Filmschaffende der derzeitigen Generation haben es sichtlich schwer, fernab etablierter Reglements so etwas wie ehrliches, einfaches Genrekino in die Welt zu gebären. Oftmals verlieren sie sich dabei in leider eher zurückhaltende Angelpunkte wie Hommagen, Parodien sowie dem Drang, noch weiter als zuvor zu gehen, Strukturen meta-mäßig zu übertreiben und offensichtliche zusätzliche Bedeutungsschichten einzuarbeiten. Solche Ambitionen strahlen gewiss eine eigensinnige (doch innerlich stark abhängige) Präsenz aus und verlangen geradezu nach einem Publikum, speziell solch eins nostalgischer Mentalität. Aber es geht auch anders, wie Adam Wingard und sein Drehbuchautor Simon Barrett mit The Guest“ beweisen. Deren Film ist sich nämlich den Genre-bedingten Umständen von Stil und Form sowie dem Hunger des potenziellen Zuschauers nach Retro-Vibes durchaus bewusst, diese werden aber eben geschickt, quasi im Vorbeigehen assimiliert, während Plot und Charaktere ihren eigenen Weg gehen und zur cineastischen Selbsterfüllung voran schreiten – das Endergebnis ist so für jede Seite eine gern eingeladene Befriedigung.

Die eigentliche, inhaltliche Konstellation macht auch keinen Witz aus sich und greift zwar auf ein denkbar Genre-geeignetes Szenario zurück, belässt es jedoch seiner Geradlinigkeit im Sinne einer respektablen Plattform. Wingard und Barrett wissen eben: Man muss nicht Over-the-Top gehen, um zu begeistern. Es reicht das individuelle Dasein – und da ist ihr titelgebendes Subjekt ein Paradebeispiel der fesselnden Selbstverständlichkeit. Soldat David (Dan Stevens) besucht nämlich die Familie seines gefallenen Kameraden Calvin und will ihnen scheinbar unschuldig seinen Respekt erweisen. Doch als Zuschauer bemerkt man schon schnell eine perfektionierte Fassade der Kalkulation seinerseits im Umgang mit den jeweiligen Familienmitgliedern, die ihn nacheinander in ihr Leben einladen. Nach plakativem Muster wird aber eben nicht gearbeitet. Wingards Inszenierung arbeitet mit wenigen Hinweisen und fängt einen mit Effizienz und Direktheit ein, sodass er einen ganz natürlichen Appetit der Erwartung anregt. Da spricht man dann nicht von auktorialer Aufregung, sondern eher von narrativer Freude.

So leichtfüßig bewegt sich auch die Kameragestaltung in der Beobachtung des Haushalts und des sozialen Umfelds vom Mittelklasse-Americana hin und her und sammelt derartig mühelos und konkret die nötigsten Informationen und Charakteristika, dass David selbst die Kamera sein könnte und galant über dem Geschehen schwebt. Da bedarf es keiner weit hergeholten Story-Mechanismen, Erklärungen und verrückten Twists – es lebe schlicht der Flow! Und so bietet Davids Flow auch Raum für Konfliktpotenzial, um seine stetig offenbarte Bestimmung als Killermaschine wortlos-missionarisch auszuüben. So zieht er die zunächst skeptische Tochter des von ihm eingedrungenen Peterson-Klans, Anna (Maika Monroe, „It Follows“), zu sich; und gewinnt wie bei allen Sympathie darin, dass er sich ihrem Tempo anpasst und speziell dem Rhythmus ihrer Retro-Synth-Pop-Tunes, die sie ihm per CD zusammen mixt.

Natürlich ein klares Zeichen von Wingard und Barrett dafür, welchem Zeitalter sie sich verbunden fühlen, doch eben auch zum sinisteren Selbstzweck Davids gedacht, der darin seine Bewegungsmuster zum Gelingen findet, weil er auf den Takt genau für die ihn entschlüsselnde Anna vorausplanen kann und so die Spannung am Laufen hält. Wingard und Barrett manövrieren auf dieselbe Weise und erschaffen dadurch einen beständigen Reißer der Eleganz mit gleichzeitig steigernder Rabiatheit und Selbstsicherheit. Darin bauen sie auf einem allein kinetisch krassen Typen auf, der jedoch nicht als Zitat oder Übernatürlichkeit einer Genre-Inszenierung verstanden wird, sondern als durchaus fähiger Psychopath. In dieser ungenierten Beobachtung wird er auch zur eventuellen Eskalation hin weder verurteilt noch zelebriert; stattdessen wird sich auf den Thrill seiner bloßen Existenz konzentriert und geschöpft.

Den Kontext dazu bestimmt er natürlich in seinem Handeln selbst. Trotzdem bleibt er Gast seiner Umgebung, die ihm eine bestimmte Persönlichkeit zuteilen will, welche er respektvoll annimmt, aber auch selbstständig (man könnte auch sagen ironisch) darin aufgeht. So gestaltet sich das Finale in einem aufgebauten Gruselkabinett der Highschool für den Halloween Dance, inklusive Spiegellabyrinth, Disco-Kugel, Grusel-Deko und künstlichem Nebel. In dieser geradezu kindlichen Kulisse des aufgesetzten Schreckens stellt er sich gerne standesgemäß als Böser dar; doch wie es bei ihm üblich ist, ist auch das eine Fassade für die Selbsterfüllung seiner Gastgeber. Er ist zugleich Helfer und Zerstörer – ein Katalysator für die eigene Funktion als Hauptcharakter im Film und Fokus von dessen Handlung, doch erst in zweiter Instanz für jene Genre-Kultur tätig, die sich in ihm wiederfinden will und ihn deshalb einlädt.

Wingard und Barrett kennen wenig Skrupel; zwar genügend Respekt, diesen aber vor allem vor sich selbst. So nimmt sich ihr „The Guest“ in seiner anbietenden Anpassungsfähigkeit Fähigkeiten heraus, die ihn eigenständig machen und vom nervösen Zuspiel einer Zielgruppe fernhalten. Da lädt man sich als Zuschauer auch gerne selbst als Gast vor der Leinwand ein und erlebt Schnörkellosigkeit in Reinkultur, wie es sie nur selten im post-modernen Genrekino zu sehen gibt.

Meinungen

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