Eine intime Reise durch das scheinbar unendliche Outback Australiens – welch eine durchaus reizvolle Vorstellung zur Seelensuche, im touristisch-romantisierten wie auch im filmischen Sinne. Genau das wollte Regisseur John Curran in seiner Adaption des gleichnamigen Buches von Robyn Davidson (hier verkörpert durch Mia Wasikowska) erreichen, welche mit vier Kamelen und ihrem Hund Diggity auszog, knapp 1677 Meilen kargen Landes zu durchqueren. Warum sie diesen Trip unternahm, wird nur kurz, aber verständlich angerissen: Sie scheint unzufrieden mit dem Zustand der gegenwärtigen Generation von Menschen, der sie nun mit allen Kräften in die Ferne entschwinden und damit auch etwas Bedeutsames für sich erreichen will – jene Maßnahme trägt zwar ein gutes Stück Eitelkeit in sich, zeugt aber gleichsam von aufrichtiger Willenskraft, die ihre Freunde und Familie trotz aller Sorgen ebenso anerkennen.
Auf ihrem mühsamen Weg beginnt sodann trotz aller Abweisungen der modernen, schnelllebigen Sensations-Welt ihrerseits eine gewisse hoffnungsvolle Re-Sozialisierung, die sie vorwiegend in den Ureinwohnern, den Aborigines, wiederfindet – deren Sprache versteht sie nämlich zunächst nicht, in ihnen sieht sie dennoch eine Verbundenheit zur Natur, die ihren Mitmenschen abhandengekommen zu sein scheint. Schließlich inmitten der endlosen, malerischen Pampa auf sich alleine gestellt, bleibt ihr nur die Einkehr ins Innere. Diese fördert profunde Erinnerungen von menschlicher Enttäuschung und seelischer Zersetzung sowie eine ambivalente Hoffnungslosigkeit hervor (da sie eigentlich ihre frühere Menschlichkeit aufgeben möchte und dennoch an ihr festhält), welche sie aber im sandig-hitzigen Fieber letztendlich trotz aller Strapazen vollends verarbeiten und die eigene Seele in der Endstation Ozean reinigen kann.
Wie aber kann man so eine Erfahrung adäquat umsetzen? John Curran hadert offensichtlich mit dieser Problematik, obwohl er doch versucht, mit elegischen Kameraeinstellungen und eindeckender Musikuntermalung eine Atmosphäre herzustellen, welche der Landschaft und deren Eindrücken auf den Seelenzustand Robyns gerecht wird. Die volle, angestrebte Wirkung kann sich aber nicht entfalten, da er sich zu sehr an das Konzept einer Dramaturgie hängt und daher ihre Reise in mehreren streng-zusammengefassten Stichpunkten voranbringen muss. Dies reflektiert sich auch durchaus in Robyns erschwerter Umsetzung ihrer radikalen Idee: Immer wieder wird sie nämlich abgelenkt vom ungefragt-aufdringlichen Menschentum, dem sie als verschlossener Nomade eigentlich selbstständig aus dem Weg gehen will – wie oft sie da doch dem Fotografen Rick Smolan (Adam Driver) begegnet, der damit beauftragt ist, ihren Fortschritt per Kamera festzuhalten.
Seinem Charme verfällt sie zwar auch irgendwann, hinderlich bleibt er trotzdem und stellt damit auch beim Zuschauer schnell infrage, ob Regisseur Curran an seinem Subjekt nicht sogar denselben abbremsenden Frust ausübt. Da schneidet er alles teilweise so kurz zusammen, dass sich erst keinerlei Atmosphäre aufbauen kann, nur der Versuch einer Abfilmung eben dieser. Erst im letzten Drittel, sobald sie wirklich fast nur noch einsam umherwandert, eröffnet er ihr die Pforte zur nackt-seelischen Einnahme der Sorgen-auspressenden Unendlichkeit. Dies macht narrativ durchaus Sinn, unterminiert aber die tatsächliche Größe ihres Trecks und auch die der australischen, hypnotischen Natur.
Zur Verdeutlichung: Man stelle sich mal eine Verfilmung von Werner Herzogs thematisch-ähnlichem Buch „Vom Gehen im Eis“ vor, worin er seinen knapp dreiwöchigen Fußmarsch zur im-Sterben-liegenden Lotte Eisner von München nach Paris chronologisiert und dabei alle persönlichen Eindrücke sowie jedes noch so minutiöse Detail niederschreibt. Dabei hält er sich (abgesehen vom in-Aussicht-gestellten Zielpunkt) bewusst an keinen stringenten narrativen Rahmen, was dem Buch maßgeblich hilft, einen Gefühls-Realismus von der Schönheit des persönlichen Wanderns zu vermitteln, den im Idealfall auch nur ein Werner Herzog ebenbürtig auf die Leinwand bringen könnte. Denn dieser würde sich dabei eben nicht vorwiegend auf die Einhaltung eines Handlungskonstrukts konzentrieren, sondern den Gefühlen, den Bildern und ihrer Reflexion zur umgebenden Natur die Richtung überlassen, damit man diese als Zuschauer ebenso für sich selbst adaptieren, nachvollziehen kann. Glänzende Beispiele für solcherlei Methodik äußern sich unter anderem in Béla Tarrs Sog-artige Tristesse-Studien „Sátántangó“ und „Das Turiner Pferd“ sowie Akira Kurosawas „Uzala, der Kirgise“, worin ebenfalls der Kontakt des modernen Mannes mit Ureinwohnern und ihrer Natur unbemüht beleuchtet und einfühlsam gefestigt wird.
Dass jene essenzielle Stilistik nicht an diesem Film angewandt wurde, schmälert daher die eigentliche Kraft des Stoffes. So bleibt Mia Wasikowskas engagierte und (gerade aufgrund ihrer entschlossenen Entsagung von menschlicher Sozialität) sympathisch-natürliche Darstellung von Robyn Davidson aufgrund der Erzählform Currans leider dementsprechend distanziert von der eigentlichen Gefühlswelt der Figur, ordnet sich dem dokumentarischen Ansporn des Filmes unter, welcher flott und stilisiert, aber immerhin noch respektvoll Robyns Tour sowie ihre Verbundenheit den liebenswerten Aborigines gegenüber zum kurzweiligen, pathetischen Spielfilm zusammenrafft. Die wesentliche, innere Wandlung geschieht allerdings hauptsächlich in Nebensätzen, sprich in einer allmählich-ansteigenden Menge an Rückblenden – sowohl innerhalb des sehnsuchtsvollen Blickes zum Sternenhimmel (der ja auch wie die Strecke und der Zielpunkt auf Robyns Landkarte klar sicht-, jedoch nicht greifbar ist), als auch zur trostlosen Wüstenlandschaft mit ihren verzerrt-spiegelnden Fata Morganen. Understatement und ökonomisches Time-Management sind nun mal eine Tugend in diesem Film, was der Geschichte zwar eine durchweg stimmige Kohärenz verleiht, aber nur halbwegs die innewohnenden Gefühle übertragen kann, wo doch alle wirklich beeindruckenden Blicke auf das Geschehen und auf die Natur schlicht zu früh abgeblendet und gestrafft werden – wie viel Substanz man dadurch schon verliert, wenn man nicht ein einziges Mal die schiere Weite oder Unendlichkeit ihres Weges länger als die Dauer eines gängigen Schnittbildes visualisieren kann.
Wenn man aber mal über die misslungene Gesamtgestaltung hinwegsieht, bleibt im Kern der Sache immer noch das erbauliche, wenn auch harmlose Porträt einer jungen Frau, welche sich mit fester Entschlossenheit in die endlosen Weiten der ungewissen Natur und ihrer Seele begibt, um sich von der Zukunft einer dysfunktionalen Menschlichkeit zu lösen und diese doch noch trotz aller Hindernisse für sich neu entdecken sowie bereichern zu können. Dem darauf aufgebauten Film mangelt es zwar nicht an Ehrgeiz in der Erzählung jener Entwicklung, leider lässt er aber nun mal abseits der bloßen Darstellung die eindringliche, liebevolle Vermittlung der tatsächlichen Erfahrung aus, geschickte Emotionalisierung hin oder her. Den „Spuren“ wird bedingungslos bis zum Ziel gefolgt – aber bei der Reise dorthin hat man sich nie so ganz dem Genuss des Momentes gewidmet. Schade drum, auch wenn der Film als harmonisch-gefälliges Erzählkino gut was taugt und den Großteil des Publikums zufriedenstellen dürfte: Es hätte soviel mehr sein können.
Immerhin steht ja auch im Abspann, neben all den Original-Fotos von der Reise: „Inspired by the photographs of Rick Smolan“ – da haben sich die Filmschaffenden also offensichtlich auch nicht nur für ein paar Sekunden den jeweiligen Bildern hingegeben – warum nicht also gleich deren Geist und dem des Konzepts vollends gerecht werden? Theoretisches Potenzial ist ja da (speziell in der rührseligen, goldig-bescheidenen Präsenz seiner Hauptprotagonistin) und sorgt einige erfrischende Male für eine Ergreifung der im Film angestrebten Seele – wenn auch nur für kurze Zeit.
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