Rache ist seit jeher ein starkes Stichwort, wenn es um das Wesen von dramatischen Geschichten geht, von gewissen Psalmen der Bibel aus bis hin zum ewig währenden Actionkino. Dass sie trotz aller Widersprüche der Gutgläubigkeit ebenso als fester Bestandteil in der Geschichte der Menschheit und Menschlichkeit besteht, macht ihren universellen Einsatz umso nachvollziehbarer. Sodann erlebt man ihre einschlagende, emotionale Macht erneut in dem hierzulande bezeichnenderweise als „Auge um Auge“ betitelten Film von Scott Cooper, der mehr oder weniger subtil biblische Funktionen der Rache im Kontext eines pathetischen Hoheliedes auf das Herz Amerikas einsetzt.

Da ruht zwischen den Tälern und malerisch-leidenschaftlichen Gitarrenklängen die herzliche Kleinstadt mit dem Stahlwerk als zentralen Antrieb (siehe auch „Die durch die Hölle gehen“ von 1978 und „Maria’s Lovers“ von 1984) – die bodenständigen Einwohner finden sich mit einer ebenso Ereignis-freien Zufriedenheit ab, solange man mit einem anständigen Job den Status quo aufrechterhält. Als Vertreter der allgemeinen Arbeiterschaft kommt Russell Baze (Christian Bale) hervor, der Tageintagaus Schweißarbeit leistet und auf den zu Hause sein treues Girl Lena (Zoe Saldana) wartet. Nebenbei pflegt er schweren Herzens den kurz vor dem Tode stehenden Vater, der ebenfalls einst im Stahlwerk malochte – eine Familie hält nun mal zusammen und ist in diesem Fall auch ein beständiger Diener der Heimat.

Denn es kommen erneut schwierige Zeiten auf alle zu: das im warmen, kastanienbraunen 35mm eingebettete Americana erlebt die Folgen von Bushs War on Terror an den Heimkehrern, die voller innerer Traumata keinerlei Perspektiven mehr für sich sehen. So ergeht es Russells Bruder Rodney (Casey Affleck), welcher derartig vom Konzept des befohlenen Tötens eingenommen ist, dass er sich sein Geld mit illegalen Straßenkämpfen verdient und so mit allen Mitteln nach einem abstrakten Höherem strebt (selbst, obwohl Russell ihm zuspricht, doch denselben heimatverbundenen Weg des Vaters und des Bruders im Stahlwerk einzuschlagen). Was in Kathryn Bigelows „The Hurt Locker“ noch auf der Bildebene zur letzten Konsequenz wurde, wird hier zur ausgesprochenen Verzweiflung. Ringsherum brodelt sich nämlich ein finsterer Tumor aus Verbrechen, Drogen und Gewalt um die Gemeinde herum zusammen: die inzüchtigen Hillbillies, die sich seit Jahrhunderten wie die Taliban in den Bergen verstecken, führen im selbstgefälligen Nihilismus die Zersetzung der Heimaterde aus und hüllen ihre verkommenen Behausungen in keimig-schummriges Neonlicht. An vorderster Spitze: Harlan DeGroet (Woody Harrelson), eine rücksichtslose Bestie aus den vergifteten Tiefen des Proletariats.

Ihn gilt es von Anfang an zu bezwingen, doch zunächst schlägt Russell, der designierte Verteidiger dieses Fleckchens US-amerikanischer Erde, durch einen von ihm leichtsinnig verursachten Autounfall einen Leidensweg ein, für den er Buße im Gefängnis tut, dort jedoch ebenso die verbrecherische Gewalt an der eigenen Haut erfährt, sie seitdem zutiefst verachtet. Zudem wird ihm der Vater genommen, weil er nicht bei ihm sein konnte und auch Lena zieht es zum einheimischen Cop Wesley Barnes (Forest Whitaker) hin, währenddessen Obama ins weiße Haus berufen wird. Die Zeiten ändern sich nun mal und Russell wird irgendwann freigelassen, sofort wieder herzlich in die Gemeinde aufgenommen – seinem Stahlwerk droht jedoch, geschlossen zu werden und auch Lena verliert er für immer aufgrund ihrer neuen Schwangerschaft, die er mit bitterer Einsicht akzeptieren muss. Jene Offenbarung gehört übrigens zu den emotionalen Höhepunkten des Films, dicht gefolgt von Russells demütigen Niederlegen eines Blumenkranzes an der Unfallstelle von einst.

Unser Blue-Collar-Held verkraftet jedenfalls so gut es geht diese Pein, muss jedoch mit ansehen, wie ihm sein zielloser Bruder langsam entgleitet. In einer Parallelmontage erleben wir sodann die Zerstörung dessen im gnadenlosen, ekstatischen Kampfgetümmel, während Russell bei der Jagd einen Hirsch verschont – die Unschuld in dessen Augen fördert nämlich bei ihm im Angesicht seiner eigenen Schuld ein Zeichen der Gnade zutage, dennoch ist er pflichtbewusst mit dabei, wenn Onkel Red (Sam Shepard) sein geschossenes Wild ausweidet. Doch das Bruderherz bleibt verschwunden, man weiß jedoch, wer dahinter steckt. Das schreit nach direkter Vergeltung über dem Gesetz hinaus, doch die Einsicht hält zunächst das Schlimmste zurück.

Russell lässt sodann ebenso Lena vollends ziehen und verbrüdert sich voller Demut mit seinem einfühlsamen Nebenbuhler Wesley, schließlich jagen sie gemeinsam denselben Feind. Zusätzlich verfolgen allesamt in diesen schweren Zeiten ein Leitthema der opferreichen Entsagung, kratzt doch jeder einen guten Teil seines Abendessens in den Mülleimer ab, wahrscheinlich in der Hoffnung der Wiederkehr alltäglicher Harmonie. Nachdem jedoch traurige Gewissheit über der gesamten Situation herrscht, ist der Schmerz wieder im vollen Gange und so zieht Russell trotz persönlich-tiefen Begegnungen mit Gnade und Vergebung (unter anderem bei innigen Kirchenbesuchen) eine brachiale Konsequenz der endgültigen Rache. Für ihn und den Film wird das jedoch zur rechtschaffenen Tat, erlegt er doch den Virus, der sein Land und seine Leute verpestet, direkt inmitten dessen Herzens: der Stahlfabrik – womit er zudem die frühesten Erinnerungen verbindet. Folglich wird seine Tat nicht bestraft, diente sie doch der Verteidigung der Heimat.

In diesem Umkehrschluss findet sich eine Blut-&-Boden-Mentalität, die vollends einhergeht mit der hier beständigen Emotionalisierung des amerikanischen Heimatgedankens. Regisseur Cooper, der zuvor schon mit „Crazy Heart“ (2009) eine um Wärme anbiedernde Ballade über einen alternden Country-Sänger schuf, denkt hier ebenso in musikalisch-ästhetisierten Einheiten: Da bedient er sich alteingesessenen Werten und Bildern von Geborgenheit, Kraft und Trauer im Mittelstand der amerikanischen Kultur, während auf der Tonspur die musikalische Entsprechung jener Gefühle fortlaufend unterstrichen wird. Dabei skizziert er mit ökonomischer Selbstverständlichkeit die Stationen seines leidenden Volkshelden auf dem Weg zur christlichen Einsicht, ergibt sich aber auch gleichsam plumpen, gewaltbereiten Konventionen, die folgerichtig dem bornierten Rache-Gedanken zusprechen und mit sadistischer Drastik an die niedersten Instinkte des Zuschauers appellieren – erst recht, da der Widersacher als Drogen-verseuchter, verwildert-unmenschlicher Dämon gezeichnet wird, der die eventuelle Gnade nicht verdient hat (was übrigens ein juristisches Nachspiel für die Filmemacher hatte, da sie damit eine tatsächliche Gemeinde in ein allzu schlechtes Licht stellten).

Die Todesstrafe wird in diesem Film über das scheinbar-kontemporäre Amerika zur persönlichen Genugtuung nochmals forciert – sie gehört zur Seele des Landes und des normalen Arbeiters einfach dazu, will man uns letztendlich vermitteln. Was aber lediglich hängen bleibt, ist die Ernüchterung über allzu vorhersehbare Genre-Wege, die trotz des ausgezeichneten, um Authentizität bemühten Casts nur in recht wenigen Momenten eine eigene, feste Persönlichkeit über dem Standard des Pathos hinaus vorweisen können. „Auge um Auge“ ist insofern, um das alles nochmals auf einen musikalischen Nenner zu bringen, nicht mehr als ein abgedroschener Country-Song, der trotz angedeuteter, künstlerischer Finesse nur die alten Werte beschwören will.

Meinungen

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