Sahim Omar Kalifas „Baghdad Messi“ stand mit neun weiteren Filmen in der Vorauswahl für eine Nominierung bei den Oscars in der Kategorie „Bester Realkurzfilm“, wurde jedoch nicht nominiert.

Fußball ist die Welt. Selbst dort, wo es scheinbar keinen Medienbaron und keine westliche Zivilisation schert; es kein Internet, keine Telefone, kein fließend Wasser gibt – nur Zurufe, Handschläge, einen Kuss auf die Wange und rollenden Ball über Sand. Einige wenige Privilegierte besitzen in einem irakischen Dorf nahe Bagdad trotzdem einen klobigen Kasten, den unsereins kaum noch als Fernseher erkennen würde. Aber stolz sind sie dennoch auf ihre Flimmerkiste. Immerhin reicht die älteste Technologie, um sich die Spiele von Ronaldo, von Messi, von Ronaldo gegen Messi, von Manchester United gegen den FC Barcelona anzusehen. Und wer die Gemeinde kostenlos mitschauen lässt, ist König – auch auf einem Bein. So wie der zehnjährige Hamoudi (Ali Raad Al-Zaydawi), der allen stolz sein Messi-Trikot präsentiert; selbst, wenn er seinem Vater nur eine Tüte Tomaten an den Marktstand trägt. Als der Fernseher in seinem Haus jedoch ausfällt, entziehen ihm die anderen Kinder im Gegenzug das Privileg, in ihrer Fußballmannschaft Torhüter zu sein. Mit ihm würden sie ohnehin nur verlieren. Der Einbeinige ist gut genug für die Abend-, nicht aber für die Tagesunterhaltung. Stattdessen steht fortan ein Mädchen zwischen den Steinen.

Hamoudi ist jener „Baghdad Messi“, dem Sahim Omar Kalifa seinen vierten Kurzfilm widmet – wie auch seiner Heimat, dem Irak, wo er 1980 in der Autonomen Region Kurdistan geboren wurde. Vielleicht erklärt sich so die Beiläufigkeit der Geschehnisse, die nichts weiter als banalen Alltag zeigen, doch aus den Augen des Westens fortwährenden Krieg bedeuten. In den Herzen der Kinder ist dieser Krieg aber lediglich eine Randnotiz: Denn er findet abseits ihres Dorfes statt; im großen Bagdad, zwischen Betonruinen und vereinzelten Läden, um zu essen oder einen Fernseher reparieren zu lassen. Die Gefahr, welche Hamoudis Vater anspricht, ist nichtig und das Finale der Champions League wichtig genug. Zumindest damals, 2009. Regisseur Kalifa drängt seine Geschichte nicht weiter als offenkundig, hält seine Inszenierung und Handkamera stabil, die Motive simpel, doch in seiner geringen Laufzeit weitreichend. „Baghdad Messi“ zeigt ohne Sensationalismus, wie das Leben anderswo in gleicher Ödnis verläuft, doch worauf wir unsere Blicke nicht mehr richten wollen. Denn wir sind übersättigt vom Leid.

Der Einbeinige aber ist König. Doch wie alle Herrscher muss auch er einsehen, dass seine Herrschaft Opfer fordert. Und es ist ein bitterer Preis, den Hamoudi letztlich zahlt – obwohl seine Mannschaft gewinnt und sein Held ein Tor schießt.

Meinungen

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