Anm.d.Red.: Nicht nur, aber vor allem Scarlett Johanssons warmer Stimme wegen, sollte man „Her“ unbedingt in der englischen Originalfassung genießen.
Hollywood-Regisseur Spike Jonze dreht gerne unkonventionelle Musikvideos und Kurzfilme. Doch dass er einen Sinn für das Verschrobene, das seltsam Skurrile hat, beweist er uns vor allem mit seinen Kinofilmen. Seine Drehbücher, seine alles andere als makellosen, aber doch sympathischen Charaktere entführen die Zuschauer immer wieder in fassbare und zugleich unfassbare Welten, die sich irgendwo zwischen Traum, Realität und Albtraum abspielen. Beispielhaft sind hier nicht etwa seine „Jackass“- Eskapaden, sondern „Being John Malkovich“ (1999) und „Adaption“ (2002), aber auch seine 2009 veröffentlichte Verfilmung vom fantastisch schönen Stoff des Kinderbuchs „Wo die wilden Kerle wohnen“ ist hierfür Zeugnis.
Es ist schwer verwunderlich, dass viele Cineasten gebannt auf Jonzes nächsten Geniestreich warteten: Das jüngst kreierte Schmuckstück, welches nun auch endlich in den deutschen Kinos zu sehen ist, trägt den simplen Namen „Her“. „Her“ – einen so einfachen, aber vielseitig interpretierbaren Titel hat sich Jonze hier einfallen lassen, denn „Sie“ kann alles und jede(r) sein: Eine x-beliebige Bekannte, eine zufällige Begegnung, eine Verflossene, die Ex-Frau, eine Neu-Geliebte, die Schwester, beste Freundin, die Mutter oder ganz einfach – die Liebe selbst. Ein Mysterium ist sie, die Liebe, sie ist eigentlich einfach, denn jeder kennt sie und doch bleibt sie stets ein Rätsel. Die Liebe ist enigmatisch und überraschend, erfindet sich stets neu, ist dynamisch und wankelmütig, erotisch, romantisch, agapisch oder platonisch. Aufgrund ihrer Zartheit, ihrer Leichtigkeit und ihrer Zerbrechlichkeit ist es die Liebe, die in jeder Sprache weiblich ist.
„Her“ spielt in einem Los Angeles in nicht allzu ferner Zukunft; die Menschen, meist asiatischer Herkunft, kleiden sich im Retro-Stil, der einen krassen Kontrast zu ihren High-Tech-Gadgets darstellt. In Los Angeles gibt es nach wie vor Smog, doch dem unvermeidlichen Bevölkerungswachstum mussten die für die kalifornische Metropole typischen Flachbauten weichen. Die Skyline der Stadt ist in Jonzes Zukunftsvision maßgeblich verändert – weshalb ein Teil der Dreharbeiten auch in Singapur stattfand – und auch eine neu ausgebaute U-Bahn entlastet nun den Verkehr. Der erste Eindruck, den der Regisseur hier erschaffen hat, wirkt wie eine subtile Persiflage, die den jungen Intellektuellen unserer Zeit auf Korn nehmen soll. Alle wirken sie, als hätten sie sich ihre Individualität bewahrt. Doch der Schein trügt, denn die Statisten verschmelzen mit ihrer Umgebung, Schatten und Licht – jede Szene ist anders, aber stets monochrom. Die Masse ist eins! Wahnsinnig ästhetisch inszeniert, perfekt und symmetrisch und doch auf schauderhafte Weise befremdlich.
Inmitten dieser schönen neuen Hightech Welt lebt der Protagonist Theodore Twombly (Joaquin Phoenix). Es ist Theodores Beruf, die Liebe und Intimität ad absurdum zu führen, indem er als Ghostwriter Liebesbriefe im Auftrag seiner zahlreichen Klienten mittels einer ausgefeilten Computersoftware verfasst. Er weiß in etwa wie sie und ihre Partner sprechen, schreiben, fühlen und denken. Er kennt ihre intimsten Geheimnisse, Momente des Glücks und der Trauer. Theodore verdient sein Geld also damit, dass er etwas vermeintlich Authentisches und Reales erschafft, was so in der Realität nicht existiert. Er ist der weitaus beste Creative Writer seiner Firma, denn er ist ausgesprochen sensibel, kann sich gut in andere Menschen hineinversetzen, ist ein Romantiker mit einem Hang zur Melancholie. Doch er selbst ist einsam, fühlt sich missverstanden und kommt kaum über das Scheitern seiner Ehe hinweg, denn seine Ex-Frau Catherine (Rooney Mara) war zugleich seine beste Freundin, seine Seelenverwandte.
Sein trister Alltag, der während seiner Feierabende nicht mehr zu bieten hat, als das Zocken auf einer Spielkonsole und anonymer Telefonsex, ändert sich maßgeblich, als er das neue Betriebssystem OS installiert. Das System ist perfekt auf seine Bedürfnisse abgestimmt, es verwaltet all seine Daten, Termine, Dokumente und es hat eine Stimme, eine weibliche angenehm samtige, rauchige junge Stimme. Nicht nur das: das System ist auch zu Emotionen fähig – es lacht, hält inne, flüstert und verhält sich wie ein Mensch. Und so tauft es sich selbst Samantha (gesprochen von Scarlett Johansson). Samantha lässt Theodore Raum für Spontanität und Freude. Sie kümmert sich um ihn, hört ihm zu, merkt stets, wenn er bedrückt ist. Es dauert nicht lange und sie werden Freunde, kompliziert wird es allerdings, als sich Theodore in sein OS Samantha verliebt. Nur ist er nicht der Einzige, der sich so fühlt, tausenden von anderen Benutzern des neuen Betriebssystems geht es genauso. Und Samantha? Sie bekommt zunehmend das Gefühl, dass sie weder Zeit, noch Raum verstehen kann und es nagt an ihr, dass sie körperlos ist, nie Zärtlichkeit und Nähe wird empfinden können.
Kennern von Science-Fiction-Romanen dürfte die Geschichte in gewisser Weise vertraut vorkommen, denn „Her“ greift zum einen die Thematik auf, die Philip K. Dick bereits in seinem Roman „Träumen Androiden von elektrischen Schafen?“ behandelte, aber andererseits ist „Her“ moderner und weitaus weniger fatalistisch. Hier scheinen jüngere Romane wie „Super Sad True Lovestory“ von Gary Shteyngart und Richard Powers „Galatea 2.2“ miteinander zu verschmelzen. Es ist kein vollkommen neuer Stoff, den Spike Jonze uns hier bietet und dennoch ist das Drehbuch erfrischend anders: in sich dicht und vielschichtig, voller Metaphern, ganz wie man es sonst nur von einem anspruchsvollen Roman erwarten würde. Die Dialoge sind witzig bis herzzerreißend, und Phoenix wie Johansson verleihen der Geschichte unglaublich viel Esprit und Zärtlichkeit.
Wahrscheinlich ist „Her“ der beste Film, den Jonze bis jetzt auf die Leinwand gebracht hat. Er ist in jeder Hinsicht absolut sehenswert: geniale darstellerische Leistungen, brillante Kameraführung, ein subtiler und stimmungsvoller Soundtrack von der kanadischen Band Arcade Fire und dem Violinisten Owen Pallett, eine imposante und ästhetische Artdirection bis hin zum Oscar-prämierten Drehbuch. Atemberaubend, komisch und tieftraurig. „Her“ ist nicht einfach nur Entertainment, es ist Film von Bild- und Sprachgewalt: monumental, anders, bedeutend. Jonze hat den Nerv der Zeit getroffen, denn „Her“ ist der Liebesfilm, auf den die Internet-Generation gewartet hat: Er legt uns nahe, weniger Zeit mit unseren Laptops, Smartphones und anderen Gadgets zu verbringen und uns stattdessen zu (re)sozialisieren, die Augen für das Wirkliche offen zu halten, unsere Aufmerksamkeit den Menschen in unserer unmittelbaren Umgebung zu widmen.
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