Eine japanische Sirene lockt – und bezirzt über 317 Minuten. Aber sich vor ihr deswegen fürchten? Aus Angst, in fünfeinhalb Stunden ungleich mehr Leben zu bestaunen? Hamaguchi Ryûsuke interessieren jene Bedenken nicht; er kümmert sich sogar wenig genug um sie, dass er uns manchmal in Echtzeit zeigt, wie Film funktioniert, wenn er nicht mit starren Gummibändern dressiert wird. So sehen wir ein Seminar zu innerer und äußerer Balance, eine Runde Mahjong während eines Besuchs im Thermalbad, die Lesung einer jungen Autorin – und ein Ehedrama in drei Akten; von der Erkenntnis, zum gerichtlichen Scheidungsverfahren, bis zur Flucht ins Exil. Immerzu folgt Hamaguchi dabei vier Frauen in Kōbe und ihrer engen Freundschaft, die seit der gemeinsamen Schulzeit besteht. Doch sie bröckelt, als eine von ihnen beschließt, sich auch auf dem Papier von ihrem Mann trennen zu wollen. Und plötzlich hadern ebenso die anderen drei mit ihren einst zementierten Lebensentwürfen, die sich als Trugbilder entpuppen und nichts weiter sind als illusorische Träume. Aber blind werden sie dennoch nicht – nur offener für ihre Wünsche abseits gesellschaftlicher Normen, denen sie in Bussen, Bahnen und Restaurants permanent unterliegen.
Nicht nur darin ist „Happy Hour“ ein urjapanisches, graziöses Gedicht, welches sich viel Zeit lässt und seinen vier Frauen – wundervoll verkörpert durch Kawamura Rira, Kikuchi Hazuki, Mihara Maiko und Tanaka Sachie – wie Blättern im Wind zuhört. Die Faszination dieses Films rührt jedoch vor allem aus der Vitalität, mit der Hamaguchi seine Protagonistinnen bereit ist zu zeichnen. Und dabei ein ums andere Mal vergisst, dass seine unermüdliche Struktur aus den Fugen gerät, obwohl sie gerade in jenen Momenten aufblüht, die keine feste Form imitieren und keine melodramatischen Exzesse forcieren. Schon bevor dieser Film allerdings eine Exposition wagt, ziert ihn Abe Umitarôs Score: als leises Seufzen in Streicherklängen, die immer dann zum Vorschein kommen, wenn Gefühle oder Gedanken nicht an die Oberfläche brechen dürfen. Es ist eine eigenartige Mentalität zwischen alten und neuen Traditionen, die auf diese Weise entsteht und sich für westliche Kulturen beinahe klammheimlich entfaltet. Hamaguchi Ryûsuke füllt eine leere Fläche, in dem das eigentlich Fremde zur Heimat wird – gerade weil uns 317 Minuten gegeben werden, um diese Fläche zu entdecken. Was wäre jene „Happy Hour“ schließlich in neunzig Minuten?
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