Das Befremdlichste an Roland Emmerichs „Stonewall“ ist, dass er sich kaum mit jenem historischen Ereignis befasst, das den Wendepunkt im Kampf zur Gleichberechtigung und Anerkennung von Homosexuellen kennzeichnet. Sicherlich bildet er die Lokalität des Stonewall Inn in New York City als Handlungsort nach, stellt Homosexuelle und Transsexuelle in den Vordergrund. Allerdings baut Emmerich zusammen mit Drehbuchautor Jon Robin Baitz eine erfundene Geschichte um das Zeitkolorit anno 1969, die nicht nur die wahren Auslöser der Aufstände verfälscht, sondern Aktivisten jener Zeit in den Hintergrund verlagert, um im Abspann doch noch deren Wichtigkeit nachzureichen. Was also die respektvolle Umsetzung des Konflikts und seiner Auflösung angeht, hat „Stonewall“ nur wenig zu bieten und hofft stattdessen mit seinem Märchen für Empathie zu sorgen. Weil Emmerich die Thematik aus privaten Gründen jedoch wichtig ist, versucht er sich beim hier innewohnenden Milieudrama zumindest an einer emotionalen Sorgfalt, die ihm normalerweise nicht anzurechnen ist.
Wohlgemerkt schafft er es nicht, das bonbonfarbene Weltbild seiner Blockbuster abzustellen und nagelt sein visuelles Konzept auf die Töne Teal & Orange fest, während der Soundtrack in austauschbaren Sphären schwimmt. Immerhin drosselt er sein Tempo zur Zeichnung der Charaktere, die Stereotype sein mögen, denen man aber durch den mit seiner Selbstfindung hadernden Danny (Jeremy Irvine) einigermaßen bodenständig durch die Stationen des Unverständnisses folgt. Das Tabu der Homosexualität wird durch Gesetz und Moral jener Zeit totgeschwiegen, bis eines Tages Dannys Beziehung mit dem Football-Hünen Joe auffliegt. Fortan wird Danny als vermeintlicher Initiator dessen verstoßen und findet Zuflucht in der Christopher Street im Greenwich Village, um noch auf eigenen Beinen ein Stipendium zu erhalten. Alsbald wird er aber von der illustren Bande um den androgynen Ray in Empfang genommen. Jenen Haudegen ist als Kindern der Straße nichts mehr geblieben – und deshalb nehmen sie sich auch, teilweise mit Raudi-Methoden, alles, was sie kriegen können. Danny wird somit in eine reizvolle wie gefährliche Welt hineingezogen, in der jene Individuen wie Menschen zweiter Klasse behandelt und von Polizei und Mafia gebeutelt werden.
Emmerich verheimlicht dabei genauso wenig direkte Bilder, wie er deren Krassheit angemessen zurückhält. Zudem schlägt er seine Aufrichtigkeit daraus, die Sehnsucht zur Zusammengehörigkeit zu verinnerlichen, die Ray mit Danny erleben will, obgleich die Verhältnisse jeden Wunschtraum verhindern. Diese Verhältnisse intervenieren stets durch keifende Abziehbilder der Unterdrückung und dubiose Privatmänner, welche die Homosexualität per Prostitution in die Unterwelt der Perversion rücken, anstatt sie zu befreien. In letzterem Punkt geht Emmerichs Film problematisch mit Klischees der gleichgeschlechtlichen Szene einher, wie er zudem die Eifersucht des Nebenbuhlers und Gay-Rights-Aktivisten Trevor (Jonathan Rhys Meyers) als Ärgernis in die Handlung einordnet, als dessen politischen Ansporn zu beleuchten. Emmerich will den Kampf gegen das Unrecht im möglichst nachvollziehbaren (sprich weißen und unschuldigen) Individuum ansiedeln, unterminiert aber das Engagement der Politik. Zumindest betreibt er dadurch keine durchgehende Schwarzweißmalerei, zur charakterlichen Ambivalenz fehlt es ihm aber trotzdem an Feingefühl.
Die Effektivität der zentralen Liebesgeschichte ist zwar nicht zu leugnen – sie ist neben der authentischen Darstellung aber nicht imstande, das Spekulative ihrer Oberfläche abzulegen. Zudem gesellt sich in der Beobachtung der Um- und Widerstände ein Leerlauf hinzu, der nicht zum Punkt kommt und bleiern den Impuls des Aufstands erreicht. Dieser wird dann beinahe beiläufig in Brand gesetzt und bangt sogar kurzzeitig um das Wohlbefinden der Autorität, ebbt jedoch ebenso schnell wieder ab. Wurde damit ein Zeichen gesetzt? Das lässt sich im ersten Augenblick nicht sagen, da Emmerich auf das Schicksal seiner Protagonisten zurückkommt. Sein Film ist unentschlossen, ob er sich von der Zeitgeschichte oder den fiktiven Charakteren steuern lassen will, wodurch die Interaktion beider Parteien gehemmt wird. Das damalige Geschehen um Stonewall erfordert weitaus mehr Wahrhaftigkeit, das Ensemble mehr Eigenleben. Emmerich hat das Herz durchaus am rechten Fleck, er kann sich nur nicht vom Reißerischen entfernen und schafft es letztendlich nicht, die Problematik zufriedenstellend umzusetzen.
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