John Cassavetes’ „Love Streams“ erweitert unseren Rückblick auf das berüchtigte Werk der Cannon Films – denn nicht umsonst hieß es auf jeder ihrer Videokassetten: „We’re Cannon Films and we’re dynamite!“

1984 betrat Autorenfilmer John Cassavetes den Strudel der Euphorie mit seinem Schwanengesang „Love Streams“, nachdem er jahrelang Finanziers suchte und gesundheitliche Schreckensprognosen entgegennehmen musste. Zwar immer noch im Wechselspiel mit der Bitterkeit befindend, kam einigermaßen die Befreiung von seinen Zweifeln des Künstlerdaseins, die sich zuvor noch in Werken wie „Mord an einem chinesischen Buchmacher“ und „Die erste Vorstellung“ äußerten. Er sucht und findet auf diesen leider letzten Metern seines Schaffens (von der Auftragsarbeit „Sterben … und leben lassen“ anno 1985 einmal abgesehen) sein Zen wieder, der abgeklärten Unbedarftheit im Angesicht des kommenden Endes wegen – Ärzte prognostizierten ihm nämlich vor den Dreharbeiten, dass er nur noch wenige Monate zu leben hätte, was sich letztendlich doch als falsch herausstellte. Wie also konnte ihm dieser Film das Leben retten?

John Cassavetes spielt darin selbst den abgewrackten Schreiberling Robert Harmon, dessen Erscheinung zwar von außen melancholisch wirkt und tagtäglich ins Leere verläuft, aber dafür immerhin in einem fulminanten Anwesen haust. Dieser Drehort ist nicht zufällig in Cassavetes’ Eigenheim umgesetzt, komplett mit stimmungsvoll ausgestatteten Zimmern, großen Vor- und Hinterhöfen sowie einer exquisiten Hausbar. Hier wohnt der Charakter Harmon mit mehreren ein- und ausgehenden Damen aus den obskursten Branchen zusammen, die das Nachtleben von Los Angeles zu bieten hat, um für seine Werke über eine Grundlage zur Recherche verfügen zu können. In dieser Funktionalität ist er nicht mal von Charme befreit, sondern immer im Smoking unterwegs, liebevoll schnauzend und flirtend sowie nach Talenten und geheimnisvollen Persönlichkeiten suchend. Seine Sehnsucht nach einer echten Liebe kann er allerdings nur leidlich verbergen.

Gerne verbindet er das alles mit Suff und erlebt folgerichtig öfters Bruchlandungen, kann aber immer noch mit der Zuneigung seiner Mitmenschen rechnen, da der Charme einfacher (Milieu-)Leute weit toleranter agiert, als sich zum Beispiel ein eher formelhafterer Film in seiner Darstellung erlauben würde. „Love Streams“ trägt seinen Titel nicht ohne Grund, schließlich spiegelt er einen kontinuierlichen Fluss der Gefühle, speziell der empathischen, wieder. Das strahlende Herzstück zu dieser Idee präsentiert sich in Form von Roberts Schwester Sarah (wunderbar entrückt durch Gena Rowlands verkörpert), welche aufgrund ihres problematischen Geisteszustandes im Scheidungsprozess von Mann und Tochter umso stärker mit dem sich anbahnenden Verlust zu hadern hat (siehe ihre surrealistischen Traumsequenzen, in denen sie die Beiden à la Michael Bay mit einem fliegenden Auto überfährt). In der Wiederbegegnung mit ihrem Bruder darf (oder besser gesagt will) sie dennoch durchweg Liebe empfangen. Schließlich ist sie ja auch diejenige, die für sich weiß: „Love is a stream – it’s continuous, it doesn’t stop.

Apropos Scheidungskinder: Robert bekommt eines Tages Besuch von seinem Sohn aus zweiter Ehe, Albie (Jakob Shaw), den er das letzte Mal bei dessen Geburt gesehen hat (!). Und der ist verständlicherweise ein schwieriges Stück Arbeit: Überwältigt von der Kombination vieler Frauen und fremder Eindrücke in Roberts Haus probiert er die Flucht, weshalb Vaterherz allesamt wegschicken muss, bevor er mit seinem Jungen noch mal von vorne beginnen kann. Die lauwarmen Wetterverhältnisse und ein paar Bier heben schon wieder die Stimmung, doch Robert kann selbst bei einem gemeinsamen Besuch nach Las Vegas nicht auf den Überschwang des Lebensglücks mit den Frauen dieser Welt verzichten. Da jongliert er doch etwas zu sehr mit der Ungewissheit seines Sohnes, dem er aber dennoch seine Verbundenheit verspricht. Frustration und Verwirrung gehören natürlich auch dazu, geht es doch verängstigt von dieser unbekannten Welt schnell wieder zur Mutter mit dem neuen Ehemann. Dennoch bleibt die Liebe zwischen Vater und Sohn, frisch entfacht oder auch schon seit ewig da, erhalten.

Zurück im einladenden Eigenheim wartet auf Robert aber schon die nächste Quelle der Liebe, denn nach einem mehr oder weniger erleichternden Europa-Trip („I’m almost not crazy anymore.“), stattet Sarah ihm einen längeren Besuch ab und bringt traute, ungezwungene Zweisamkeit in den Alltag zurück. Als Ersatz für die ganzen fehlenden Frauen quartiert sie sogar einfach einen halben Zoo an Haustieren bei ihm mit ein, um den Strom des Lebens beizubehalten. Letzteres versucht sie auch für sich selbst durch Begegnungen mit anderen Männern in der Bowling-Bahn sowie im Umgang mit ihrer getrennten Familie, wo man ihre versuchte Zugänglichkeit allerdings nur mit Seufzen und Sorge für ihre Psyche begegnet. Es bedarf erst einer versöhnlichen Traumsequenz in Form eines Ballett-Musicals, bis Sarah eine Einigung in letztgenannter Angelegenheit findet – auch wenn diese nur in ihr selbst stattfindet. Robert ist aber ausnahmslos für sie zur Stelle und holt ihre Tiere ins Haus rein, sobald es zum letzten Drittel des Films tosende Regenstürme gibt. Er schickt dann auch ihre ganzen Ärzte nach Hause, da er ja am Besten wissen muss, was sie zur Heilung im Innern braucht. Klingt zwar kitschig, aber eine Umarmung kann in der ehrlichen Sprache dieses Films eine Menge erreichen – und man glaubt das auch.

Das Ziel des Films zeigt sich ohnehin ganz offen an dessen freimütigen Verlauf, der ungehemmt dem Leben gegenübersteht und daraus ganz natürlich emotionale Goldadern schöpft. Deshalb kommt zum Schluss auch ein Freund Sarahs vorbei, um sie wohl für länger als eine Nacht abzuholen und im Glück schweben zu lassen. Da erscheint unser Robert im Folgenden natürlich einigermaßen einsam, vor allem da die Regenfluten und Liebesströme am Fenster außerhalb seiner Fassung dahinfließen. Aber das ist nun mal der Lauf der Dinge und sowieso wissen wir, dass er nicht lange alleine bleibt. Sarah hat ihm ja zumindest einerseits ihren Hund Jim hinterlassen, in dem er (wortwörtlich) einen neuen Freund sieht und andererseits gibt es weiterhin genügend Menschen da draußen in der Welt, mit denen er je nach Laune in der Nacht herumtanzen kann. Seine Leidenschaft bleibt ununterbrochen, auch wenn nicht jeder seiner Mitmenschen dasselbe Verständnis dafür mitbringen kann.

Love always finds a way“ und auch, wenn das Leben mal sinnbefreit (oder in Cassavetes’ Fall scheinbar am Ende) erscheint, lässt sich immer noch eine Abbiegung im Fluss finden. Das ist so ziemlich der relativierendste Satz, mit dem man den Gesamteindruck von „Love Streams“ beschreiben könnte. Doch ein gleichsam überwältigendes wie unbeschwertes Werk zu bewerten, ist kein hundertprozentig festlegbares Ziel. Was auch daran liegt, dass es vollkommen bewusst mit dem komplizierten Konzept der Liebe verwurzelt ist, welches an sich schon essenziell unberechenbar ist. Es ist demnach auch das, was die dargestellten Figuren hauptsächlich vorantreibt und sich dennoch nicht mit großen identifizierbaren Zeichen ankündigt. Man kann als Zuschauer nicht anders, als sich irgendwann bereitwillig in den Rausch des Films einzuklinken und ebenfalls dramaturgische wie filmische Formalitäten außer Acht zu lassen. Er kann einem nicht viel erzählen, sondern stattdessen nur zeigen. Und ehe man sich versieht, taucht man in den „Love Streams“ unter. Dort kriegt man aber auch gut was fürs Leben ab, so wie der Film auch die Lebenszeit seines Regisseurs beglückend verlängerte.

Meinungen

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