Eine verbotene Vierecks-Beziehung, viel nackte Haut und die allzu bekannte Tragödie bedingungsloser Liebe vor der prächtigen Küste New South Wales’: „Tage am Strand“, basierend auf der Erzählung „Die Großmütter“ (aus „Ein Kind der Liebe“) von der kürzlich verstorbenen Literatur-Nobelpreisträgerin Doris Lessing, handelt von zwei eng miteinander befreundeten Frauen, die sich in die heranwachsenden Söhne der jeweils anderen verlieben. Es ist eine pikante Geschichte für dessen Regie wohl kaum jemand besser geeignet wäre als die Französin Anne Fontaine („Coco Chanel – Der Beginn einer Leidenschaft“), denn Ästhetik und Erotik scheinen für sie elementare Aspekte eines Films auszumachen. Bereits 1980 versuchte sich Fontaine im berühmt-berüchtigten Softporno-Verschnitt „Zärtliche Cousinen“ von David Hamilton als Schauspielerin. Ähnlich wie Lessings Kurzgeschichte ist der Film eine ästhetische, wenn auch schwer verdauliche Herausforderung an sein Publikum. Hier darf der Zuschauer die finsteren Tiefen seiner eigenen Moral und Ethik hinterfragen – wenn er Fontaines Film denn so viel Bedeutung zusprechen will. Frei nach Lessings Credo wird suggeriert, dass ein Publikum mündig ist – sich sein eigenes Bild von gewissen Umständen machen sollte.
Zu Beginn sehen wir zwei blonde Mädchen, Lil und Roz. Sie genießen die Sonnenstrahlen, das Meer, sind ein Herz und eine Seele. Es ist das Paradies auf Erden, festgehalten in wunderschönen Bildern – doch kurz darauf schwingt die Stimmung um. Die beiden Mädchen sind junge Mütter geworden, Lils Mann ist tot und hinterlässt sie und ihren gemeinsamen Sohn Ian. Vor der Kulisse von gerade eben, sehen wir nun Trauer anstelle von Glück. Ein Schicksalsschlag, den Lil (Naomi Watts) nur dank ihrer Freundin Roz (Robin Wright) zu überwinden vermag. Irgendwann sind Lils und Roz’ Söhne Tom (James Frecheville) und Ian (Xavier Samuel) erwachsen, aus kleinen Jungs sind „junge Götter“ geworden und sie sind ebenso wie ihre Mütter beste Freunde. Alle vier sind stolz aufeinander, sind unzertrennlich und fühlen sich vor allem zueinander hingezogen.
Schnell wird man in der Vermutung bestärkt, dass die Aktualität der griechischen Tragödie wohl nie ausstirbt: Die verheiratete Roz stürzt sich mit Ian in eine Affäre. Nach anfänglichem Zögern folgen Lil und Tom ihrem Vorbild – das Ganze wirkt zugegeben irgendwie ödipal. Dem Zuschauer wird spätestens jetzt bewusst, warum Sophokles stets von Göttern und Königen erzählte, denn Normalsterbliche würde ein solches Schicksal nur im Tagtraum ereilen. Trotz aller Faszination für die Epen und Legenden längst vergangener Zeiten wird man feststellen dürfen, dass man glücklicherweise „nur“ ein gewöhnlicher Mensch ist. Die zu Beginn des Films faszinierend schönen Bilder werden schnell langweilig. Während die jungen Männer surfen, werden sie von ihren Sonnen badenden Müttern angeschmachtet, einzige Abwechslung bieten die ästhetischen Sexszenen und die abendlichen Gespräche der vier Charaktere. Eine gefühlte Stunde fühlt man sich, als sei man in einer fegefeuerartigen Dauerschleife eines Calvin-Klein-Werbespots gefangen. Man fragt sich, wie viele Strand- und Strandhaus-Szenen man noch länger ertragen muss. Mehr oder weniger überraschende Wendungen folgen und retten die Dynamik des Films.
Temporärer Mangel an Mut, getrieben von vermeintlich richtigem Handeln – oder vielmehr sich den Erwartungen, den gesellschaftlichen Normen beugend, zeigt dieser Film auch, wie falsche Entscheidungen vielleicht nicht das eigene Leben, aber teilweise das anderer Menschen ruinieren können. Man erwartet einen leichtfüßigen, erotischen Ausflug, der letztlich doch als emotional aufreibende Reise mit bitterem Beigeschmack endet – selbst das vermeintliche Happy End bleibt Definitionssache.
Der Film ist in gewisser Weise unterkühlt, denn der ewige Sonnenschein am Strand ist nicht gerade herzerwärmend. Jeder Sonnenstrahl, der die halb nackten Körper der Protagonisten in ihrem eigenen Glanz erstrahlen lässt, wirkt irgendwie blaustichig. Die von Anne Fontaine auf die Leinwand gebrachte Geschichte ist auf das eigene Leben nicht anwendbar, obwohl sie doch so sehr von Liebe handeln soll. Nach außen hin wird das Mysterium der Liebe hier als etwas Schönes, Anmutiges dargestellt, doch so wie Lil und Roz diese Liebe ausleben, erscheint Liebe nicht als etwas Gnädiges, sondern als purer Egoismus, ein Abbild zarter, weiblicher psychischer Gewalt, geprägt von Sentimentalität. Nebst der zeitlosen Schönheit, welche den gesamten Film über gehuldigt wird, überzeugt Naomi Watts als einfühlsame, zerbrechliche Lil und Robin Wright als ihr toughes, rationales Gegenstück Roz. Aber die Australier Xavier Samuel und James Frecheville sind in ihrer Darstellung, trotz oder vielleicht gerade wegen ihrer jugendlichen Adoniskörper, eher austauschbar. Wie Abercrombie-&-Fitch-Models in Szene gesetzt, wirkt es fast, als seien sie nur dazu da ihren Leinwandmüttern ordentlich den Kopf zu verdrehen; bedauerlicherweise liegt dies weniger an den männlichen Newcomern, als am Drehbuch des Briten Christopher Hampton („Gefährliche Liebschaften“).
Die Handlung von „Tage am Strand“ ist zu unalltäglich, um zu berühren, zu inzestuös, um sexy zu sein, und zu bildverliebt, um von inhaltlicher Tiefe zu sprechen. Zudem flacht die anfängliche Begeisterung, in der man als Zuschauer schwelgt, deutlich ab. Der Mangel an Dynamik macht es umso schwerer, sich ab einem gewissen Zeitpunkt wieder auf den Film einzulassen, nicht zuletzt, weil das Glück der Protagonisten auf dem Unglück der Nebencharaktere basiert. Zu viel David Hamilton, zu wenig Louis Malle.
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