Der Vater ist tot und die gesamte Familie kommt für seine Trauerfeier zusammen. Die drei Töchter samt Partner und Kind, Schwägerin mit Familie und Violet, die verwitwete Ehefrau. Eigentlich sind sie sich alle so fremd geworden und führen völlig isolierte Leben, die miteinander nichts mehr zu tun haben. Sie interessieren sich nicht füreinander, wissen nichts voneinander und sind eigentlich nur gekommen, weil es ihre Pflicht ist. Nur Violet, die Matriarchin des Hauses, scheint niemals den Überblick zu verlieren. Kein Geheimnis bleibt verschont. Sie weiß alles und spricht auch alles an, egal wie viele Menschen sie damit verletzt.

Die Erwartungen an die schwarze Komödie „Im August in Osage County“ von John Wells waren hoch. Vor allem wegen ihrer vielen grandiosen Schauspieler: Meryl Streep, Julia Roberts, Juliette Lewis, Margo Martindale, Chris Cooper, Ewan McGregor, Sam Shepard, Benedict Cumberbatch. Die Liste ist unendlich. Dennoch wurde dem Film schnell vorgeworfen, dass er der Intensität des Theaterstücks von Tracy Letts nicht gerecht würde. Derartige Vergleiche zwischen Theater und Film sind oft eine leichte Ausrede, um sich nicht näher mit dem Film, der Verfilmung auseinandersetzen zu müssen. Ein Urteil ist schnell gefällt und meist kommt die Adaption auf der Leinwand ja sowieso nicht an das Original heran. Auch in diesem Fall ist die verloren gegangene Intensität ein sehr harter und unberechtigter Vorwurf. Denn „Im August in Osage County“ lebt sehr wohl von seiner intensiven Dynamik, die aber letztendlich anders beschaffen ist als auf der Bühne.

Wir sehen die scheinbare Idylle Osage County, Oklahoma. Leere Straßen, weite Felder, das warme Orange des Sonnenuntergangs. Unheimlich schöne Bilder, die einen Gegensatz zum zerrissenen, grotesken Familienalltag darstellen, aber leider nur als Rahmen, als bloße Kulisse dienen und mit der eigentlichen Handlung nichts zu tun haben. Dennoch sind es gerade diese Landschaftsaufnahmen, die uns in die ländliche Welt Oklahomas entführen und den Charakteren in „Im August in Osage County“ Tiefe und Glaubwürdigkeit verleihen. Dieses Gefühl von einer fremd gewordenen Heimat, einem Ort, vor dem man zu flüchten versucht, und einfach doch immer wieder genau dorthin zurückkehren wird. Gerade die Synthese aus gewohntem Ungewohnten beschreibt die Dynamik zwischen den Figuren so wunderbar: Sie ist die Stärke des Films, aber vor allem seiner Protagonistinnen. So ist es beispielsweise die wunderbare Szene auf dem Heufeld, Mutter und Tochter, vereint und doch allein. Sie sind gefangen in der heimatlichen Einöde und doch auch irgendwie frei auf diesem weiten Heufeld.

Das eigentliche Geschehen von „Im August in Osage County“ spielt sich allerdings zwischen den Landschaftseindrücken ab, in den vier Wänden des Weston-Clans. Trotz der Bildergewalt lebt der Spannungsbogen des Films vor allem von den individuellen Solo-Paraden der Figuren beziehungsweise ihrer Schauspieler. Violet (Meryl Streep) ist das neurotische, tablettenabhängige Familienoberhaupt, Barbara (Julia Roberts) die frustrierte Ehefrau und verlorene Tochter. Letztere hat die Familie vor vielen Jahren verlassen, um sich ein eigenes Leben aufzubauen, weit abseits von der verrückten Einöde Osage County. Dann kehrt sie nach dem Tod ihres Vaters zurück. Und was findet sie vor? Alles ist wie immer. Die gewohnten Tabletten- und Alkoholexzesse der Mutter, die gegenseitigen Anfeindungen und Vorwürfe innerhalb der Familie. Geheimnisse, über die man lieber nicht spricht. Schlichtweg Chaos. Gebrüll, Gekreische, Gewimmmer. Das ganz gewöhnlich Weston-Wirrwarr so scheint es.

So sehr sie sich gegenseitig auf den Geist gehen, sind sie sich letztlich doch unheimlich ähnlich und auch nah – gefangen in ihrer Einsamkeit und ihrer Angst vor der Zukunft, vor dem, was kommen wird. Violet ist jetzt allein, krank, komplett auf sich alleine gestellt und möchte einfach nicht alt werden. Denn im Gegensatz zu Männern altern Frauen nicht schön, sie werden einfach nur alt und hässlich. Ein unerträgliches Schicksal für Violet. Barbara hat dabei mit ganz anderen Problemen zu kämpfen, denn sie wurde von ihrem Ehemann Bill betrogen und steht kurz vor der Scheidung. Beide Frauen befinden sich in einer aussichtslosen Situation, in der sie eigentlich halt in der Familie finden sollten.
Nicht so in „Im August in Osage County“. Die Familie wird zum Käfig voller Narren, zu einer Psychiatrie, in der man sich selbst zu heilen versucht und letztlich alles nur viel schlimmer macht.

Meinungen

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