Die Insassen von Guantanamo Bay sind keine Gefangenen, sondern Häftlinge. Angesprochen werden sie mit Nummern, Namen haben sie keine mehr. Auch die Wachen haben für die Häftlinge keine Namen. Alles ist vollkommen anonym. Niemand ist gerne in diesem Loch, das für seine fehlende menschliche Würde und Grausamkeit bekannt ist. Doch sie bleiben dort. Für die Verteidigung der Freiheit. Falsches Pflichtbewusstsein oder reiner Patriotismus?
Die meisten dort postierten Soldaten sehen ihre Zeit als Wachen als Verschwendung oder eine Strafe an. Dort bleiben sie nur, weil es Befehl ist. Weil es von einer höheren Instanz befohlen wurde. Gerechtigkeitsempfinden gibt es nicht, Loyalität nur zur Autorität und Gehorsamkeit zu jeder Zeit.

Kristen Stewarts eiserne Maske der Emotionslosigkeit kann sie auch in „Camp X-Ray“ nicht ablegen, doch passt ihr ewig leidender Gesichtsausdruck in die Sterilität des Gefängnisses. Selten bricht Stewart aus ihrem Mantra aus und nutzt die eingefädelte Freundschaftsgeschichte für Emotionen. Stattdessen versiert sich Stewart auf ihre Unfähigkeit und aus ihrem Charakter den Stereotypen eines Soldaten: folgsam, bisweilen aufsässig; moralisch und hinterfragend. Als Einzige sieht sie in den Häftlingen Menschen, was so weit geht, dass sie eine freundschaftliche Beziehung zu einem der Gefangenen aufbaut. Ihr Freund Ali interessiert sich für Bücher – besonders für Harry Potter –, kommt aus Deutschland und ist in allem so ganz anders als der Rest der Insassen. Dennoch ist der Codename „Alfred Hitchcock“ in seiner Akte vermerkt: Der Psychiater hausiert öfters bei ihm. Ist er nun ein begabter Schauspieler, der nur mit ihr, Amy Cole, spielt oder hat er tatsächlich Interesse?

Nicht selten blickt man auf die Interaktionen der beiden Protagonisten und hinterfragt den Sinn dieser Beziehung. Mit welcher Intention setzt Peter Sattler, der Regisseur, seine Figuren dieser Problematik aus, wenn er gänzlich darauf verzichtet, die für diese Thematik wichtige Moral zu hinterfragen und so stattdessen alles dem Fatalismus überlässt? Sattler blickt auf Guantanamo Bay mit einer geschichtspolitischen Quisquilie. Fragen nach Schuld und Unschuld gibt es nicht. Die einseitige Betrachtungsweise der Hintergründe führt zu einer Stigmatisierung jedes Insassen der Haftanstalt. Bei allen, bis auf Ali. Dieser bibliomane, soignierte und beizeiten juvenile Mann darf sie mit „Blondie“ ansprechen, während andere die schwarzen Schafe in der weißen Herde sind. Ali distanziert sich so sehr von seiner ihm zugewiesenen Gruppe, dass er zum ausgewiesenen Filius wird. Der verstoßene Sohn, der doch so anders denkt als der Rest. Es mangelt an Novitäten und scheint, als seien alte Denkansätze repliziert und mithilfe weniger Handgriffe zugunsten der „Liebesgeschichte“ angepasst worden.

Versucht sich der Film darin, Emotionen hervorzurufen, bleibt bis auf das leidlich überemotionale Ende nur eine sakrosankte Einseitigkeit. Die dicke Stahltür fungiert nicht nur als physische Mauer, sondern hält auch psychische Distanz. Der innere Konflikt über richtig und falsch ist hier eine rudimentäre, dem Soldatenalltag unterworfene Nichtigkeit. Weder eine wirkliche Liebesgeschichte noch ein humanitäres Soziogramm oder ein politisches Statement kommt bei „Camp X-Ray“ wirklich zustande. Emotional gesehen stagniert der Film aufgrund seiner Distanz und für die politische Auseinandersetzung mit Guantanamo Bay fehlt jede Form von Mut, Entschlossenheit und tieferes Interesse. Ob der Film nun im Wald, unter Steinen oder New York gespielt hätte – für den Inhalt des Films hätte es keine Auswirkungen.

Die träge Inszenierung Sattlers passt zu dem elegischen Ort des Gefangenlagers. Die Häftlinge sehen keine Hoffnung mehr in ihrem Leben, die Wände sind kahl, der Staub draußen trocken. Nur die Wachen sehen ab und an etwas Freiheit, wenn sie entspannt auf dem Meer treiben und angeln. Doch bleibt diese formelhafte Trostlosigkeit, dieses Desinteresse der Thematik gegenüber nur ein theatralisches Wetteifern um wichtige Themen und moralische Ansätze. Sattlers wertungsfreie Betrachtung hätte seinen Reiz, würde es in „Camp X-Ray“ nicht um zwei Menschen gehen, die eine Freundschaft aufbauen, sondern um das namensgebende Gefangenenlager. So werden nur Emotionen evoziert, die zwar traurig stimmen, weil sich zwei Menschen im Angesicht der Ungerechtigkeit nicht finden dürfen, doch mit politischer Implikation und Brisanz nichts zu tun haben. Es ist ein Abnicken des Großen und Ganzen, ohne zu beachten, was wirklich wichtig ist. Dass Cole aus ihrem heilen Örtchen ins kalte Wasser geworfen wird und sich als Soldat nun mit Dingen konfrontiert sieht, die für sie vollkommen neu sind, scheint egal zu sein. Ein „Shitcocktail“ und sexuelle Übergriffe reichen aus, um sie als weiblichen, weniger starken Soldaten zu brandmarken und zu vergessen. Da kommt eine Romanze, das freundschaftliche Finden von Wache und Häftling, einer folgerichtigen Konsequenz gleich. Denn wie sonst soll man die Geschichte weiterführen, wenn das Restliche nicht interessiert?

Meinungen

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