Wer den englischen Romancier Thomas Hardy verstehen will, muss verstehen, was ihm seine Heimat Dorset bedeutete, für die er die angelsächsische Bezeichnung Wessex reanimierte: Wie sich seine Prosa lockerte, wenn er in der Wärme der Countryside schwelgte und seine Figuren dort ihre Augen öffneten, um fern ihres ruppigen Treibens in sich zu kehren. Daher ist eine Adaption seiner Werke immer auch eine Annäherung, die sich nicht in der reinen Nacherzählung erschließt, sondern in den Cottages, Feldsteinwällen und Schotterwegen – in der Metamorphose der Landschaft. Im Gegensatz zu verwandten Schriftstellerseelen um die Wende zum 19. und 20. Jahrhundert – wie Jane Austen und D. H. Lawrence – scheiterten jedoch selbst kluge Regietaktiker an Thomas Hardy; ein John Schlesinger („Die Herrin von Thornwill“) ebenso wie ein Roman Polanski („Tess“) und Michael Winterbottom („Herzen in Aufruf“). Allen mangelte es an der Sehnsucht, die sich in Hardys Blick über die südenglische Provinz wohl ergeben haben mochte.

So gesehen macht es ihnen der Däne Thomas Vinterberg gleich – wohl aber wenig besser. Denn Thomas Vinterberg ist kein Stanley Kubrick, sein „Am grünen Rand der Welt“ kein „Barry Lyndon“. Vielmehr funktioniert er die Geschichte der Bathsheba Everdene, die mit einer damals untypischen Souveränität zwischen drei Männern im viktorianischen Zeitalter flaniert, zu einer Geschichte um, die sich einem misogynen Feminismus nicht verwehren kann. Damit interpretiert Vinterberg die Intentionen Hardys fehl – aber immerhin interpretiert er überhaupt, wozu sich die drei früheren Verfilmungen von 1915, 1967 und 1998 erst gar nicht imstande sahen. Das war es jedoch mit einer Aktualisierung des sogenannten Schäferromans, der noch immer wirkt, als wäre er aus jeglicher Zeit gefallen. Ein wenig ließe sich das Liebesquartett heutzutage wohl als radikaler Dating-Marathon verstehen, in dem die Frau vorgibt, ein Interesse an gleich drei Männern zu haben, diesen aber mehrmals bewusst vor den Kopf stößt. Es geht sogar soweit, dass sie einem ihrer Interessenten aus Jux einen Brief zum Valentinstag schickt, dessen Siegel die Worte „Heirate mich“ tragen. Ein Antrag folgt. Nicht der erste – und auch nicht der letzte.

Bathsheba stellt eben keine zeitgenössische Frau dar, die im Korsett nach Sicherheit und Schutz sucht – und diese ominösen Schwüre noch dazu an einen Mann knüpft. Statt an Schwindsucht zu kränkeln, wie es die feinen, trägen Ladies im Umland tun, schuftet und herrscht sie auf der Farm, die sie von ihrem Onkel geerbt hat. Ungewöhnlich. Aber viel Aufhebens machen weder Hardy noch Vinterberg darum. Obwohl Letzterer über die Bildgestaltung von Charlotte Bruus Christensen („Life“) durchaus den Eindruck erweckt, ihn würden die Interieurs mehr interessieren als die prätentiösen Lens-Flare-Abziehbilder des einfachen Lebens, die er als Präsentation des Hardy’schen Wessex verkauft. Ein kinematografisches Missverständnis, dem bislang niemand entgehen konnte. Alles ist Staffage, alles bis zum letzten konservativen Inszenierungstropfen ausgewrungen. Eine Schande ist Vinterbergs Film dennoch nicht: Dafür kommen ihm seine Darsteller zu sehr entgegen – allen voran Carey Mulligan als Bathsheba und Michael Sheen als William Boldwood; jener wohlhabende Junggeselle, dem die schriftliche Heiratsaufforderung galt.

Doch obwohl sich David Nicholls’ Drehbuch an eine Werktreue klammert, die sich von Station zu Station, von Mann zu Mann schleift, scheitert er in den Worten seiner Literatur an eben jener. Der Kern der Geschichte liegt zwar in der unorthodoxen Haltung seiner Protagonistin und der Akribie, mit der sie diese umsetzt. Aber auch bei Hardy folgte eine Charakterisierung erst, als dieser sich die Mächte der Natur zum Werkzeug nahm und ohne elitäre Spiele à la Charles Dickens auf den Menschen übertrug. Vielleicht resultieren die Probleme in einer Adaption aus dem Umstand, dass Film arbeiten muss, wo Literatur sein darf. Das normale Leben ist es nämlich, das Thomas Vinterberg fasziniert. Aber das normale Leben ist nur normal, wenn es Menschen füllen, die ihm Normalität zu geben bereit sind. Seinem Film mangelt es dahin gehend an der Symbiose zwischen Mensch und Natur, die Hardy mittels einer Sprache ersann, welche schlicht, aber in seiner Naivität mächtig war.

Was wäre wohl entstanden, wenn nicht Vinterberg die Adaption übernommen hätte, sondern Lars von Trier? Wenn jener sich an die „filmischen Keuschheitsgelübde“ des Manifests „Dogma 95“ gehalten, es kein künstliches Licht, keine außerszenische Musik gegeben hätte? Vielleicht wären die Worte reaktionär und degeneriert gefallen, vielleicht wäre von einer fanatischen Melancholie die Rede, welche keineswegs in einem Happy End hätte enden können. Thomas Hardy wäre vermutlich gegeißelt worden – aber vermutlich wäre es seine Geißel wert gewesen. So allerdings ist „Am grünen Rand der Welt“ eine zahme Täuschung, gegen die sich Thomas Vinterberg einst echauffierte und zehn Gebote unterschrieb.

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