Das erste exzentrische Lachen muss man sich schon beim Intro verkneifen: „Based on a True Story“. Jeder, der den Film der Brüder Joel und Ethan Coen kennt, weiß, womit hier gespielt wird. Nichts davon ist echt, nichts davon nur im Ansatz auf irgendeine Art und Weise nachvollziehbar. Die Absurditäten brechen auf einen hinein, bevor die erste Folge der Serie „Fargo“ überhaupt begonnen hat. Und schon ist man gefangen, in der Welt von Eis und Schnee, der kleinen, unbedarften und unwichtigen Menschen in irgendeiner Kleinstadt in Minnesota. Alles ist gut, alles ist schön – niemand meckert, weil es niemand besser weiß.
Nicht weit entfernt, aber eigenständig agiert das serielle Konzept gegenüber seinem Vorbild. Die Geschichte ist neu und unabhängig, doch haben sich Verweise und Charaktere eingeschlichen, die bekannt vorkommen. Martin Freeman übernimmt den Part des unterdrückten und trotteligen Ehemannes, dessen Taten in der Geschichte zu seiner Katharsis werden, die ihn aufsteigen und fallen lässt. Freemans Rolle ist der Stereotyp des unterdrückten und in sich gekehrten Normalos: Ehefrau, Job, Routine – nichts, worüber man sich Sorgen machen muss. Er wird erst besonders, als er Lorne Malvo (Billy Bob Thornton) trifft. Den Teufel, die Bösartigkeit in Person. Dem Mann mit den kalten Augen und dem komischen Pony würde man auf den ersten Blick zwar einen Sprung in der Schüssel attestieren, seinen wahren Kern erkennt man allerdings erst bald darauf. Im Gespräch mit Lester Nygaard (Freeman) ist die Charakterkonstellation zu erkennen, die sich aus den Parteien ergibt: Lester weiß nicht, wo er hineingerät, bis es zu spät ist. Und Malvo macht sich einen Spaß daraus, ihn dahin zu bringen, wo er nicht mehr hinauskommt. Lester ist das Schaf, doch wird irgendwann vom Wolf gerissen – und damit selbst zum Wolf im Schafspelz. Beide werden sich in ihren Taten ähnlicher, bleiben aber in ihren Absichten und Dynamiken Gegensätze.
Dem Weg einer Kriminalserie folgt „Fargo“ nur marginal, denn es geht hier nicht darum, wie ein Fall aufgedeckt, sondern vielmehr darum, wie er verschleiert wird. Lester versucht sich als kriminelles Superhirn, jederzeit in der Fassade seines trotteligen Ichs bleibend. Dass er ein Opfer seiner selbst ist, zeigt sich schon daran, wie er in die Situation kommt, in der er sich befindet: In der Flucht vor seinem einstigen Schulfeind rennt er gegen eine Glastür und bricht sich die Nase. Seine Unsicherheit wird zur Arroganz, und irgendwann findet er sich in seinen eigenen Lügen nicht mehr zurecht. Das Eigenverschulden seiner Misere bleibt für jeden undurchsichtig, nur Molly Solverson (Allison Tolman), dieser Frances-McDormand-Verschnitt, scheint etwas zu sehen, was allen anderen verborgen bleibt, oder niemand sehen will. Hier blitzt der kaltblütig-schwarze Coen-Humor auf. Munter lächelt und lügt sich Lester durch Bemidji, immer noch für jeden das Opfer, am Ende sogar der Womanizer und Versicherungsvertreter des Jahres. Er hätte mit allem davon kommen können, sein Leben leben, seine Versicherungen verkaufen und seiner Frau weiter vorlügen können. Aber er hält sich für klüger und verfällt seiner Arroganz: Der Wolf im Schafspelz trifft seinen Schöpfer und kann nicht anders, als laut kläffend um seine Aufmerksamkeit zu betteln.
Das serielle Konzept liegt einer Miniserie zugrunde. Dem HBO-Erzeugnis „True Detective“ ähnlich sind die Staffeln für sich alleinstehend und individuell, bleiben aber unter dem Titel der Serie als Gesamtwerk bestehen. In zehn Folgen erzählt Serienschöpfer Noah Hawley in Kapitel ähnlichen Unterteilungen die (wahren) Geschehnisse der Stadt Bemidji aus dem Jahr 2006, den Aufstieg und Fall von Menschen, heraufbeschworen durch einen Mann, den man zu gerne als das sieht, was er wohl selbst gerne wäre: das Böse. Seine Geheimidentität ist die eines Priesters, das Kalkül, welches Malvo in seinen Taten jederzeit einbezieht, lässt ihn als unmenschlich, stets seinen Gegnern überlegen wirken. Billy Bob Thornton schwebt über allem mit teuflischer Präsenz, einem verschmitzten, abschätzenden Grinsen. In einer direkten Konfrontation mit einem Polizisten wird allein durch Worte die Gefahr durch diesen Mann klar: Aus Angst vor ihm lässt der Polizist ihn gehen. Und man selbst sitzt da und fragt sich: Wie würde ich handeln? Thornton lässt die Selbstsicherheit des Zuschauers vergessen und ihn an der eigenen Standhaftigkeit zweifeln. Doch gerade solche Interaktionen beherbergen das humoristische Potenzial. Wenn Malvo sein Netz der Manipulation über seine Schäfchen spannt und selbst ab und an in das Geschehen eingreift, ist die Jagd und das Hinterherstolpern nach dieser rätselhaften Gestalt der Humor, den die Serie wunderbar aufgreift. Die Charaktere irren in ihrem eigenen Morast hin und her. „I quit. I’m done!“, sagt Polizeichef Bill Olsen (Bob Odenkirk) irgendwann und lässt damit alles fallen. Einfach, weil er überfordert ist.
Alles bleibt greifbarer durch die Beschränkung auf zehn Folgen. In knapp neun Stunden Laufzeit erzählt Hawley mehr, als andere Serienkonzepte in ausufernden fünf Staffeln. Es ist ein langer, epischer Film, erzählt und nicht ausbuchstabiert. Der Verzicht auf verklärende narrative Ausflüchte in Nebenschauplätze und irrelevante Charakterentwicklungen lässt Hawley mehr Möglichkeiten zur Konstruktion eines Mikrokosmos, der die Eruptionen des Drehbuchs erfahrbar macht. Es folgt kein blindes Vorbeirauschen und kurzes Einklinken in die Geschehnisse, forciert keine irrelevanten Emotionen, sondern ein individueller Diskurs ist deutlich lang anhaltender und reflexiver möglich. „Fargo“ löst sich aus der jährlichen Seriensuppe von Nichtigkeiten und wird stattdessen zu einem maßgeblichen Vorreiter eines neuen Sinnbildes des Erzählens und Erlebens. Es ist ein liebevolles, kleines Denkmal an den Film der Brüder Coen. Eine Erinnerung für alle, die sich noch einmal im tiefen Schnee verirren, den Charakteren folgen und dem Aberwitz hinterher rufen wollen.
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