Mat Kirkbys „The Phone Call“ stand mit neun weiteren Filmen in der Vorauswahl für eine Nominierung bei den Oscars in der Kategorie „Bester Realkurzfilm“ und wurde als einer von fünf Beiträgen nominiert.
Melancholisches Geklimper. Warme Bilder, langsame Kamerafahrten. Eine auf den ersten Blick schrullig-schüchterne Hauptfigur, die sich nicht traut, ihren ebenfalls introvertierten Arbeitskollegen um ein Date zu beten. Schon eingeschlafen? Wäre schade. Denn nach den ersten zwei bis drei Minuten, die laut „Ich bin eine quirlige Indieperle vom Fließband, nur in Kurzform“ schreien, entpuppt sich Mat Kirkbys Kurzfilm „The Phone Call“ als angenehm unaufgeregte, gefühlvolle und toll gespielte Auseinandersetzung mit den Themen Liebe und Suizid. Ja, Suizid. Kam unerwartet, oder?
Heather (Sally Hawkins) arbeitet in einem Seelsorge-Telefoncenter. Als sie eines Tages normal ihrer Arbeit nachgeht, ruft sie ein besonders verzweifelt scheinender, zuerst sehr wortkarger Herr (Jim Broadbent) an. Er hat eine Überdosis Pillen geschluckt und scheint dem Tod nahe. Heather tut alles, um dem Mann zu helfen und erfährt nach und nach die Gründe für dessen Verzweiflungstat.
Eine subtile Spannung durchzieht „The Phone Call“ zu Beginn. Die Motive des Anrufers erscheinen vage und es bleibt zunächst unklar, ob er vielleicht noch mehr getan hat, als lediglich sich selbst eine Überdosis Antidepressiva zu verpassen. Doch recht zügig wird klar, dass es sich hierbei nicht um einen Film handelt, der irgendwann mit einem müden Twist um die Ecke kommt. Im Vordergrund steht das Schicksal von Stanley – so gibt der Anrufer zunächst vor zu heißen – und wie er an den unwiderruflichen Punkt gekommen ist, an dem er sich nun befindet. Der Grund für seine Entscheidung zum Selbstmord ist so erschütternd wie banal: Seine Frau ist gestorben und er kann ohne sie nicht mehr leben. Auf beachtlich einfühlsame und leise Art taucht der Film ein in die kleinen Anekdoten, die Stanley über sich und die Liebe zu seiner Frau erzählt. Mitreißend und absolut authentisch kommen die Dialoge daher, auch dank der hervorragenden Leistung von Jim Broadbent, der hier für keine Sekunde zu sehen ist und lediglich durch den Einsatz seiner Stimme zu begeistern weiß. Auch Sally Hawkins überzeugt problemlos mit kleinen Gesten, die Heathers Mitgefühl und Anspannung nachvollziehbar machen.
Das größte Lob muss man „The Phone Call“ sicher in seiner feinfühligen und neutralen Darstellung des schweren Themas Suizid aussprechen. Man hat es bei Stanley weder mit einem übertrieben Depressiven am Ende der Leitung zu tun, noch gibt es irgendwelche außergewöhnlich abtrünnigen Gründe für seine Verzweiflung. Es ist lediglich ein liebender und todtrauriger Ehemann, der die wichtigste Person seines Lebens verloren hat. Eine alltägliche Situation also, die jeden treffen kann. Nicht aufmerksamkeitsheischend, sondern ruhig, leise und unaufgeregt ist „The Phone Call“ in dieser Hinsicht. Berührend und nachdenklich stimmend. Und auch wenn die letzte Szene des Films nicht unbedingt hätte sein müssen, so unterstreicht sie die Grundbotschaft dieses Mini-Dramas abermals und findet eine positive Schlussnote: Die Liebe zu einem anderen Menschen ist das Größte, was man erfahren kann. Es gilt, sie so lange festzuhalten, wie es uns möglich ist. Das ist nichts bahnbrechend Neues, wird aber auf solch einfühlsame Art nicht allzu oft präsentiert.
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