In vielerlei Hinsicht ist der kontroverse „independent“ Auteur und Regisseur Jim Jarmusch der ungeliebte Stiefsohn des amerikanischen Kinos. Als „Only Lovers Left Alive“ bei den Filmfestspielen von Cannes nach siebenjähriger Entstehungsgeschichte der Weltöffentlichkeit präsentiert und auf der Pressekonferenz nach einer Begründung für die Wahl eines Vampirfilms gefragt wurde, entgegnete er: „Ich habe gehört, dass man mit Vampirfilmen eine Menge Geld verdienen kann.“ Jarmusch liebt das exzentrische Spiel mit seiner Wirkung: immerzu etwas unnahbar, doppeldeutig und unkonventionell. Während die eigentümlichen Filme des New Yorkers für die amerikanischen Studios wenig Anklang finden, kommt ihm in Europa seit Jahrzehnten wahre Huldigung entgegen – einhergehend mit finanzieller Unterstützung durch potenzielle Geldgeber und Produzenten. Auch dieses Mal flossen deutsche Filmförderungsgelder, wurden die Studioaufnahmen in Deutschland gedreht und ein britisch-deutsches Doppelgespann (Jeremy Thomas, Reinhard Brundig) produzierte. Sein filmisches Erzählen war schon immer tief in der Betrachtung der Gegenkultur verwurzelt und den kleinen Geschichten der infamen Antihelden gewidmet. Ob Kleinganoven beim mühseligen Gefängnisausbruch („Down by Law“), Irrsuche nach Bedeutung („Broken Flowers“) oder Zufallsbegegnungen des Moments, für den Herkunft und Habitus unbedeutend werden („Night on Earth“). Wer, wenn nicht er, könnte also dem Vampirgenre dabei helfen, nach all den schmalzigen Ausschlachtungen, seine korrumpierte Metaphorik zu emanzipieren, und ihm wieder die ein oder andere markante Note in seiner Bedeutungsebene abzugewinnen?
In seinem neuen Film geht es also vordergründig um die Liebe zwischen zwei unsterblichen Vampiren, Adam und Eve. Adam (Tom Hiddleston) ist ein hochgebildeter und virtuoser Musiker, der in nächtlicher Einsamkeit in einem abgeschotteten Haus in Detroit lebt. Für ihn ist die Entwicklung der Menschheit eine herbe Enttäuschung, an der er schwer zu tragen hat. Schließlich haben er und seine Sippe durch ihr unendliches Dasein über die Jahrhunderte den verfallenen Menschen die Genialität der großen Kunst geschenkt und näher gebracht – doch diese konnten daraus keinen einsichtigen Nutzen ziehen: Für Adam haben sie alles Gute zugrunde gerichtet. Er nennt sie deshalb voller Abscheu die Zombies.
Nur der schwelgende Blick zu seiner illustren Ehrengalerie aus alten Weggefährten – Bach, Poe, Kafka, aber auch Rockmusikern wie Tom Waits oder Neil Young – bestärkt seinen Glauben an die Menschheit und kettet ihn umso mehr an die Vergangenheit. Somit wird die leidige Beschaffung des Bluts für Adam zum Paradoxon, denn Menschen opfern und aussaugen will er nicht, um seine Identität nicht preisgeben zu müssen. Darüber hinaus kann die Qualität bei einer derart unreinen Spezies der Zombies nicht ganz koscher sein. Er bestellt sich daher nur exklusive Sonderabmischungen aus dem Labor und das Lebenselixier wird einer Droge ähnlich zeremoniell zur Bewusstseinserweiterung konsumiert.
Sein einziger, vertrauter Kontakt zur Außenwelt der Zombies ist Ian (Anton Yelchin), der ihn mit allerlei materiellen Sonderwünschen und extravaganten Raritäten versorgt, ohne dabei Adams Geheimnis zu kennen. Während Ian ihm vergewissert, er sei durch seine Unnahbarkeit ein noch interessanterer, da ungreifbarer Underground-Musiker, ist das Adam schon längst zuwider. In seiner Verzweiflung beauftragt er seinen Vermittler stattdessen, ihm eine Revolverkugel zu besorgen, die aus dem speziellen Holz geschnitzt sein soll, das einen Vampir endgültig ausradieren kann. Seine große Liebe Eve (Tilda Swinton) lebt derweil in der marokkanischen Stadt Tanger. Auch sie lebt in Abgeschiedenheit und bezieht ihr Blut nur flaschenweise, wie einen edlen Tropfen Wein. Zur Existenz hat sie eine selbstgenügsame, gelassene Einstellung und der regelmäßige Kontakt zum befreundeten Vampir und Schriftsteller Marlowe (John Hurt) lässt ihr die schwarze Galle nicht zu Kopf steigen. Als Eve erfährt und spürt, dass es um Adam wieder mal desolat steht, fährt sie kurzerhand entschlossen nach Detroit. Dort feiern sie ihre Wiedervereinigung und die zueinander konträren Charaktere liefern sich trockene Wortgefechte über ihre unterschiedlichen Standpunkte, geben einander Halt. Doch als Eves „kleine“ Schwester Ava (Mia Wasikowska), ein exzessives, mondänes It-Girl aus L.A., nach 87 Jahren unangekündigt wieder auftaucht, stellt sie die verschrobene Beziehung mit ihrer tollkühnen Unbedachtsamkeit auf eine Bewährungsprobe.
Trotz misanthropischer Depression hat Adam eine ausgeprägte Ader für weltlichen Materialismus, so hat er sich ein düsteres, mit schweren Vorhängen verhangenes Heimstudio zu eigen gemacht, ein Refugium aus zahlreichen, wertvollen Instrumenten, und analogem Musikequipment. Das Szenenbild stilisiert hier bewusst einen Retro-Schick hoch, der einstweilen als hipstery verklärt wird, in Musikerkreisen jedoch seit jeher zum guten Ton der Metasprache gehört. Auch dass das fast hippiesque und poesieaffine Wesen der Eve, die es vorzieht in der erst Beatnik- dann späteren Hippie-Pilgerstätte Tanger zu leben, scheint eine bewusste Anspielung. Bei der äußerlichen Abrundung der Figuren fallen die obligatorischen Kostüme im Renaissance- bis Undergroundlook auf und die großen, schwarzen Sonnenbrillen, hinter denen sich die Vampire zu jeder Zeit bei stockfinsterer Nacht verstecken. Der Regisseur setzt jedoch allzu typische Klischees oder stock characters des Vampirgenres nur bedingt ein, vielmehr geht es ihm um die Liebesgeschichte und die Komplexität der Figuren. Bewusste Gimmicks wie Bluteis am Stil lassen den nötigen Humor bei der Versessenheit auf Ikonisierung nie außer Acht. Schließlich wird hier Underground und Schrulligkeit bewusst authentisch dargestellt, um sie auch im gegebenen Maß anschließend der eigenen Widersprüchlichkeit preisgeben zu können.
Die Metaphorik des Vampirismus könnte kaum passender gewählt werden, sie greift auf mehreren Ebenen. Zum einen suggeriert sie die Zeiten überdauernde, ewige Liebe zweier Charaktere, zum anderen steht sie für Konfrontation hochintelligenter und eigenwilliger Charaktere, die von der Schnelllebigkeit der Gegenwart eingeholt und entfremdet wurden, jedoch in existenzieller, organischer Abhängigkeit zum Menschen stehen. Durch das Sprechen und Handeln der Vampire werden aktuelle Entwicklungen in Kunst, Politik und Technik kritisch hinterfragt, während sich die Vampire insgeheim als weise Wohltäter und Menschenfreunde entpuppen. In der zynischen Überspitzung und Ablehnungshaltung des von sich selbst überzeugten Künstlervampirs Adam wird im Gegeneffekt dem elitären Glauben der Kulturschaffenden ein Antlitz von menschlicher Schwäche verschafft, nämlich die der Selbstüberschätzung. Dies wird zum doppelbödigen Leitfaden des Films, in dem es vor Klischees des verkannten Genies und ausgestoßenen Künstlers nur so wimmelt. Doch selbst als vom Dasein und dem Leben anderer geplagter, niedergeschlagener Vampir, kann man sich der Magie der künstlerischen Anerkennung und des Existenzerhalts nie ganz entziehen, was die Absurdität der Einsamkeit und den Sonderweg des Künstlers auf der Schattenseite des eigenen Wahns ergründet.
Sicherlich ist Jarmuschs neuer Streich ein Hochgenuss für griesgrämige Nonkonformisten und (Gelegenheits-)Künstler. Solche, die dem Teenie-Vampirismus trotzen, über die Mainstreamkultur gerne mal ihre Nasen rümpfen oder sich in der Nachtschwärmerei ganz zuhause fühlen. Sie werden einen Narren an dem Film fressen, sich dank minutiöser Detailverliebtheit und intertextueller Anspielungen auf die Musik- und Kunstwelt dem Nerdismus wahrlich frönen können. Doch im immerwährenden Schatten der zynischen Selbstdestruktivität des Vampirs Adam und der schematischen Konstruktion seines Grams auf ein feindliches Umfeld werden auch sie das eine oder andere Mal den Spott auf sich zurückprallen sehen. Denn fernab der Kontextualisierung um Underground, Musik und Kunstverklärung wohnt dem Film eine universelle, existenzialistische, wehmütige Nachdenklichkeit bei: eine Sinnsuche zwischen dem Zwang des Erhaltungstriebs und einer tiefen Verzweiflung über die Fehlbarkeit des eigenen Seins. Was auf den ersten Blick als exzentrische Melancholie und sündhafter Glaubensverlust im klassischen Vampirmotiv per se als zeitlos verstanden werden kann, lässt sich anderseits ganz zeitgemäß als Individualismuskritik und elitäre Missgunst umdeuten. Seine Vampire sind dadurch komplexer, menschlich-unberechenbarer und gegenwartsnäher, als es uns seit Langem im Kino gebetsmühlenartig verflachend vorgekaut wurde. Wir werden Zeuge einer wahren Enthauptung des seichten und ausufernden, Populär-Vampirkults im Postmillennium, erleben stattdessen eine qualitative Rückbesinnung zu Bram Stokers klassischer Vampirzeichnung: der Vampir als zurückgezogener und geplagter Zweifler im Zwielicht der Existenz. Und am Ende bleibt darüber hinaus ein sehnsüchtiger Film über eine innige Liebe als leidenserprobter Zusammenhalt und den schwärmerischen Drang als andererseits Ausgestoßene in Würde weiterzuleben.
Trotz aller Grübeleien und des Zweifels über die Fehlentwicklungen der Gesellschaft aus Sicht der ewig Lebenden, philosophischer, wie unterschwelliger Anspielungen ist „Only Lovers Left Alive“ ein hinreißend sinnlicher Film. So sinnlich, dass das über streckenweise Handlungsarmut im Plot vertröstet und einen ganz und gar für sich gewinnen lässt. Jim Jarmuschs Stil, dessen Werke oft als lakonisch und tempoarm beschrieben werden, mag nicht jedermanns Sache sein. Doch sein Vampirfilm entfaltet eine ganz andere, nie da gewesene, schleichende Dynamik – natürlich mit angezogener Handbremse, alles andere erschiene in der Präsenz der mythischen, kultivierten Nachtwesen garstig befremdlich. Das mag insbesondere daran liegen, dass das vampirische Dasein seiner Hauptcharaktere eine Endlosschleife ist: die Kontinuität muss nicht mehr künstlich durchbrochen werden, um abstrakt zu wirken. Psychedelische, schleppende Filmsequenzen, die streckenweise einen klassischen 68er Experimentalfilm heraufbeschwören und sich rotierende Vinylplatten untermauern den Eindruck der Unendlichkeit.
Dieses raumschaffende, träumerische Erzählen rückt zwangsläufig die Musik in den Mittelpunkt. Die kratzigen, psychedelischen Garagenrocktöne Jarmuschs eigener Band Sqürl stoßen auf die hypnotischen Klangwelten des minimalistischen Komponisten Jozef van Wissems, gepaart mit etwas sechziger Jahre Soul und den orientalischen Klängen der Sängerin Yasmine Hamdan. Im bizarren Zusammenspiel verstärkt sie den Fokus auf die kapriziösen Stimmungen und Eindrücke, und lässt die primäre Handlung des Films beiläufig werden. Die Kinematografie von Yorick Le Saux steht in enger, symbiotischer Beziehung zur Musik und besticht durch ihre nächtliche Impressionen und sparsamen Lichteinsatz, keine einzige Szene spielt zutage. Die Erkundungstouren durch die dunklen Straßen Detroits und die engen Gassen Tangers vermitteln eine surreale Roadmovie-Ästhetik und symbolisieren die Neugierde und Suche des Liebespaares, beleben Trägheit mit einem Eifer nach Erfahrung und Abenteuer. Der Durchbruch der Linearität ist in „Only Lovers Left Alive“ gewollt und auf allen Gestaltungsebenen stimmig umgesetzt.
Unverkennbar Jarmusch? Zum einen bleibt er seinem schwarzkomödiantischem Schema und dem Grundthema der getriebenen und suchenden Seelen treu, zum anderen findet er für seinen ersten expliziten Musiker- und Liebesfilm eine eigentümliche Ästhetik und Rahmenhandlung, die sich selbst zu jeder Zeit, ganz selbstironisch in ihrer Romantisierung, über die eigene Künstlichkeit bewusst ist, sie durch die stilsichere und metaphorische Umsetzung dennoch vergessen machen lässt. Diese Tatsache macht den Zynismus im Film sonderbar scharf und allgegenwärtig. Zwar zückt Jarmusch die passenden Griffe aus dem Repertoire vergangener Filme, ahmt sich dabei aber nie einfallslos nach und schenkt den Dialogen wieder eine größere Bedeutung.
Manche Filme sind in ihrer Symbolik wie ein Kunstwerk, das man kurz betrachtend entweder Zuspruch oder Abneigung erteilt, bevor man bereit ist, in die Tiefe zu gehen. Altbekannt hier sei bei aller Komplexität: Man mag etwas, oder eben nicht. „Only Lovers Left Alive“ mag so ein Kunstfilm sein, der von dieser subjektiven Prüfung besonders befangen ist: Typisch Jarmusch. Eklektische Arthaus-Referenzialität bis übermannende Selbstverliebtheit, übermäßig codiertes und effekthaschendes Erzählen können ihm seine Missgönner a limine und zweifelsohne stets vorwerfen. Denn auch in diesem Werk steht Ausdruck und Idee an sich mehr im Vordergrund, als eine scharf gewundene Story oder gar eine Auflösung solcher. Doch da der Film auch durch seine Vieldeutigkeit und Genreübergreifung brilliert, uns eine ungewöhnliche Liebesgeschichte gleichermaßen in bildlicher Schwere und ironischer Coolness entfaltet, wird die Tatsache, dass die Protagonisten Vampire sind, im großen Ganzen genauso zur Nebensächlichkeit, wie die pointierten Anspielungen auf die Underground- und Kunstszene. Genau deshalb müsste der Funke auch über die Kernzielgruppe hinaus sprühen, um neue Fans in seinen Kosmos aufzusaugen. Denn wie ein arbiträres Bild kann man diesen Film aus verschiedensten Perspektiven betrachten, erforschen oder sich einfach bestens von seiner Gegenwart unterhalten fühlen. Diese Bereicherung macht diesen neuen Jarmusch erfrischend und untypisch, und je nach Befindlichkeit weniger kopflastig. Es ist in der Tat eines seiner besten Werke bis dato, und dazu das atmosphärisch-dichteste seit „Dead Man“ (1995).
„Only Lovers Left Alive“ ist ein vieldeutiger Film über Existenz und Zeit, über Aussterben und Erhaltung, zum Sich-darin-verlieren und Wiederauferstehen. Er ist eine zynisch-bissige, bildhafte Underground-Parodie, vollgepackt mit selbstironischen Pointen, und zugleich eine authentische Hommage an die Zweisamkeit. Gestalterisch ein anschwellendes Wechselspiel aus Stille, Verdruss und Betörung wie in einem langen Instrumentalmusikstück, das uns rastlose Konzepte der Sinnsuche entlocken kann, aber letztendlich bei aller Wehmut und Schwarzseherei auf die Liebe des Hier und Jetzt besinnen will. Gleichwohl können die mystische bis dröhnende Musik, der dialogische Wortwitz und die ausdrucksstarken Figuren in einen kurzweiligen Bann versetzen, der insgesamt einen stimulierenden Nachhall hinterlässt. Im Dunstkreis von Poesie und starrer Coolness, zwischen Undergroundkino, Kunstsatire, exzentrischer Individualismuskritik, Romanze und skurrilem Vampirgenre trifft „Only Lovers Left Alive“ einen ganz eigenen Ton, den Jarmusch in dieser Form nie zuvor halten konnte. Unter dem elitär-solitären Schleier des Vampirismus ist es ein skurrilst humorvoll und geistvoll inszenierter, filmischer Romantic post-rock – in seiner geheimnisvoll-nächtlichen Ästhetik mitreißend elektrisierend. Der Film-Vampir ist wieder legitimiert, und wir ganz angebissen: Jarmusch in Höchstform! Alles schleicht, grübelt und flüstert: Kultfilm.
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