Mauricio Osakis „My Father’s Truck“ stand mit neun weiteren Filmen in der Vorauswahl für eine Nominierung bei den Oscars in der Kategorie „Bester Realkurzfilm“, wurde jedoch nicht nominiert.
Will man filmisch die Unschuld und die Perspektive eines Kindes vermitteln, begibt man sich damit am Besten auf Augenhöhe. Regisseur Mauricio Osaki findet mit seinem Kurzfilm „My Father’s Truck“ schnell jene Essenz der Charakter-Etablierung anhand des kleinen Mädchens Vy (Mai Vy) und lässt sie zur Freiheit der Vögel heraufblicken, obgleich diese in Käfigen verwahrt sind. Kindliche Neugier ermöglicht ihr dann, ein gefallenes Ei in ihren Händen zu hüten. Eine Fürsorge, die nicht nur konträr zur Gefangenschaft der Tiere, sondern ebenso zur sonstigen Atmosphäre ihres Lebens steht, im grauen Schulalltag des kontemporären Vietnam. Dort wird sie von den Jungs grundlos gepiesackt und verfolgt, was dazu führt, dass das Ei schließlich in ihren Händen zu Bruch geht – ihre erste Bekanntschaft mit Ungleichheit sowie Verantwortung und Schuld.
Was der in São Paulo geborene Regisseur Osaki in dieser Situation stilbildend für den gesamten Film beweist, ist sein konkretes, fast schon reportageartiges Geschick des stillen Zeigens, das in seiner Ästhetik dem Nachfühlen verbunden ist und deshalb auch nicht darüber hinausgeht. Die einzige außerordentliche Stilistik entwickelt er im Vor- und Abspann anhand archaischer, doch liebevoller Zeichnungen und Animationen; passend zum Rahmen des kindlichen Point-of-View. Da treffen wir uns mit ihm auf Augenhöhe – stets in der ruhigen Horizontale gehalten – und verstehen umso mehr Vys Erkundungsdrang und das Verlangen, auf Augenhöhe mit dem zu sein, was ihr Vater Lim (Trung Anh) in seinem Beruf als Lkw-Fahrer macht, fern von der Einöde der Schule. Als ihr Vorbild und ihre Bezugsperson schaut sie aber dennoch eher zu ihm rauf, weshalb sie sich entschließt, sich bei einer seiner Fahrten als Assistentin anzubieten. Nach kurzer Skepsis überlässt der Vater ihr die Verantwortung, das Geld der Bauern, die er über die weiten Felder der Provinz transportiert, in einer kleinen Dose aufzusammeln.
Auf die Frage, ob er ihr auch irgendwann mal das Lkw-Fahren beibringen kann, wundert er sich nur, da er noch nie eine Frau am Steuer eines Lkws gesehen hätte. Mit jenem kurzen Dialog stellt Regisseur Osaki nicht bloß weitere Perspektiven der kindlichen Naivität auf, er spricht auch das Prinzip der Gleichstellung an. Dieses beschränkt sich nicht bloß auf die Geschlechter: Im Verlauf des Films stellt sich heraus, wie stark der Umgang mit dem Dasein entmenschlicht wird, indem die allgemeine Abgeklärtheit abstumpft. Es geht speziell darum, sich mit dem Blick des Kindlichen, sprich mit dem ursprünglich Menschlichen, wieder zu vereinigen. Bevor diese Einsicht jedoch passiert, herrscht väterliche Autorität in der Fahrerkabine – hier jedoch nicht als Herrschertum ausgewiesen, sondern als des Vaters Hilfe zur Gleichstellung gedacht; wenn auch weiterhin unter der kalten Miene des Arbeiter-Prozederes. Die Zwei finden darin eine Gemeinsamkeit, aus dem Vertrauen zueinander zu entwachsen.
Für Vy als Kind entpuppt sich dies als Moment der Freude. So verfährt sie auch in ihrem erteilten Auftrag und nimmt von einer Bäuerin einen geschenkten Grashüpfer in der Dose auf – wieder ein Tier, für das sie die Verantwortung übernehmen möchte, wenn auch erneut mit diesem Stigma der Gefangenschaft. In jenem Moment bricht sie jedoch das Vertrauen des Vaters, da ihr aus irgendeinem Grund dabei das eingesammelte Geld abhandengekommen ist. Wie genau erklärt Osaki nicht. Muss er auch nicht – wir befinden uns nämlich weiterhin in der kindlichen Perspektive, die sich nun mal nicht alles erklären kann. Vy erlebt stattdessen den Frust des Vaters, welcher zudem mit zwielichtigen Gestalten auf Motorrädern handelt und sichtlich gestresst ist. Doch ein Vater wäre kein Vater, wenn er seiner Tochter nicht verzeihen könnte; erst recht, wenn er bedenkt, zu welchen Extremen er noch schuften muss, um seine Existenz zu erhalten, und welche er vor ihr als unschuldiges Kind geheim halten will.
Er lebt da bereits mit einer Verantwortung gegenüber seiner Familie, doch gleichsam mit einer starken Schuld, die seiner Tochter schließlich noch bewusst wird. Alle Eckpunkte der Beobachtung und Erfahrung in diesem Kurzfilm fließen zu einer bitteren Erkenntnis zusammen, die nicht verurteilen, sondern nur ermatten kann. Die Sicht des Kindes trifft die Gefangenschaft ihrer Neugierde im Tier wieder, zur Ausbeutung aufgehangen und von oben auf Vy herabblickend; mit dem Wissen, dass ihr Vater seine Schuld dazu beigetragen hat. Jene Korrumpierung der Werte sticht sich wie ein Messer durch ihre Unschuld und bewirkt wiederum die Einsicht, dass sich der Vater ihr zuliebe verantwortlich fühlt. So wie sie gemeinsam dieses Unternehmen angefangen und sich gegenseitig belehrt haben, muss letztendlich der Konsens der Hoffnung und der Besserung stattfinden.
Regisseur Osaki stellt diesen natürlichen Zusammenhang in nur sechzehn Minuten Laufzeit anhand einer simplen Tour durch den Alltag eines Landes dar, das mit sozialer Armut zu kämpfen hat, seine Menschlichkeit im familiären Zusammenhalt jedoch nicht aufgeben möchte. Es bedarf der naiven und doch profunden Auffassung eines Kindes, unabhängig von der genauen Kenntnis der nationalen Verhältnisse, die Wahrheit der dort vorherrschenden menschlichen Existenz zu entziffern. Demnach hält sich Osakis Film auch einfach verständlich; er simplifiziert nicht oder steuert forciert auf politische Standpunkte und aktivistische Gerechtigkeitsgefühle hin. Stattdessen bringt er uns auf Augenhöhe mit dem, was der Mensch gleich welchen Alters sieht, entdeckt, empfindet, wie er mit seinen Mitmenschen und seiner Umwelt umgeht. Dies als Film so präzise, unaufgeregt und objektiv darzustellen, gelingt in der Form nur selten und dürfte in seiner Kürze für jedermann einen Blick wert sein.
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