„Veni, vidi, vici“ prangt auf Jays (Maika Monroe) Handrücken. Doch am Ende von David Robert Mitchells „It Follows“ kam, sah und siegte höchstens ein äußerst masochistischer Dämon, übertragen beim Sex noch junger, aber freilich wenig unschuldiger Kinder. Der Dämon geht und rennt nicht. Weil er das auch nicht muss, sterben seine Opfer trotzdem irgendwann, egal, wie weit fort sie fuhren und wie sicher sie sich wogen. Kommt das im Titel bezeichnete Es, dann ist die spießige Vorstadt Detroits vor ausufernd-leichtfüßigen 180-Grad-Schwenks nicht mehr sicher, dann rennen junge Frauen beinahe halb nackt des Nachts aus dem Haus, zurück ins Haus, zum Auto und rasen schließlich an den Strand. Während der Himmel aufbricht, sitzt die Frau im Sand und der Dämon schlurft auf sie zu. Danach ist der Körper zerstört: das Bein verdreht, der Unterschenkel senkrecht in der Luft, die Seele längst im Jenseits. Später mimt die lebendig gewordene Geschlechtskrankheit die Mutter eines Jungen. Es gibt Schleim, einige hässliche Reminiszenzen an William Friedkins „Der Exorzist“ (1973) und ein Lachen aus tiefster Inbrunst. Ein bisschen schafft David Robert Mitchell wohl, was unter einer akuten Genre-Frischzellenkur zu verstehen ist. Nicht bis zum bitteren Ende, aber immerhin: Zarter und irritierender wuchsen arme Schüler seit John Carpenter nicht mehr auf.

Wo das Vieh seinen Ursprung hat? Es spielt nicht die geringste Rolle. Entgegen etwaiger Notlösungen existiert es nur – und es existiert auch noch länger, weil Männer und Frauen den Tripper in die Welt tragen, um das Ding wieder loszuwerden. Was eigentlich einfach klingt: Einmal vögeln und schon jagt der Dämon den wortwörtlich nun Gefickten. Der Schuss kann aber ebenso nach hinten losgehen. Stirbt nämlich der aktuell Infizierte, so hat der vorherige die Misere wieder an der Backe. Shit happens. In „It Follows“ passiert dies jedoch nicht allzu oft, da Mitchell interessiert, was seine jungen Protagonisten „im Innersten zusammenhält“. Daher rotiert er um sie mittels somnambuler Diffusität, welche den Dämon mal als personifizierte Inkarnation des Vaters, der Freundin oder des seltsamen Kinds aus der Nachbarschaft ausstellt, ihnen aber den fernen, halluzinatorischen Hauch der Unschärfe lässt. Aus der Verschränkung des Realen mit dem Irrealen schöpft der Film geradezu wankelmütige Sequenzen voll bizarrer Schönheit und Komik. Einmal treibt eine Freundin Jays im Schwimmring noch freudig spaßend von links ins Bild, während beim Schnittwechsel der Dämon in ihrer Gestalt schleppend aus dem Dickicht des Waldes taucht. Diese Irritationsmomente erinnern auch an japanische Horrortraditionen, insbesondere Hideo Nakatas „Ringu“ (1998), der sein Geheimnis im Medialen verbarg und für folgende Generationen in urbanen Mythen (und einigen unnützen Fortsetzungen) prägte. Angst potenziert sich mit der Zeit eben.

Nichts an diesem aufgespannten Szenario ist dabei neu oder gar sonderlich originell, außer der bittersüßen Prämisse vielleicht und gewiss einiger narrativer Effektivität. Auch in seinem Debüt „The Myth of the American Sleepover“ (2010) konfrontierte Mitchell schon die Leben einiger Jugendliche konsequent mit ihrer aufkeimenden Sexualität, während deren Erziehungsberechtigte nur noch als wehrlose Instanzen existierten. „It Follows“ bahnt das Coming-of-Age-Dickicht unter herben Synthesizern und dröhnend-raffinierter 8-Bit-Kulisse mehr noch als in die Sinnsuche junger Menschen in ein abseitiges Märchen über Kontrolle und unbändigen Schauder. Atmosphäre meint hier vor allem ein barbarisches Tongewitter, um wankelmütigen Taumel und die Lust am Tod zu generieren. Als Hugh (Jake Weary) in einem niedlichen Auto-Intermezzo den Fluch an Jay überträgt, schnallt dieser sie erst mal gefesselt in einen Rollstuhl und wartet, bis sich ihr der künftige allfressende Verfolger präsentiert. Ab da an kollabiert alles in unzeitgemäßer Entschleunigung. Zwischen Jagd und Aufrieb liegen die Jugendlichen manchmal nur im Bett, schlafen, ruhen und lassen feine emotionale Bande entstehen; ein bisschen so, wie Richard Kelly seinen „Donnie Darko“ (2001) träumen ließ, dass sich im Tod ein Paralleluniversum aufspannt, in dem die eigene Adoleszenz auch das Fantastische in Beschlag nimmt. David Robert Mitchell glaubt an die Hoffnung, die sich seinen Protagonisten in der Angst offenbart.

Der schwarze Mann geht schließlich um. Glück hat, wer prüde bleibt. Welch unterschwellige Botschaft an die Gegner des vorehelichen Sex. „It Follows“ überwältigt, weil er sprachlos bleibt und aus der Not eine Tugend kreiert. Wie schön doch ein ruppiger Sex-Tripper-Dämon hier die erste Liebe anstimmt. Das ist nicht nur old school, es ist faszinierend und ekstatisch-frisch, wenn auch grenzenlos elliptisch. Aber das waren die besten Filme dieses Genres ohnehin schon immer. Darin gelingt Mitchell auch ein Film für die Kinder der achtziger und neunziger Jahre, wo die Sehnsucht noch bei Dates im Kino mit Popcorn und Kola mitschwang.

Meinungen

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