Aus hiesigen Landen kommt manch unterschätzter Veteran nur selten zu Ehren. Deshalb widmen wir uns dem Werk von Hans W. Geißendörfer in einer Retrospektive voller Filmschätze. Einer davon heißt „Sternsteinhof“.
Wenn es um den deutschen Genrefilm und seine Vergangenheit geht, ist der Heimatfilm nicht wegzudenken. Er mag von außerordentlichem Kitsch gekennzeichnet sein – aber manches Werk konnte daraus Melodramatisches oder Psychopathisches zaubern, fernab von Liebeleien hinein in finstere Herzen und morbide Eigenarten, die sowohl in Schwarz-Weiß als auch in Agfacolor zu Ekel und Wundern führen konnten. Wohl auch deshalb hat sich Hans W. Geißendörfer 1976 diesem längst aussortierten Genre gewidmet und sein Potenzial menschlicher Tiefen in einem Drama zum Vorschein gebracht, das den unscheinbaren Namen „Sternsteinhof“ trägt. Dahinter verbirgt sich jedoch die Antithese zur heilen Welt, die der Zuschauer vom Heimatfilm kennt, wenn er noch nie Adaptionen von Ludwig Anzengrubers Werken gesehen hat. Bezeichnenderweise basiert auch dieser Film auf derartigem Schriftgut. Und so zeichnet er ein Bild der Gesellschaft um die Jahrhundertwende bis vor den Ausbruch des ersten Weltkriegs, das vor Dreck und zwischenmenschlicher Giftigkeit nur so strotzt.
Bereits das Intro löst ein Unbehagen aus, welches sich heutzutage auch in Filmen wie „Das finstere Tal“ wiederfindet: Als ein Baumstammtransport im bayrischen Winter eine Halbwaise aus der kleinen Leni (Anne Bennent) macht, gibt der Arbeitgeber des Vaters, der Sternsteinhofbauer (Gustl Bayrhammer), nur einen Tageslohn zur Abfindung aus. Die Musik von Eugen Thomass schwillt später in fiebriger Sehnsucht an, da Leni in ihrer schäbigen Hütte auf den fast alles beherrschenden Sternsteinhof schaut und sich schwört, eines Tages dort statt im Elend zu leben. Doch sie bleibt auch Jahre später noch im Morast stecken wie die Kamera von Frank Brühne, die im Vergleich zu Robby Müllers Leistungen in vorherigen Werken Geißendörfers ein statisches Grauen manifestiert. Die Isolation von innerer wie äußerer Freiheit ist in Frauentödling – so heißt die Gemeinde im Film – allgegenwärtig zu sehen: Eingeschlossen im dichten Holz und dreckigen Lumpen, umgeben von Matsch und Nebel, farblos zu beinahe jeder Jahreszeit und selbst in gesellschaftlicherem Ambiente so einladend wie eine Leichenhalle.
Kann man es der erwachsenen Leni (Katja Rupé) also verübeln, dass sie weiterhin danach giert, zu einer Stellung beim Sternsteinhof aufzusteigen? Nicht, wenn man ihre Methoden kennt. Schließlich wird sie zur rücksichtslosen Manipulatorin und Opportunistin, die ihr Lebensglück mit einer Manie verfolgt, welche die Liebe der Mitmenschen ausbeutet und dabei keine Gnade kennt – manchmal vielleicht eine Portion Mitleid, welche sie aber kaum vom eingeschlagenen Weg abwendet. Lenis Handeln ist ohnehin ambivalent, wenn man sich ihren Ursprung in Erinnerung ruft, der ein ebenso brutales Echo in ihre Gegenwart reflektiert. Der Sohn des Hofbauers, Toni (Peter Kern aus „Kern“), macht nämlich wieder seine Runden, und obwohl er der Tochter eines anderen Großbauern versprochen ist, schert er sich der Anziehungskraft zu Leni zuliebe einen Teufel um die Zwangstreue. Leni weiß, ihn um ihren Finger zu wickeln, doch gleichsam hintergeht sie damit den Heiligenschnitzer Muckerl, welcher sie umgarnt und dafür reichlich emotionale Tiefschläge einsteckt. Er bleibt jedoch nicht allein Opfer der Hoffnung und unvermeidlichen Enttäuschung, Demütigung sowie körperlichen Verkrüppelung.
Jeder trägt sein Kreuz mit sich und sieht zu spät ein, was richtig und was falsch für ihn war; was sich im Geheimen abspielte oder gut gemeint verdeckt wurde. Vieles darin geschieht aus Selbstsucht, aber auch aus sozialer Unfähigkeit, welche die Eltern geformt haben und so dysfunktional belassen, dass sich die provinzielle Zwietracht zu einem Krebsgeschwür heranbilden muss. Lenis Mutter zum Beispiel treibt die untreuen Machenschaften ihrer Tochter mit Freude voran, wie man es aber auch am Rachegedanken der beiden nachvollziehen kann, während Tonis Vater als abgekoppelter Machthaber weder die Wünsche seines Sohnes noch seiner Gemeinde berücksichtigt und die Hoffnungslosigkeit des Ensembles immer weiter vorantreibt. Innerhalb dieser Verhältnisse hat es die Unschuld schwer zu überleben, doch sie hebt sich stets ein Stück Naivität auf, damit man nicht von einer gänzlich nihilistischen Erfahrung sprechen muss. Muckerl bleibt noch am ehesten standhaft, obwohl er am meisten abkriegt.
Doch Stille bleibt Stille und die Eskalation knallt umso brutaler, je enger der Raum in seiner offenen, doch kargen Natur wirkt. Deshalb ist der „Sternsteinhof“ ein unterdrückendes Monstrum von Film, welches das Perfide am Menschen in seiner Unausweichlichkeit bis zum Ende durchzieht. Wenn man bedenkt, wie und was den Figuren ermöglicht und verwehrt wird; wie sie an den eigenen Wünschen scheitern und erst durch das Leid anderer weiterkommen; wie sie ihren Mitmenschen etwas vorspielen und diese dann fallen lassen – alles hat seinen Ursprung und seine Konsequenzen in Schockstarre. Und wenn es auch immens eklig sein mag, Schmerzen an Leib und Seele zur Schau stellt und in erschütterndem Egoismus untergeht, so ist es doch ein waschechter Heimatfilm. Denn abgesehen davon, zu welcher Zeit das Genre seinen Anfang nahm, ist Heimat noch lange kein Ort der Güte, sondern noch immer ein Ort der Menschen.
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