Jeden Tag kann es passieren, dass wir uns mit unbekannten Ereignissen oder Situationen konfrontiert sehen. Solche eben, denen wir rat- und machtlos die Selbstaufgabe anbieten müssen, ehe wir überhaupt einen Weg ergründen, sie zu verstehen oder gar zu überwinden – darin steckt keine Schande, da Überforderung jeden treffen kann. Wer hingegen glaubt, dass er unnahbar für derartige Erfahrungen geworden ist, sollte seinen Standpunkt nochmals überdenken, falls ihm eines Tages „The Assassin“ über den Weg läuft. Der neue Film von Hou Hsiao-Hsien erscheint als letztjähriger Gewinner der Besten Regie bei den Filmfestspielen von Cannes sicherlich wie ein reizvoller Pflichtbeitrag zur internationalen Filmszene – doch wehe dem, der diese Auszeichnung als Einladung versteht. Nun hat unkonventionelles, langsames oder kryptisches Kino ja durchaus seinen Reiz, sofern es sich mit Mitteln außerhalb des Narrativs erklären und nachfühlen lässt. Der Regisseur dieses Werkes hat es allerdings nicht darauf angelegt, in Rätseln zu erzählen – umso belastender gestaltet sich die Wirkung seines Endproduktes.

Jene Geschichte um die Gewissensbisse der Auftragsmörderin Nie Yinniang (Qi Shu) zur Zeit der Tang-Dynastie definiert sich schlicht in einer Langsamkeit, die jeden Schritt zum Verständnis im Treibsand versickern lässt, während das Schauspiel in ebenso bemühter Askese eingeht. Die forcierte Sedierung des Wuxia-Plots gängigster Form erschlägt zudem mit Massen an innenpolitischen Details, die genauso wie Anekdoten aus der Vergangenheit unseres Ensembles in aller Fülle nacherzählt werden müssen, anstatt sie (gerne auf kreativem Wege) zu zeigen. Die resultierende emotionale Distanz geht sodann einher mit einem Mangel an Stimmung, der größtenteils als Natürlichkeit von der strikt nüchternen Sorte vorherrscht. In der Komposition der Bilder tummelt sich hier schon reichlich Schönheit eines vergangenen Chinas im Monarchenzeitalter, das seine wahrhaftigen Identitäten hinter Schleiern der Vergangenheit verstecken muss. Eleganz und Anmut beherrschen die Szenerie im Drang zur Ausstattung und geradlinigen Behutsamkeit, obgleich dessen Plansequenzen meist gewöhnliche Inhalte und Bewegungen vermitteln.

Der Film kann es dabei nicht vermeiden, in Unwesentlichkeiten abzudriften, welche dem Aufbau einer Atmosphäre noch weniger dienlich sind, je weniger sie zu einem zentralen Gefühl, Protagonisten oder ähnlichem beitragen. Dies addiert sich zur ohnehin ausgewiesenen Sperrigkeit, die ihr Schutzschild in unregelmäßigen Abständen mit schnell geschehenden sowie abflauenden Schwertkämpfen herunterlässt, um dazu einen beinahe ironischen High-Energy-Soundtrack vorzuweisen. Der stilistische Kontrast verinnerlicht durchaus den Gedanken einer plötzlichen Eruption, die ohne Vorahnung in eine Welt der monarchischen Gemütlichkeit schießt, obwohl Yinniangs Vergangenheit mit dieser Halt vor Konsequenzen macht. Zur Verinnerlichung eines moralischen Konflikts oder kontemplativer Ambivalenzen reicht die Inszenierung jedenfalls nur bedingt, hält sich vage und teilnahmslos, bis einige Impressionen doch die Poesie von Stille, Ehre und Gnade vervollständigen und nicht bloß das blutleere Prozedere altertümlicher Politik in den Fokus rücken.

Meinungen

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