Manche laufen, wenn sie zweifeln. Manche laufen, weil sie zweifeln. Manche laufen viele tausend Meilen, manche viele Monate. Manche kommen bis zur Brücke der Götter, manche immerhin bis zum eigenen Kühlschrank. Manche heißen Cheryl Strayed, manche tragen gar keinen Namen. Denn von letzteren handeln keine Filme, keine Memoiren, keine Arien – über letztere verlieren wir keine Worte, weil wir selbst sie sein könnten. Das eigene Leben genügt im Film nicht. Es zählt höchstens das Besondere, das Erlebnis, Abenteuer, die rohe Emotion des Überlebens. Cheryl Strayed wanderte für jene Exploration drei Monate auf dem Pacific Crest Trail von Kalifornien nach Oregon, schrieb darüber eine Autobiografie und überlies Reese Witherspoon die Rechte an einer Adaption, welche gleichzeitig ihre Effektivität als Schauspielerin forderte. Eine wahre Begebenheit. Also überaus tauglich für Büffelreiter Jean-Marc Vallée, der zuletzt Matthew McConaughey in „Dallas Buyers Club“ mit Stetson und AIDS den Segen der Academy brachte und nun mit „Der große Trip – Wild“ die eigentlich nochmals gleiche Geschichte des kleinen Taugenichts erzählt, welcher als Arschloch einen Schicksalsschlag erleidet und an diesem bis zum guten Menschen wächst. Nur ist der Mann hier eine Frau.

Die endgültige Läuterung folgt jedoch nicht im Tod, sondern wie schon in John Currans „Spuren“ in der Konfrontation mit der eigenen, nicht zufriedenstellenden Vergangenheit und der Hoffnung nach mehr; vor allem nach mehr Freiheit oder einem besseren Ich. Das eint auch Cheryl Strayed mit Robyn Davidson, obwohl sie ohne Hund, ohne Kamele, ohne Vorbereitung reist, obwohl sie zunächst wenig für die Natur und deren Momente der Schönheit – für den Sonnenauf- und Sonnenuntergang – überhat. Daher ist die Wahl Reese Witherspoons eine mehr als kongeniale für einen Charakter dieser sarkastischen Zerstörungswut und für eine Frau, die wegen des frühen Tods ihrer Mutter (eine reizende Laura Dern) zur Nymphomanin und Drogensüchtigen wird, dies irgendwann bereut und meint, in der Wüste auf einem Fernwanderweg ließe sich überdenken, was einen schlechten Menschen von einem guten unterscheide. Witherspoon nämlich wagt gleichzeitig, ein unbequemer Spitzbube und eine skeptische Dame zu sein – eine seltene Kombination; selbst, wenn es ohnehin um starke weibliche Figuren geht. Vermutlich trägt auch Drehbuchautor Nick Hornby daran Rechnung, der es mit der Sympathie zu seiner Protagonistin etwas zu gut meint und Männer bestenfalls als potenzielle Vergewaltiger karikiert. Es wäre sonst schließlich keine reine Heldin. Oder ein womöglich tatsächlich zweifelnder Charakter.

Auch Jean-Marc Vallée denkt „Der große Trip – Wild“ ähnlich seines Vorgängerwerks als wild montierte Sause aus idyllischer Realität und halluzinatorischer Erinnerung bis zum totalitären Stillstand auf dem Trail. Denn eigentlich dient Cheryl Strayed nicht als Indikator, sondern lediglich als Kalkül: Im überdimensionierten Rucksackmonster hortet sie erst Tonnen von unnützen Dingen, vergisst jedoch das Benzin für den Entflammer, trägt zu kleine Schuhe, hadert mit ihrer Route, dem Wasser, ihrer gescheiterten Ehe. Christopher McCandless wusste zwar eher, was er tat, aber fand sich selbst im Tod nicht. Cheryl Strayed wusste zwar nicht, was sie tat, aber fand den Tod nicht. Obwohl Vallée Zweifel lässt, ob sie sich überhaupt annähernd selbst fand. Was sich auch im Anbeginn ihrer Reise gründet, die aus dem Nichts kommt und allein deswegen nur ins Nichts führt. Ein wenig wird sie aber wohl gelernt haben – viel Zeit darüber nachzudenken bleibt ohnehin denjenigen nicht, welche niemals Name genug für einen Film sein werden. Dafür ist der Trip nämlich ein wilder. Ein wenig wie Leonard Cohens Song „Suzanne“. Aber der kommt ja auch im Film vor.

Meinungen

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