„When Animals Dream“ polarisierte beim diesjährigen Filmfest München: Für manche war Jonas Alexander Arnbys Spielfilmdebüt einer der schwächsten Filme im Programm, andere sahen es weit oben in der Rangliste. Der Mystery-Thriller, der neben den offensichtlichen Horroreinflüssen auch Elemente des Dramas enthält, ist im Vergleich zu Werken seiner Sparte nicht nur aus ästhetischen Gründen interessant, sondern sowohl die Schauspieler als auch die flüssige Erzählweise begeistern. Viele Darsteller des Films sind Laien, so auch die Halbrussin Sonia Suhl, die als Marie einen außerordentlich guten Eindruck hinterlässt. Sie hat besondere Augen, faszinierende Augen, welche die Blicke auf sie richten. Arnby weiß um diese Pracht und filmt sie so nah wie möglich. Der Sog wirkt und hilft der düsteren Atmosphäre entscheidend.

Was genau Marie innewohnt, wird nicht erklärt, doch das reservierte Mädchen leidet an einer vererbten Animalisierung, die ihre Behaarung, Aggressivität und Lüsternheit beeinflusst. Wird sie dadurch zum Tier, vorausgesetzt der Mensch ist keines? Der Titel spielt mit dieser Frage. Was sind die Träume dieses Wesens, deren sterbende Mutter schon aufgrund ihres gleichen Daseins medikamentös gezähmt wurde und deren männliches Umfeld das Gefährliche an ihr attraktiv findet? Sie wird minutiös beobachtet und ihre mögliche Verwandlung wird gespannt erwartet, ist das Gesprächsthema des Ortes. Gerade dieses Erwarten ist ein wichtiger Punkt, denn erst während ihrer Adoleszenz zeigt Maries Organismus die ominösen Symptome, die auch schon ihre Mutter quälten. Sie beginnt eine Arbeit in der Fischfabrik, übrigens wie Sonia Suhl in Wirklichkeit auch, und sofort ist sie im Mittelpunkt des Geschehens.

In Rasmus Birchs Drehbuch stecken viele Interpretationsmöglichkeiten, die Arnby sehr gut in Bildern festhalten kann. Die Fischfabrik ist wie ein kleines, männliches Dorf, das aus allen Generationen und Typen besteht. Wie ein zappelnder Fisch wird Marie zu den Haien geworfen, die Bilder zeigen die hierzu passende zeremonielle Einweihung durch einen hinterlistigen Schubser in das fischige Überrestebecken. Fast jeder ihrer gleichaltrigen Mitarbeiter zeigt entweder wirkliches oder gieriges Interesse, die Kamera fängt die starren Blicke nacheinander ein. Marie kennt ihre Rolle bald und setzt sich durch. Hier hätte „When Animals Dream“ ein wenig mehr die Verbindung zu ihrem einzigen Freund Daniel beleuchten können, um den weiteren Verlauf der Geschichte besser vorneweg zu nehmen. Gut charakterisiert ist Maries Vater Thor (Lars Mikkelsen), der das Geheimnis der Familie rigoros verschweigt und alles dafür riskiert, diese aufrecht zu erhalten. Es gibt alte Abmachungen für seine Ehefrau, doch nun enthüllt sich die selbstsichere Marie, eine unglaublich starke Persönlichkeit, die ihren Überlebenswillen niemals verliert.

Die angesprochene Schönheit der Protagonistin ist zugleich ein Ausdruck von Natürlichkeit. Arnby hat hier ins Schwarze getroffen, er kann die Grundproblematik des Films an Maries Charakter anbinden: Kann eine Metamorphose die Innerlichkeit verändern beziehungsweise sind es nicht eigentlich die Gedanken und Gefühle, die in Realität die Menschen verändern? „When Animals Dream“ bleibt konsequent in seiner Darstellung, es gibt keine zweideutige Äußerlichkeit. Dennoch stellt sich die Frage, ob man diese Verwandlung nicht als Metapher verstehen könnte, parallel zur Verwandlung von Gregor Samsa in Franz Kafkas Jahrhundertroman „Die Verwandlung“. Da es sich bei Kafka um einen äußerst vieldeutigen Schriftsteller handelt, ist ein direkter Zusammenhang nur schwer herstellbar, möglicherweise ist das Monster im Film aber Anspielung auf den Käfer, der vielleicht nie existiert hat. Spinnt man diese Idee ein wenig weiter, stellt die Gefährlichkeit der Frau in ihrer attraktiven Ausstrahlung die Verwandlung zu einem einladenden Biest dar, die Lust des Mannes ausspielend und benutzend. Doch Marie hat keine hinterhältigen Ziele, keine böse Absichten. Sie wehrt sich gegen die Angriffe, die aus Furcht vor dem Ungewissen, vor dem vermeintlich Gefährlichem, vor der allgemeinen Abnormität entstehen.

Trotz geringem Budget gleitet Arnby in den knapp neunzig Minuten niemals ins Trashige ab, die wenigen Spezialeffekte können sich absolut sehen lassen, die Hautbehaarung wurde beispielsweise aus Wachs präpariert. Dass sich der Däne nicht am Mainstream orientiert, zeigt sich in der Aussage, auf mehr CGI und Effekte zu verzichten, hätte ihm mehr Geld zur Verfügung gestanden. Ihm reichen die authentischen Requisiten, die sehr guten Schauspieler und eine fantastische Kameraarbeit von Niels Thastum, der immer wieder die kühle Landschaft einfängt, während sich die ebenso kalten Gemüter der nordischen Gemeinde erhitzen.

Meinungen

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