernen Journalismus. Er führt die Gemeinsamkeiten aller wichtigen Institutionen auf, bringt sie in ihrer Unmenschlichkeit, ihrer Grausamkeit, ihrem verblendeten Idealismus auf einen Nenner. Selbst ohne den realen Hintergrund dieser Geschichte zu kennen, besticht der Film durch seine Poesie aus Bildern und Darstellern, das Drehbuch durch seine Intelligenz, seine hoch philosophischen Aussagen.

Es scheint als hätte das Schicksal Regie geführt, als Philomenas Eltern ihr diesen Vornamen gaben, der so viel wie „Freund der Stärke“ bedeutet und zugleich Name einer frühchristlichen und obskuren jungfräulichen Märtyrerin war. Wie Philomenas Wesen ist das Drama still, berührend und wunderschön. Eine grausam anmutende Geschichte, die den Zuschauer trotzdem mit einem Gefühl der Hoffnung zurücklässt und aufzeigt, dass Weisheit nicht mit Wissen verwechselt werden sollte, denn weise ist, wer vergibt; töricht, der die Wahrheit mit Zorn verwechselt; eitel, der sich blind von seinen Idealen treiben lässt. Regisseur Stephen Frears entwirft ein packendes Drama um Glaube, Liebe, Hoffnung. Auf der Suche nach Wahrheit entpuppt sich diese auf einer wahren Begebenheit basierende Geschichte als ein Appell an unsere Herzen, lehrt uns mit viel Empathie in Sachen Vergebung und Nächstenliebe.

Meinungen

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