Nebeldunst umschlingt Fabriken, während ein Knarzen aus bedeutungsschwerer Ferne Americana-Töne küsst. Es folgt Tosen, Brummen, Säuseln. Und Brett Sparks singt: „Aus der staubigen Sonne des Tafelbergs wächst ihr Unheil bringender Schatten.“ Wie ein Stromstoß, eine Glut – wie Magie aus den fruchtbaren Böden des tiefsten Amerikas, zwischen texanischen Bullen und mäandernder Sumpfidylle. „Langsam windet sie ihre Stacheln in Richtung der sengenden Sonne.“ Eine Musik strömt aus, als ob Insekten tanzten, klickten und klackten, immer wieder. „Und als ich ihre Haut berühre, läuft Blut an meinen Fingern hinab.“ Doch noch zeichnet kein Blut die Kinematografie; nur das Stöhnen danach, die Zweifel, Unruhe, das baldige Fluchen und … der Nebel des Vergessens. Das Blut wird folgen, fraglos.

Ein Vogel kreist derweil um Häuser in der Vorstadt, danach bricht Ekstase und rotes Plasmalichtgewitter aus, welches sich wie ein Kreuz ins Bild brennt; später recken sich Quallen, nackte Leiber und Augenaufschläge aus schwarzen Pupillen empor. Und Stacheln. Natürlich. An den schwarzen Pumps, Unheil bringend. Was schließlich brennt, ist neben den Zuckerrohrfeldern nur noch das Feuer aus den Köpfen zweier Polizisten mit Namen Rust Cohle (Matthew McConaughey) und Marty Hart (Woody Harrelson). Bevor wir aber ihre Geschichte sehen, blicken wir acht zerrende Male auf diese Einstellungen: auf das Feuer, die Quallen, auf die Prostituierte im Badeanzug, welcher sie in die amerikanische Flagge hüllt. Nic Pizzolatto und Cary Fukunaga nennen sie wahre Ermittler, diese zwei Polizisten. So heißt auch deren serielle Anthologie „True Detective“. Am Ende siechen sie nur noch, so wahr ihre Ermittlungen eigentlich schienen. Weil sich letztlich alles über die Jahrzehnte wiederholte, sich wieder und wieder erbrach; würgend, schäumend, ohne Pathos, ohne Theatralik, ziel-, herz-, freudlos, doch Nietzsche-behaftet. Es naht sich dem Ende, als Cohle meint: „Jemand sagte mir einmal, dass die Zeit ein Kreislauf sei. Alles, was wir getan haben oder tun werden, werden wir immer und immer wieder tun …“

Wenn du kein Christ bist, an was glaubst du dann?

Marty Hart

Mehr als mittels jenen symbolträchtigen Fratzen, Silhouetten und Masken der Titelsequenz flutet dieses kompakte Sittengemälde des amerikanischen Südens eine Krawatte auf Halbmast, die sich lose genug um Rust Cohles Hals windet, dass sie ebenso auch ein Strick zum gefälligen Selbstmord sein könnte. Rust Cohle ist ein Mann, den unzählige Substantive und weitere Adjektive existenziell fassen, doch niemals gänzlich definieren. Ein Nihilist mag er sein, ein Misanthrop, Pessimist, Anti-Natalist, Narzisst, Atheist, ein Stümper, Zyniker, Kokser, Alkoholiker, eine Anleitung hinein in das Dunkel der menschlichen Psyche, in ein Maloch, welches aus saftigen Feldern nur noch tote Frauen mit Hirschgeweih leitet. Doch letzteres Grauen scheint für „True Detective“ irrelevant – in seiner schwerelosen Unbestimmtheit und den verblichenen Fotografien Adam Arkapaws, als wäre es nicht 1995, sondern noch 1960. Der Fall ist nur eine erste Anlage zu Größenwahn, Dichtung, Epik. Eigentlich ist es sogar nur Mittel für den einen und einzigen Zweck, diese zwei Polizisten einander bekannt zu machen und im Vollzug ihrer Freundschaft zwei Ungetüme in die Welt zu entlassen. So wie es in David Finchers „Sieben“ (1995) und „Zodiac“ (2007) niemals um die Lösung eines Falles ging, handelt „True Detective“ ebenso nur von der Manie des Mannes, in welcher die Frauen einzig einen Platz im Nichts, nebst den Kindern, besetzen. Mit der imprägnierten Misogynie agiert Nic Pizzolatto damit ebenso unwirsch. Immerhin befinden wir uns in den Südstaaten.

Die Frage des Whodunit kreiert jedoch nichts weiter als ein Medley des Realen und Fiktiven – beziehungsweise die Diskrepanz beider Elemente im Mantel der Nacherzählung. In einer zweiten Zeitachse, siebzehn Jahre später, sollen Cohle und Hart nochmals vor zwei anderen Polizisten die Geschehnisse Revue passieren lassen, obwohl sie meinen, den Täter bereits festgenommen zu haben. Während sich Ersterer bei der Befragung Fluppe um Fluppe anzündet, einen Sixpack Lone-Star-Bier fordert und aus den leeren Dosen schließlich Totems bastelt, sitzt Letzterer lediglich statisch da, unentrückt, unbeeindruckt. Für Marty Hart scheint sich nichts geändert zu haben, obwohl sich schon für die meisten Menschen innerhalb von siebzehn Jahren viel ändert. Aber wie auch soll sich etwas ändern, wenn es tiefer nicht mehr geht? Wenn der Mensch bereits abgeschlossen hat? Als Nic Pizzolatto später resolut noch eine dritte, eigentlich aber chronologisch korrekte zweite Ebene aufspannt, welche den Bruch zwischen Cohle und Hart im Jahr 2002 klassifiziert, charakterisiert sich in dieser auch der beinahe letzte notwendige Funken, der das Überleben beider Protagonisten auf die Probe stellt. Es geht hier nicht nur um den Mythos, die Mystik und das kosmische Konstrukt um viele schwere Parabeln (viele davon aus den Werken Robert W. Chambers’): Es geht um Tyrannei, seltsame Mikrokosmen und einen König im Labyrinth des Minotaurus. „True Detective“ darf erst ein wahres Meisterstück werden, als die Fiktion, das Gestelzte, Fordernde des Narrativs bekannt ist – als sich Manches nicht mehr im Zwang schließen muss, um zu funktionieren. Auch das ist der Preis des Erzählens.

Ich betrachte mich selbst als Realisten, aber aus philosophischer Sicht bin ich, was man einen Pessimisten nennt.

Rust Cohle

Brett Sparks singt schließlich ein letztes Mal: „Erhebe dich mit mir auf ewig über den stillen Sand – und die Sterne werden deine Augen sein, und der Wind wird zu meinen Händen werden.“ Eine letzte Flucht in den Himmel, vielleicht in die Sterne. Rust Cohle blickt nach oben, die Kamera mit ihm. Vielleicht sehnt er einer Erinnerung nach. Als sie tanzten wie Insekten, sie klickten und klackten, immer wieder. In einem Festessen ausgehöhlter Gewissen spulten sie siebzehn Jahre die Mimikry Louisianas herunter, bis sie den König in Gelb fanden – den König von Carcosa – und sie jener nochmals verschlang. Obwohl nun real, gefunden, gefasst, bezähmt: Verlassen wird er beide Polizisten nie mehr.

Meinungen

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