Manchmal staunt man als Zuschauer nur fassungslos vor sich hin, wenn man ein dilettantisches Werk von Altmeistern und Altmeisterinnen der filmischen Kunst vorgesetzt bekommt. Im Falle von „Die abhandene Welt“ der bereits seit 1975 aktiven Regisseurin Margarethe von Trotta weicht dieser Schock jedoch schnell einem akuten Lachanfall. Als ob sie beweisen müsste, wie fern sie vom Zeitgeschehen abhandengekommen zu sein scheint, inszeniert sie eine taktlose und technisch mickrige Schmonzette fernab grundlegender Nachvollziehbarkeit, die als Variante von Tommy Wiseaus „The Room“ durchgehen könnte. Allein das Konzept sorgt für rollende Augen: Per Zufall findet das tattrige Nervenbündel Paul Kromberger (Matthias Habich) im Internet ein Foto der deutsch-italienisch-amerikanischen Opernsängerin Caterina Fabiani (Barbara Sukowa) und stellt fest, dass diese seiner jüngst verstorbenen und ihn in der Nacht als Geist heimsuchenden Ehefrau Evelyn verblüffend ähnlich sieht. Aus diesem Grund fordert er seine Tochter Sophie (Katja Riemann) auf, nach New York zu fliegen und einem vermuteten Geheimnis nachzugehen. Das macht sie auch ganz lapidar, wie sich auch sonst Riemanns Darstellung jeder Überzeugungskraft und Sympathie vonseiten des Zuschauers widersetzt.

Die Schauspielführung lässt zwar nicht nur sie mit falscher Theatralik im Stich, aber war es denn wirklich nötig, mehrere Gesangseinlagen in minutenlangem Selbstzweck (sogar über den Abspann heraus) einzuwerfen? Vor allem, wenn darin noch versucht wird, eine Sexyness auszustrahlen, die zum Fremdschämen einlädt und von Dialogen sowie Gesten der Marke Ulli Lommel unterfüttert wird? Sei es drum – im nächsten Augenblick schreitet die Prätension schon mit übertünchtem Operngesang über die Seelenbilder eines Designerhauses am See hinüber zum Gegenschuss einer verdutzt dreinschauenden Riemann, die ohne Weiteres sofort in New York steht. Folgend begibt sie sich in eine Vorstellung der vermuteten Doppelgängerin und zieht dort die Blicke des langhaarigen Leslie-Nielsen-Imitats Philip (Robert Seeliger) auf sich, während ihr im Gespräch mit Caterina initiativ bedeutungsschwanger die Tränen kommen. Ein charakterlicher Aufbau ist zwar alles andere als gegeben, doch jene demonstrative Rührseligkeit auf Rosamunde-Pilcher-Niveau muss als Emotion reichen. So offenbart sich auch der restliche Anspruch der Handlung, eine weit hergeholte Familienkiste zu offenbaren, die zudem so trocken inszeniert ist, dass man manchmal eine Weile braucht, um herauszufinden, was ernst oder leichtherzig gemeint sein soll – wie der Kampf zwischen lästernden Greisen der Familie Kromberger.

Das Ensemble an unfreiwilligen Lachern kommt ohnehin schnell in geballter Ladung zusammen. So wirkt schon die vermeintlich weltgewandte Vermischung von deutscher und englischer Sprache im New Yorker Umgangston bemüht und zudem teils platt nachsynchronisiert. Dann wären da aber noch die Handyanrufe des alten Paul, der eher einem Helge-Schneider-Film entkommen zu sein scheint und zusammen mit seiner Tochter Sophie im Streitgespräch jede Minute Stimmung und Erklärungsbereitschaft wechselt. Bei seinem Anblick der schließlich bei ihm eintreffenden Caterina hält er sogar wie ein Vampir zur Sonne die Hand vors Gesicht und keucht den Namen Evelyn, woraufhin sie im Gegenschnitt proklamiert: „Ich bin Caterina“, gefolgt von einem tonlosen amateurhaften Zoom aus dem Ende einer jeden Seifenoper. Barbara Sukowa wird sowieso eher von ihrer Regisseurin vorgeführt, indem sie teilweise auf unvorteilhaften Opernfotos dargestellt wird, die audiovisuell wie Pointen behandelt werden oder auch mal einen minutenlangen Gesangsauftritt im TV hinlegt, bei dem Paul per Fernbedienung wortwörtlich einen digitalen Vorhang zuzieht – als ob Fernseher sich normalerweise wirklich so ausschalten lassen. Von Trottas Realitätsverständnis gründet sich hier auch auf einer Frauenromanfantasie, die voll spannungsfreier Selbstverständlichkeit Abziehbilder von Figuren zum Ziel der Familienzusammenführung finden lässt und dabei nicht einmal die Wirksamkeit der RTL-Sendung „Vermisst“ erreicht. Stattdessen werden triviale Konflikte beschrien und zigmal über dasselbe Maisfeld zur Besinnlichkeit gezwungen, dass es den Zuschauer einerseits auslaugt und andererseits massiv unterhält.

Dennoch bleibt der fade Nachgeschmack eines unverschämt belanglosen Werkes, das von mehreren Stellen gefördert wurde und einer Regisseurin zugutekommt, die hier weder etwas Interessantes zu erzählen hat noch jenes Prozedere interessant inszenieren kann. Digitale Hochglanzbilder im Breitwandformat werden eben auch nicht besser, wenn biedere Wohnungen zum Lebensraum moderner Frauen erhoben werden und dazu immer das passende Glas Wein zur Seite gestellt wird. Es ist das selbstgefällige Abbild einer High Society, der man auch nicht kritisch entgegenkommt, sondern auch noch die Wünsche von den Lippen abliest. Das Witzige an ihr sind trotzdem die zwischenmenschlichen Konflikte, die ausgerechnet nur bedingt einem menschlichen Verständnis entsprechen und sich so ungelenk in Situationen wiederfinden, dass „Die abhandene Welt“ als Lacherfolg zu werten ist. Schlimm nur, dass es offenbar als ernstgemeintes Gefühlskino konzipiert war.

Meinungen

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