Zwischen Wissen und Wissenschaft porträtiert David Cronenberg den Albtraum aus Fleisch und Blut mit Gift und Galle. Zeit, ihm in einer Retrospektive zu huldigen! Des Parasiten fünfter Schlag mit „Die Brut“.
Im Horrorfilm ist es mit Kindern wie im wahren Leben: Sie können pure Unschuld oder unerwarteten Terror verkörpern. Im Regelfall kommt das auf die Erziehung an, selbst wenn es wortwörtlich kleine Monster sind. In David Cronenbergs „Die Brut“ braucht sie das gar nicht mehr, da sich ihre Existenz auf der Funktion als Katalysator mütterlicher Emotionen gründet. Cronenberg fängt in der Mitte des Prozesses an, nämlich in der fortgeschrittenen Phase einer Wuttherapie durch Dr. Hal Raglan (Oliver Reed). Als Pionier der sogenannten Psychoplasmatik kann er die Rollen verschiedener Schlüsselmenschen seiner Patienten annehmen und anhand derer eine Verarbeitung in der mentalen Konfrontation erwirken. Sein Programm besitzt jedoch ebenso Züge eines verschlossenen Kults. Und so vermutet man von Anfang an Seltsames an jener mit Holz eingedeckten Klinik inmitten des kanadischen Winters. Die Kameraarbeit von Mark Irwin reflektiert zudem eine erkaltete Gefühlsbrüchigkeit in jenen Bildern der Landschaft, während Komponist Howard Shore (zum ersten Mal im Einsatz für Cronenberg) Kreisläufe des Unbehagens und Crescendos im Nervenzerren aufbietet.
Im Zentrum der Ungewissheit steht Familienvater Frank Carveth (Art Hindle), dessen Frau Nola (Samantha Eggar) bereits seit längerer Zeit dort verweilt und eine potenzielle Gefahr für Tochter Candice (Cindy Hinds) darstellt. Deren Körper ist nämlich nach einem Besuch bei Frau Mutter mit Verletzungen übersät und so ist Frank fest entschlossen, seine Tochter vom Einfluss der Gattin fernzuhalten. Der suggestive Schrecken ist in den Charakteren schon längst vor der Exposition tief verinnerlicht und fortan im Fokus des Films, der keine Ablenkung in seiner Darbietung der bitteren Erfahrung probiert. Dass dieses Auseinanderbrechen des familiären Nukleus für den Zuschauer befremdlich und gar Furcht einflößend wirkt, rührt aber nicht nur daher, dass es schlicht ausgeführt wird. So wie Cronenberg einen obskuren Psychologen in Raglan vorstellt, ist zugleich offene Psychologie und somit offenbarende Vergangenheitsbewältigung im Gange. Das fängt in der Familiengeschichte an, bei der Nolas Mutter dieselben Anfälle durchlitten und in ihrer Tochter physische wie psychische Traumata ausgelöst hat – und führt sich im weiteren Schrecken dementsprechend fort, dass man Frank vorschlägt, Candice zum Reden über die grausamen Erfahrungen zu ermuntern. An ihr geschieht jene Verletzung durch das unbewusste Handeln ihrer Mutter, wie sie Nola als Kind schon erfahren hat.
Wenn man Cronenberg an diesem Film Schwäche zuweisen möchte, dann vielleicht jene, dass er seine Karten der Beziehungen und Beobachtungen offen auf den Tisch legt und daran geradlinige Genremuster der Offenbarung erwirkt. Zudem fällt die emotionale Bindung, trotz anfangs neutraler Beobachtung an der Mutter, doch eher auf den Vater – für Regisseur und Autor Cronenberg aus persönlichen Gründen, da er zu jener Zeit ebenso einen Kampf ums Sorgerecht für seine Tochter und gegen seine Ex-Ehefrau führte. Jener Frust und emotional zermarternde Schrecken findet eine überspitzte Umsetzung im Angriff scheinbar unfertiger Kinder aus der Quelle von Nolas Hass, der die Familie zum Feind erklärt und zerstört, bis Candice unabhängig von ihrem Wohlergehen wieder zu Nola gehören kann. Eine rücksichtslose Mutterliebe, gegen die Frank wie seine Schwiegereltern machtlos scheinen, während um sie herum der Tod wartet. Die Furcht darin braut sich aber nicht als Prüfung zusammen, gegen die man sich mit energischer Gegenwehr verteidigen kann.
Wohlweislich hält Cronenberg die Auftritte der Brut klein und erfasst stattdessen den Zerfall von geliebten Mitmenschen sowie vom Frieden der Familie. So stirbt ein Stück davon nach dem anderen dahin, auch weil die patriarchalische Struktur einst an Nolas Geist versagt hat und dieser sich nun rächt. Zeitgleich offenbart sich nach der Therapie bei anderen Patienten lymphatische Krebsbildung – ein Körperhorror, wie man ihn von Cronenberg erwartet, und wie gehabt als Symbol des von Menschenhand mutierten Menschen steht. Das Grauen kommt aus uns und richtet uns in der privaten Zelle, welche wir für sicher glaubten. Die Brut fängt im Gehirn an, breitet sich in der Familie aus, findet schließlich sogar in die breitere Gesellschaft und verstümmelt ohne Reue. Der ultimative Umgang mit dem Unmenschlichen wird somit nicht wie in späteren Werken durch Assimilation und todesmutige (Selbst-)Zerstörung erreicht (siehe „Videodrome“ und „eXistenZ“), sondern anhand einer nervösen List, die den Horror nie verstehen wird und das darin verbliebene Ehemalige in Ermangelung anderer Optionen nur abtöten kann.
Deshalb bleiben auch trotz des Endes jener unnachgiebigen Zellen und ihrer „Bienenkönigin“ Narben sowie Traumata; insbesondere bei Candice. Das Erlebte lässt sich auch für den Zuschauer, sogar über den Abspann hinaus, nicht wegwünschen, weil der Film trotz seiner fantastischen Elemente ungemein nah an die Urängste des Menschen herantritt: Das Unterbewusstsein lässt eine gefährliche Saat aufblühen und zerstört alles Geliebte von innen heraus. Davor fürchtet und ekelt man sich, insbesondere im blutigen Detail jener Lebensform. Cronenbergs Film entwickelt darin immer wieder ein Kopfkino, welches eine Umsetzung bewusst wider des Zuschauers Hoffnung einleitet. Eben eine zerebrale Erfahrung fern des trivial-cineastischen Durchzugs, die einen mit einfachen und doch meisterhaft beherrschten Mitteln in die Furcht hineinzieht. Sie gehört zum Menschsein dazu – und besser man lernt sie so kennen als durch Psychoplasmatik. Oder ist Kino dies bereits?
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