Aus hiesigen Landen kommt manch unterschätzter Veteran nur selten zu Ehren. Deshalb widmen wir uns dem Werk von Hans W. Geißendörfer in einer Retrospektive voller Filmschätze. Einer davon heißt „Gudrun“.
Nach der Erforschung jener Generationen, die als Nachgeborene der dunkelsten Kapitel Deutschlands zu hadern hatten, begibt sich Hans W. Geißendörfer mit „Gudrun“ erneut zu den Wurzeln unserer gesellschaftlichen Hassliebe – ein für den 1941 geborenen Regisseur sehr persönlich gezeichneter Film, der zu einer Zeit veröffentlicht wurde, in der die Ausschreitungen in Lichtenhagen im Sommer 1992 kurz bevorstanden. Der im Film vermittelte Stoff bleibt aktuell, da er den zeithistorischen Rahmen für eine Verinnerlichung eines Gefühls nutzt, das niemanden verborgen geblieben sein dürfte: das des Unrechts und der Verfolgung. Zur Natürlichkeit dieser Lage im Film trägt schon früh der Verzicht auf Musik bei, welche höchstens zweimal innerhalb der gesamten Laufzeit angewendet wird. Gleichsam nüchtern fängt die Kamera von Hans-Günther Bücking die Geschichte der kleinen Gudrun (Kerstin Gmelch) zur Zeit des Zweiten Weltkriegs ein – aus gutem Grund nur bedingt aus Kinderaugen erzählt, kaum auf Stilisierung geeicht und dennoch so konkret wie ehrlich. Gudrun wird nämlich abgeschoben, sogar von der eigenen Mutter Lotte, da diese nun für den Nachrichtendienst arbeitet und mit einem SS-Führer verkehrt, obwohl der Vater noch an der Ostfront kämpft.
Zwar geht es nun von Nürnberg aufs Land mit Oma Sophie (Barbara Thummet), doch der Schmerz der Veränderung und die Abkehr von der gegebenen Einheit ist auch in dieser heimatlichen Konstellation nicht unerheblich. Die ursprüngliche Familie zerbricht und kann vorläufig nur in fragmentierter Form fortbestehen. Auch wenn das ländliche Ambiente dabei einen Rückzug in die Unschuld vom Weltgeschehen verspricht, ist die spärlich verteilte Zivilisation alles andere als vom Frieden gesegnet. Alles kann sich schnell herumsprechen, weil keiner zwangsläufig anonym bleibt. Jeder trifft jeden, und ein eigentlich freiläufiges Gebiet voller Wiesen und Wälder kann schnell zum Hort der Kontrolle umfunktioniert werden, wenn schon eine kleine Gruppe von Menschen das Sagen über alle hat. Die kindliche Unschuld kann zunächst nur fragend beobachten oder mitmachen. Der kleine Fritz (Roman Mitterer) gehört zu letzterer Gruppe, wird aber von der örtlichen Hitlerjugend ausgeschlossen, da er einen Dolch gestohlen haben soll. Zudem ist sein Vater, der Pfarrer, mit seinen kritischen Predigten unbeliebt beim Ortsgruppenleiter sowie dessen Gefolge. Jede noch so kleine Zelle der Unangepasstheit ist der Obermacht ein Dorn im Auge.
Die Unbedarftheit ist zwar oberflächlich einladend, wird aber aus Angst vorgespielt, auch vonseiten der Großmutter, die alleine mit dem Verhalten ihrer Tochter und dem Umgang mit der SS kaum konform geht. Wie viel Vertrauen kann noch bestehen und wie viel kann man für sich selbst hüten? Die heranwachsende Gudrun steht zwischen den Fronten, sucht zunächst weiterhin das Naive, denkt sich mit Fritz in Karl-May-Abenteuer und lernt selbstständig schwimmen. Gleichzeitig aber erkennt sie die Mechanismen der unterdrückten Zwischenmenschlichkeit, will nicht mit Halbwahrheiten abgespeist werden, wenn es um den Wiedererhalt ihrer Familie geht. In dieser traurigen Gewissheit braucht Geißendörfer keine forcierte Betroffenheit oder melodramatische Aufregung. Seine Erfassung des Geschehens schneidet ins Herz und macht das Unvermeidliche im schönen Lande spürbar. Geißendörfer erklärt in Interviews, dass er stets darauf achtet, einen Film verständlich zu machen, ohne dass Dialoge verstanden werden müssen. „Gudrun“ ist in dieser Hinsicht von ungemein konsequenter Qualität.
Das kindliche Gewissen ist hier durchweg in Bewegung und im Zwang sozialer Grenzen auf der Suche. Es will zurück zum Frieden in einer omnipräsenten Lage der Anpassung, die für selbstverständlich hingenommen wird, aber zu nichts Gutem führen kann. Selbst in Freundschaft und Verfolgung lauert das Ego, die Bewährung für eine indoktrinierte Aufgabe, der Drang zum Vorteil. Alles ist offen, doch man will geschlossen sein. So wie sich Fritz in den Reihen der HJ wissen will und darum betet, dass auch sein Vater die Wege des Führers einsieht, sehnt sich Gudrun nach der Familie, sprich der Rückkehr des Vaters oder Versöhnung von Mutter und Großmutter. Letztendlich müssen diese drei Generationen an Frauen ein Opfer durchstehen, das totgeschwiegen und doch eindeutig von jedem wahrgenommen wird. In aller Stille lässt sich auch alles hören. Im Nachhinein um Vergebung zu bitten, das Unrecht nicht gesehen zu haben und Märchen auftischen zu wollen, ist nur vergebene Mühe. So zieht die Geografie zwischen den Menschen unweigerlich ihre Bahnen und die Barrieren der Schuld werden größer, je erwachsener alle werden. Es ist bitter und schmerzhaft, aber es muss sein. Ganz unverblümt und gewissenhaft, wie der Film selbst.
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