Ein Sturm säuselt mit Brachialgewalt um die kahlen Gesteinsbrocken in den französischen Cevennen; und trifft schließlich auf Körper: die menschlichen und tierischen Subjekte des folgenden Wahns, müde in aller Rast. Die Natur empfängt Heinrich von Kleists „Michael Kohlhaas“ wütend, schreiend, tosend – gleich eines Neugeborenen, welches sich noch gegen das Leben, die nun präsente Kälte zur Wehr setzt. In Arnaud des Pallières freier Adaption der leichthin als Novelle klassifizierten Revolte eines Mannes gegen den Absolutismus begehren die Gewalten dies und jenseits des Weltlichen zwar ebenso auf, doch ihnen folgt eine Stille, die niemals aus ihrer Verfremdung drängt, sondern von einer Abwesenheit auf die Gegenwart reproduzierbarer Elemente lebt. Vermeintliche Bewegung entpuppt sich als Stillstand; Stillstand als vermeintliche Systemkritik. Der Rosshändler Michael Kohlhaas reitet selbst in dieser Kultur versetzten Symptomatik ganz urtypisch in das Verhängnis der Gesetzlosigkeit. Ein Passierschein wird verlangt, wo es keinen zu verlangen gebe. Zwei Rappen soll er als Pfand zurücklassen, der Pfand soll zur Grundlage des Frevels werden. „Das Rechtgefühl aber machte ihn zum Räuber und Mörder“ heißt es bei Kleist – des Pallières stockt schon hier, den gewalt(ät)igen Hypotaxen vermag er zu entfliehen. Nicht nur ist dies schade, es wirkt geradezu schändlich.
Denn die Sprache Kleists sehnt Kohlhaas’ Streben einen Rhythmus und innere Einigkeit herbei, es brechen Fugen, Wort für Wort staut sich eine Frage, deren Antwort mit der Aktion dahinter kollidiert, bis Leidenschaft und Raserei alle drei zu einer Laune des Zufalls degradieren. Jener vollends Kleist’sche Kohlhaas hadert mit sich, seiner Klage, dem Schutz seiner Familie und, als diese beinahe nicht mehr existent ist, mit dem von ihm verlangten Gesetz, allen Gesetzen zu trotzen. So rechtschaffen Kohlhaas zunächst in Wort und Tat scheint: Seine Läuterung folgt umso herber, dass von diesem einst reinen Mann just in seinem Hass der Mensch von zuvor nur abkehren konnte. Weil Kleist zudem in maximierter Radikalkur gegen uns Leser schreibt, analysiert er den Akt Kohlhaas’ vehementer als es mit parataktischer Schlichte erreicht werden könnte.
Nun liegt jedoch allein in der Präsentation des Kohlhaas durch den sonst so verführerisch kernigen Mads Mikkelsen (man denke nur an den nicht nur sinnbildlich Blut weinenden Schurken Le Chiffre aus „Casino Royale“) etwas im Argen, wo man gemeinhin keinen Ansatz zur Kritik wagen wollte: Weder sollte Kohlhaas nämlich als der einsilbige, gar einsame Reiter im Krieg gegen seine narzisstischen Widersacher agieren, noch sollte ihm selbst diese Fehlinterpretation oder -adaption seine Ambivalenz rauben. Mikkelsen spielt nach dem Plan des Drehbuchs von Christelle Berthevas (und des Pallières höchstselbst) eingeengt zwischen notwendiger (aber narrativ bizarr ausgeführter) Differenzierung und wundersamer Maskulinität. Selbst ein bisschen zu gut sieht Mikkelsen als Kohlhaas für eine Erzählung Mitte des 16. Jahrhunderts aus, was gewiss noch hinzunehmen wäre, da man sich der filmischen Fiktion ohnehin fortwährend bewusst ist.
Dafür gewinnt man bisweilen den Eindruck, in einem modrigen Western zu waten, der schon im Jahrzehnt seiner Veröffentlichung seltsam staubig wirkte. Alle Aktion wird ausgeblendet – der Kampf wagt sich als einzige Auslassung in diesen „Michael Kohlhaas“. Der englische Titel versteht das exzellent: Dort fügte der Verleiher in weiser Voraussicht noch „The Age of Uprising“ vorne an, um wenigstens das Kleist-averse Publikum zu locken.
Jede treibende Wut verliert sich bei des Pallières. Es bleibt immer nur Stille – und die Stille kann und konnte bislang keineswegs die Syntax eines Heinrich von Kleist tragen. Selbst als vom wuchtigen Werk gelöste Spielerei mag sich des Pallières konsequent nicht zurechtfinden – dafür schlingert er (sogar vorsätzlich) befreit von jeder Dynamik irgendwo in den Wirrungen eines Krieges um Gesetz und Gesetzlosigkeit, obwohl er ohne maßgeblichen Kontext (und dazu gehört hier ebenso die Sprache als Mittler) nur über die kongeniale Tongestaltung und die den Cevennen inbegriffene Macht überhaupt ein äußerlich schmuckes Gerüst baut. Bei aller Schändung bleibt daher zumindest die raue Schönheit als Begleiter durch dieses dröge Stillleben.
Vielleicht dachte des Pallières ohnehin vielmehr an einen Essay des Heinrich von Kleist: „Über das Marionettentheater“ behandelt eine spezifisch menschliche Unvollkommenheit, die als Verlust an „Anmut“ bezeichnet wird, aber offenbar auch als Mangel an „Natürlichkeit“ oder „Unschuld“ aufgefasst werden kann. Besser ist sein „Michael Kohlhaas“ nicht zu klassifizieren. Der Film atmet (zu) schwer an seiner Unvollkommenheit, nicht nur des literarischen Urmaterials, sondern einer packenden Genrespezifikation gegenüber.
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