„Dämonen und Wunder – Dheepan“ ist nicht das schlechteste Beispiel eines Weltkinos, das dieses Jahr die Gunst der Jury des Festival de Cannes ergattern konnte. Doch im Vergleich zu den Alternativen wirkt er gewöhnlich, weshalb sein Gewinn vor allem wie eine nachgeholte Ehrerbietung scheint. Der Gewinner der Palme d’or macht in der jüngeren Filmografie von Jacques Audiard einen nur schwachen Eindruck, insbesondere, da die Gefühlsintensität seines Regisseurs ausgerechnet hinsichtlich der politischen Relevanz nur selten durchkommt. Die Geschichte des Flüchtlings Dheepan (Jesuthasan Antonythasan), dessen neue Identität eine Ersatzfamilie mit sich bringt, folgt den routinierten Pfaden eines Integrationsdramas, das sich vom Krieg in Sri Lanka in die Gettos Frankreichs einzugliedern versucht. Größtenteils setzt es dabei auf Realismus, dem die Mechanismen der Migrationspolitik vorausgehen. Audiard vermeidet insofern zunächst eine Verharmlosung und Verhärtung des sozialen Konflikts und folgt mit einfacher Optik den Abläufen des Einlebens und der Kommunikation inmitten der Brennpunkte von Armut, Gewalt und Mindestlohn.
Indem er seinen thematischen Fokus auf die Ersatzfamilie Dheepans legt, aus deren Zwang Regelmäßigkeit entsteht, entzieht er sich zudem manipulativen Plakativitäten. In diesen Rahmenbedingungen baut der Film gelassen die Wege seiner drei Hauptcharaktere auf: Dheepan wird der Hausmeister der Blocks, „Ehefrau“ Yalini arbeitet als Pflegerin und „Tochter“ Illayaal geht zur Schule. Durch die schlichte Dramaturgie schleichen sich aber ebenso Unruhen ein, die von der äußeren Kriminalität ausgehen, obgleich Oberhaupt Brahim ambivalenter Natur scheint und Konflikte somit erst nur im Raum schweben. Da Audiard diese letztlich anorganisch löst, streckt sich die Laufzeit auf ungewisse Zwischenstationen und erzählt bruchstückhaft vom ewigen Krieg, dem Frust eines forcierten Zusammenlebens, den Wünschen der Individuen und rücksichtslosen Brutalität einer entfremdeten Gesellschaft. Umso befremdlicher folgt die Auflösung, welche sich in seiner gehetzten Eskalation zum Rachethriller auf den Spuren von „The Raid“ stilisiert.
Nicht, dass es nur wenig Vorzeichen für eine derartige Entwicklung geben würde – die Eindrücke stapeln sich nur bedingt zu einer Notwendigkeit, die eine Verinnerlichung, auch mit den Charakteren, erwirken könnte. Audiard gelingt zwar deren konkrete Einführung, weniger allerdings ihre Weiterentwicklung, die durch das Finale jäh eingedämmt und in einen Epilog geworfen wird, der dem Ton des Films jede Kraft raubt. „Dheepan“ weiß, wie seine Charaktere, nicht wohin und improvisiert daher eine filmische Lösung, die nicht befriedigt und den gesamten Verlauf im Nachhinein schmälert. Es bleibt weniger Herzschmerz für die Belange des Ensembles als in der Hinsicht, wie Audiards inszenatorische und empathische Qualitäten hier ins Konventionelle abdriften. Zeitweise spürt man noch die Lust zum Knalleffekt und zur unmittelbaren Verzweiflung, doch auch diese lässt sich von plumpen Impulsen zum Menschenfremden leiten. Wie die Côte d’Azur daran vorbeischauen konnte, bleibt ein Rätsel – Gewinner jedenfalls sehen anders aus, selbst wenn ihr Herz am rechten Fleck schlägt. Die Politik muss sich entkrampfen, nicht nur gegenüber dem im Film dargestellten Schicksal, sondern auch gegenüber der Funktion des Films als Politikum.
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