Charlotte Rampling und Tom Courtenay, beide Filmikonen ihrer Generation, verkörpern in „45 Years“ ein altes Ehepaar, das kurz vor seinem bevorstehenden 45. Hochzeitstag von einem längst vergangenen Ereignis eingeholt wird, welches die Beziehung bis in ihre Grundfesten erschüttert und ein gänzlich neues Licht auf den gesamten Bund wirft. Die eingefrorene Leiche von Geoffs Jugendliebe Katya wurde in den Schweizer Alpen entdeckt. Diese kam vor mehr als fünfzig Jahren bei einem tragischen Unfall vor seinen Augen ums Leben, und ihr Körper wurde erst jetzt im Gletschereis wiedergefunden. Mit anfänglicher Resignation und fortschreitend immer größerer Sorge beobachtet Kate eine zunächst innere und bald auch äußere Wandlung ihres Mannes, den der Fund mehr zu beschäftigen scheint, als er ihr gegenüber eingestehen möchte. Er zeigt sich zunehmend distanzierter und verschlossener, derweil ihn alte Erinnerungen in Anspruch nehmen. Die Auswahl der Songs, die am bevorstehenden großen Tag gespielt werden sollen, die Zusammenstellung der Häppchen, die Planung der Tischordnung und andere Entscheidungen, die zu treffen sind, bringen Kate zudem aus dem Konzept. Eine unverhohlene Fremdheit hat sich in ihren geregelten, vertrauten Alltag und die gemeinsame Liebe eingeschlichen.
Mit entblößender Genauigkeit und Empathie demontiert Regisseur Andrew Haigh die Ehe der beiden Hauptfiguren. Sein Film funktioniert als erstaunliches Gegengewicht zu seinem thematisch ähnlichen „Weekend“, in dem er die Ungewissheit einer gerade neu begonnenen Beziehung analysiert. Besonderes Mitgefühl schafft Haigh hier für Kates Figur, durch deren Augen er die Geschichte erzählt. Ungeübte Betrachter könnten sich schnell täuschen, denn die simpel wirkenden und langen Bildkompositionen des anerkennenswerten Kameramanns Lol Crawley sind in ihren subtilen Bewegungen und Schärfenverlagerungen ungeheuer präzise und machen die zerbrechenden Gewohnheiten und Eigenarten des gealterten Paares auf intensivste Weise spürbar. Selten brachte ein Film so deutlich zur Geltung, wie enorm wichtig auch die Körpersprache eines Schauspielers ist – Tom Courtenay, der sich zumeist im Hintergrund und auf den ersten Blick unauffällig bewegt, befindet sich durch seinen Gestus stets im Dialog mit der augenscheinlich fokussierten Charlotte Rampling. Kates zuerst widersprüchliche und irrationale Gefühle, die sich in einer eingebrannten, retrospektiven Eifersucht manifestieren, nachdem sie Parallelen zwischen ihr und der Jugendliebe ihres Mannes entdeckt, fängt Charlotte Rampling in feinsten Nuancen exakt und treffsicher ein.
Psychologisch klügstens ausgearbeitet, ist „45 Years“ auch ein zugleich nostalgischer Film, der zwei Heilige des Kinos der sechziger Jahre vereint und nicht nur dank des zutiefst bewegenden, finalen Monologes von Tom Courtenay schon jetzt zu einem der brillantesten, intelligentesten Dramen des Jahres gezählt werden darf. Schlichtes, pures Schauspielkino in seiner reinsten, schönsten Form. Für ihr exzellentes Spiel wurden die beiden Hauptdarsteller gerechterweise mit dem Silbernen Bären bei der diesjährigen Berlinale gewürdigt.
Meinungen
Teile uns deine Meinung zu „45 Years“ mit. Die Angabe eines Namens, einer korrekten E-Mail-Adresse sowie der Kommentartext sind verpflichtend. Alle Meinungen werden moderiert.