„A Hijacking“ (deutscher Titel: „Hijacking: Todesangst – In der Gewalt von Piraten“) erscheint nun doch noch in deutschen Landen auf DVD und Blu-ray am 25. März 2014.

Vorbei ist die Zeit, in der Fantasy-Piraten im historischen Gewand en vogue waren; denn wozu braucht man einen Jack Sparrow, wenn es sich bei Piraterie um eine mittlerweile allgegenwärtige Gefahr handelt? Somalische Piraten bedrohen internationale Schifffahrtsrouten und machen die Gewässer des Indischen Ozeans und das Rote Meer unsicher – doch aus dem, was man aus Schlagzeilen und Nachrichtenmeldungen herauslesen kann, wird man sich schwerlich mehr als ein abstraktes Bild machen können. Wie fatal eine solche Entführung tatsächlich verlaufen kann, zeigt uns der dänische Regisseur Tobias Lindholm in seinem Thriller „A Hijacking“ und bringt uns die schmerzlichen Erfahrungen, die in der kleinen Schifffahrtsnation Dänemark nahezu jede Familie betreffen, auf schonungslose Weise näher.

Im Spätsommer schon schmückte das Filmplakat die Kinofoyers Frankreichs, Belgiens, der Niederlande und Estlands, und auch an den US-amerikanischen Kinobesuchern schien dieses Werk nicht spurlos vorbeizugehen. Unsere Hoffnung wuchs, „A Hijacking“ könnte es doch noch in unsere Kinos schaffen, wenn auch nur gering. Bald aber war jener sommerliche Tagtraum ausgeträumt: Kein deutscher Filmverleih entschied sich, diesen hoch analytischen Thriller auf die Kinoleinwand zu bringen. Was mehr als bedauerlich ist.
Da aber nun alle ins Kino stürmen, um Tom Hanks als tapferen Richard Phillips zu bestaunen, entschieden wir uns, die Existenz dieses kleinen Dänen nicht länger zu verschweigen. Genau wie das Action-Thriller-Spektakel „Captain Philips“ aus Hollywood, handelt es sich bei „A Hijacking“ um eine Geschichte, die nicht bloß eine brisante politisch-ökonomische Sachlage widerspiegelt, sondern um eine, die auf wahren Begebenheiten basiert und uns versucht die Emotionen und Ängste echter Charaktere näher zu bringen.

Kurz vor Aufbruch zur Heimreise wird das dänische Frachterschiff MV Rozen, nach Monate langer Arbeit im Indischen Ozean, von somalischen Piraten gekapert. Die Piraten fordern ein hohes Lösegeld. Der von ihnen angeheuerte Mittler Omar (Abdihakin Asgar) soll dazu mit den Verantwortlichen in Dänemark via Telefon verhandeln. Während der dänische Geschäftsführer Peter Ludvigsen (Søren Malling) den Preis auf das niedrigste Level herunterschrauben soll, weichen die Piraten nicht von ihren Forderungen ab; denn was man in der dänischen Zentrale nicht zu verstehen scheint: Die Piraten haben nichts zu verlieren. Das zynische Resultat: Die Verhandlungen dauern Monate. Während die Nerven bei Omar und Peter allmählich blank liegen, scheint die Schiffscrew jede Hoffnung auf Rettung verloren zu haben. Die hygienischen Zustände sind fatal, alle leiden an Hunger und Durst, der Kapitän vegetiert schwer verletzt vor sich hin und Schiffskoch Mikkel Hartmann (Pilou Asbæk) droht vollkommen wahnsinnig zu werden. Die Tage verstreichen – und nun stockt auch dem Zuschauer der Atem –, der Angstschweiß perlt von Nacken und Stirn, die Hände sind nasskalt, denn in diesem vermeintlich diplomatischen Spiel gibt es keine tapferen Helden, keine Sieger, nur Geschädigte.

Es ist die gefühlte Länge dieses filmischen Werks, die das Publikum spalten könnte. Was dem einen ein Gräuel wird den anderen erst recht in seinen Bann ziehen. Die vermeintliche Langatmigkeit, die Lindholm hier kreiert, wirkt bewusst gewählt, denn egal ob man nun mit Mikkel und seinen Kameraden mitfühlt und wahre Angst verspürt oder sich seiner Zeit beraubt fühlt, dauert „A Hijacking“ länger als nur die angegebenen 110 Minuten. Aus Sekunden werden Minuten und aus Minuten Stunden – ein unerträgliches Warten, das mitreißt. Zeit wird urplötzlich relativ, man wird sich dessen bewusst, dass sie nichts weiter ist, als ein soziokulturelles Konstrukt, welches nur subjektiv erlebbar ist. Ehe man sich versieht, ist man Teil einer ohnmächtigen Schiffsmannschaft, welche miterleben muss, wie die verhandelnden Parteien längst von dem Ziel, das sie sich anfangs auferlegt haben, abgekommen sind. Man spürt, dass es die Zeit ist, die an uns nagt, uns zerknirscht, uns zu zermalmen droht. Zeit wird zu Macht und ein somalischer Pirat wird einem hektischen Bürger der westlichen Welt in dieser Hinsicht einen weiten Vorsprung haben. Am Ende wird es nur darauf ankommen, wer den längeren Atem hat – Geld spielt dabei nur eine untergeordnete Rolle.

Asbæk, Malling und Asgar formen eine brillante darstellerische Dreiecks-Konstellation, doch Regisseur und Drehbuchautor Lindholm trägt nicht unwesentlich dazu bei, dass die Angst, die wir auf der Leinwand sehen, authentisch wirkt. Er greift mehrfach zu unkonventionellen, fast sadistischen Methoden, um bei seinen Darstellern echte Angst zu erzeugen. So sperrte er sie stundenlang in einen überhitzen Raum mit Fliegen ein, ohne Trinkwasser, ohne Nahrung und das, ohne jene zuvor über sein Vorhaben in Kenntnis gesetzt zu haben.
Dabei ist Lindholm kein Newcomer. Spätestens seit seinem Drehbuch zu Thomas Vinterbergs „Die Jagd“ mit Bond-Bösewicht Mads Mikkelsen in der Hauptrolle, sowie dem preisgekrönten Serien-Polit-Thriller „Borgen – Gefährliche Seilschaften“ (seit 2010), kennt man ihn auch in Deutschland. Er konnte mitunter essenzielle Erfahrungen durch seine Zusammenarbeit mit Vinterberg sammeln, einem der Begründer der avantgardistischen Dogma-95-Bewegung (zu der ebenso Lars von Trier gehört). Jene Fakten über Lindholm machen es noch weniger verständlich, warum „A Hijacking“ es bislang nicht in unsere Kinos geschafft hat.

Wahrscheinlich wird der deutsche Zuschauer warten müssen, bis „A Hijacking“ zu unerträglicher Stunde auf ARTE oder 3sat inmitten einer Arbeitswoche ausgestrahlt wird – doch wer nicht warten will, bestellt sich die Heimkinofassung schon jetzt bequem über Amazon und schaut sich einfach die Originalfassung mit englischem Untertiteln an. Sehenswert ist dieser sadistische und nüchtern zynische Thriller allemal: Er packt den Zuschauer dort, wo er es am wenigsten erwartet. Auch auf psychoanalytischer Ebene bietet „A Hijacking“ eine hervorragende Ergänzung zu „Captain Philips“, denn was dem Dänen mitunter an Action fehlt, fehlt dem Amerikaner an Tiefenschärfe.

Meinungen

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