Manchmal sind die größten Helden jene, die gar nicht um die Bedeutung ihres Wirkens wissen. Dies gilt für die Querulantin Kylie (Morgana O’Reilly), die zu Beginn von „Housebound“ mit guten Taten so kompatibel scheint wie Disteln mit einer Liebeserklärung am Valentinstag. Es passt genauso auf Regiedebütant Gerard Johnstone, der sich wohl nicht hätte träumen lassen, von einer TV-Show zu einem der erfrischendsten Genrestreifen seit langem inspiriert zu werden. Selbst die unvermeidliche Nennung des übergroßen Peter Jackson erscheint in diesem Fall alles andere als anmaßend. Immerhin hatte Jackson einst, vor der Gigantomanie seiner Tolkien-Adaptionen und „King Kong“-Neuauflage, in mehrjähriger Kleinstarbeit sein Aliens-essen-Menschenburger-Spektakel „Bad Taste“ zusammengeschraubt. Und mal ehrlich: „Bad Taste“ oder schließlich „Braindead“ ließen Neuseeland erst auf der filmischen Landkarte aufleuchten. Jedenfalls genießt der Kontinent seither einen ganz besonderen Ruf unter Horrorliebhabern.

Nicht nur diese Fangemeinde dürfte es begrüßen, dass auch Gerard Johnstone mit „Housebound“ eine ähnlich tolldreiste Mixtur abliefert. Er kreuzt klassische Grusel-Zutaten mit unterhaltsamer Komödie. Genau jene Art von Film, der es schafft, das Spukhaus-Motiv aus seinem Dornröschenschlaf wach zu küssen. Schließlich wurde es zuletzt etwas vorhersehbar mit der ganzen Videotagebuch-Optik der Marke „Paranormal Activity“ und dem Retro-Flair, das beispielsweise „Conjuring“ bedient. Klar, dass es in „Housebound“ ein in die Jahre gekommenes Anwesen trifft. Nur ist eben dieses gleichzeitig das verhasste Elternhaus der aufmüpfigen Kylie, in das sie per Gerichtsurteil verfrachtet wird. Die Aussicht auf acht Monate Hausarrest mit ihrer nervend gutmütigen Mutter Miriam (Rima Te Wiata) sind da schon grauenvoll genug. Schließlich ist die Bude bis zur Vorstufe eines Messie-Horts vollgestopft mit Krimskrams und die letzte technische Errungenschaft stellt ein Rechner mit 56-K-Modem dar.

Richtig ätzend wird es für unsere Protagonistin aber erst, als ihre Mutter wiederholt das Märchen vom Hausgeist und unerklärlichen Vorfällen abspult. Für Kylie zunächst nur ein weiterer Grund, sich zu wünschen, dass Blicke doch töten könnten. Erst das Verschwinden ihres Handys und die Begegnung mit einem eiskalten Händchen lassen Kylie ihre Haltung langsam überdenken. Und sich etwa genauer mit der Vorgeschichte des Gebäudes beschäftigen, welches nicht immer als Wohnraum diente. Wer jetzt an Familiengeheimnisse und andere verborgene Wahrheiten als Ursache fürs Übernatürliche denkt, der irrt sich, wie er oder sie gleichzeitig auch ganz richtig liegen. Klingt ganz schön schizophren. Dennoch spiegelt es auch die Haltung von „Housebound“ wider. Auf der einen Seite die klassischen Motive aus dem Spukhaus-Film zu bedienen, sich aber ebenso freizügig im Umgang mit diesen zeigen. Mal lässt Johnstone die Heimsuchung der Lebenden durch Verstorbene und deren unerledigte Aufgaben durchsickern; dann scheint es, als müsse sich Kylie wie einst George C. Scott in „Das Grauen“ (1980) einem unaufgeklärten Mysterium annehmen. Während wiederum Gerard Johnstone sich keineswegs auf knarrende Fußböden oder per Geisterhand verrückte Stühle verlässt. Oder eine reine Parodie auf solche Manifestationen.

Überhaupt legt „Housebound“ einen höchst amüsanten Ritt hin, bei dem ganz klar die schrullig liebenswerten Figuren den Hauptgewinn darstellen. Morgana O’Reilly als Heldin wider Willen, die erst lernen muss, dass ihr Herz für jemand anders schlagen kann. Ihre Schroffheit und der Sarkasmus machen sie schnell zum Publikumsliebling, wie auch zum passenden Gegenstück zur abergläubisch wirkenden Mutter. Oder dem Sicherheitstechniker Amos (Glen Paul Wuru), der sich neben Fußfesseln gerne mit paranormalen Sichtungen beschäftigt. Es sollte nicht verwundern, dass bei einer Horrorkomödie ausgerechnet eine Straftäterin als geistig gesündeste Person erscheint.

Was das Debüt von Gerard Johnstone aber vor allem auszeichnet und hervorhebt, ist seine wunderbare Balance zwischen spöttischem Wortwitz und Grusel. Nicht eine Sekunde lang lässt der erstmalige Regisseur seine Geschichte aus den Augen. Opfert keineswegs das eine Element fürs andere. Selbst wenn er zum Finale die größte Überraschung hinlegt. Selbst dann, wenn Ektoplasma und Bettlaken einer irdischen Ursache fürs Geschehen weichen, versteht es Johnstone trefflichst, die eigene Rezeptur nicht zu verwässern und sogar noch einen Gang hochzuschalten. Da sind selbst die üblichen Psychopathenmomente nicht vor der Bloßstellung sicher, so bedrohlich sie auch weiterhin sein mögen. „Housebound“ ist eine wahrlich beeindruckende Unternehmung. Ein Erstlingswerk, bei dessen Ideenreichtum und Vorgehensweise einem schon mal sprichwörtlich der Kopf platzen kann. Aber nicht wegen eines heillos konfusen Durcheinanders, sondern gerade, weil sämtliche Zutaten perfekt aufeinander abgestimmt vermischt wurden. Da sollten sich auch Anhänger ernsthaften Horrors nicht ausgeschlossen fühlen, immerhin ist so ein Film eine schon lang überfällige Abwechslung zum immer gleichen Geisterspuk. Ein Film, der sich und sein Thema Ernst genug nimmt, um auch mal einen klugen Lacher daraus zu machen. Womit „Housebound“ äußerst heldenhaft die Ehre seiner Heimat Neuseeland verteidigt.

Meinungen

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