Der Alpöhi hievt sich über Berg und Tal, Seen und Gletscher. Doch der Weg ist nebulös – also kehrt er um; der Schweiz den Rücken. Was aber bleibt? „Heimatland“ kennt die Antwort. Und zeigt sie zunächst als asketischen Urschrei eines Antiheimatfilms, auf dessen Weide Dornen sprießen und Vögel wie Fladen vom Himmel klatschen. Mit der Schweiz geht es bergab, möchten zwei Frauen und acht Männer sagen, die sich einer teils kühnen, teils hundselenden, teils pechschwarzen Kollaboration verschworen haben – in hehren Bildern, welche der Starre des Schreckens trotzen. Denn eine Wolke baut sich über der föderalen Republik auf und wagt, Zeter und Mordio zu speien, wenn die werten Eidgenossen nicht bei drei in ihren Schutzbunkern sind. Jene Überbleibsel aus dem Zweiten Weltkrieg sind eben doch zu etwas nütze – wenn auch nicht zu viel. Die Katastrophe, welche sich wie bei Roland Emmerich majestätisch als Dunstglocke über Städte und Kantone erhebt, sorgt jedoch für weitere Probleme. Und die lösen sich nicht mit einer Flucht aus Heidis Postkartenidylle.
Darunter brodeln nämlich grundsätzliche menschliche Bedürfnisse: Hunger, Durst, Fußball – und ein staatliches Rettungspaket. Denn nach dem Sturm ist vor dem Untergang der Versicherungen. Die Regisseure – Lisa Blatter, Gregor Frei, Jan Gassmann, Benny Jaberg, Carmen Jaquier, Michael Krummenacher, Jonas Meier, Tobias Nölle, Lionel Rupp und Mike Scheiwiller – konstruieren ihren panischen, zehnarmigen Kraken allerdings ohne Sentimentalität. Stattdessen lauert in jeder Geschichte ein schelmischer Derwisch, der beiläufig mit den Augen rollt und doch ohne Scham aus seiner Gondel winkt: den Schweizern und ihrem helvetischen Käse zu. Es scheint sogar, dass „Heimatland“ nicht nur mit sozialkritischen Mechanismen spielt, sondern diese selbst als Metawesen integriert. Wobei Integration eine Sache ist – siehe die jüngsten politischen Entwicklungen, mit denen die Europäische Union zu kämpfen hat. Gerade deswegen mausert sich dieser halbe Omnibusfilm, der kohärenter wirkt als etliche Produktionen eines einzigen Regisseurs, zu einem kurzen, fiesen Zusammenschnitt über die ach so keuche Neutralität eines Landes, das auf Biegen und Brechen niemanden schaden möchte. Und darin ein ewig suchendes Kind bleibt, welches nur Blumen isst. À la Leos Carax.
Heimat entpuppt sich hier als Mär einer direkten Bindung an ein Wort, dessen Sinn auf banale Weise verschwindet. Am Schönsten aber zeigt sich die Groteske dieses Films in einem Satz von Richard Huelsenbeck, den dieser 1916 im Cabaret Voltaire vortrug: „Dies ist das bedeutende Nichts, an dem nichts etwas bedeutet. Wir wollen die Welt mit Nichts ändern.“ Ein wenig von jenem unerreichbaren, explosiven Nichts gluckst auch in „Heimatland“ herum – wenn auch nicht zu viel. Dennoch spüren zwei Frauen und acht Männer einem Land und ihren Wurzeln nach, das mit bizarrschönen Tableaus lockt (Ein streunender Hund! Ein blökender Fanatiker! Ein Feuerwerk unter Hedonisten!) und uns den Showdown wie in einem selbstzufriedenen Alpenwestern zwischen Kuhdung und Rechtspopulistenekstase versagt. Irgendwie fragen diese zehn Jungspunde zwischen dreißig und vierzig aber auch: Warum nur fliehen alle vor der Apokalypse – besseren Sex gibt es doch sonst nicht? Na gut, wenn die „Wolke der Scham“ lauert, stehen wohl andere Bedürfnisse an …
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