Zwischen Wissen und Wissenschaft porträtiert David Cronenberg den Albtraum aus Fleisch und Blut mit Gift und Galle. Zeit, ihm in einer Retrospektive zu huldigen! Des Parasiten erster Schlag mit „From the Drain“ und „Camera“.

1967 begann es. Ein Kurzfilm. Zwölf, dreizehn Minuten. Im Nachhinein beurteilte David Cronenberg „From the Drain“ als „in künstlerischer Hinsicht furchtbar“. Das kennt man in und auswendig: Das Nachschlagen auf die Anfänge des schöpferischen Erfolgs ist zeitweilig an unangenehme Scham gebunden. „From the Drain“ vermittelt Trübheit – in Bildern, die keine Stützen sind. Aufgescheuchte, hyperkalte, nebelgeschwängerte Dunkelflächen. Zwei Männer in einer Badewanne, angezogen, verkeilt, nervös, der eine hat eine annähernd rasende Angst vor Pflanzen, die aus dem Boden wachsen. Bevor menschliche Hüllen und fleischliche Hülsen zum Auffangbecken des Cronenberg-Kinos von Körpern als Zeichenübermittler werden sollten, kommt der Badewanne als offener Leib in einem Simulationsraum pervertierter Umgestaltungen eine formperfekte Bedeutung zu. Die Männer unterhalten sich wirr, zwei ungleiche Kriegsveteranen, die den Krieg zwar überstanden haben, aber einer fundamentalen Einsamkeit aufsitzen, die sie in diesen kahlen Raum verfrachtet hat. „From the Drain“ als kinematografischer Baustein verschränkt andeutungsweise ein psychisches Verschwörungsszenario (vgl. auch „Scanners“), das, unter Berücksichtigung des Entstehungsjahres, allerdings unangenehm wie direkt politisch und angenehm tragikomisch die Rehabilitation nach dem Krieg finster entstellt. Nicht die horrorhaften Monsterranken oder der nahintensive Abfluss repräsentieren Gleichnisse unterdrückter Panik in diesem „surrealist sketch“ (Cronenberg), sondern dieses Lächeln, ein meuchelwilliges, entzücktes, fiebriges Lächeln der Protagonisten, Empfindungen denn Individuen.

Ein alter Mann, Kinder und die Kamera. Abseits jener leitmotivischen Schlüsselzeile eines neuen Fleisches, die David Cronenberg im Laufe seines organischen, anatomisch geschlossenen Schaffens als absurde Schaltzentrale im Psychosomatischen und in der makabren Aufspaltung gewebehaltiger Formen verstand, theoretisiert sein Kurzfilm „Camera“ hingegen diese Bewusstseinszustände im Traum wie in der Wirklichkeit. Hochgradig vertraut erhält er die von der Kamera fixierte, eingefrorene Zeit. Der alte Mann („Videodrome“-Darsteller Leslie Carlson) muss mit einem lachenden und einem weinenden Auge zuschauen, wie er zum Hauptdarsteller wird, der zum Tode altert, obwohl er durch eine gleichfalls alternde Kamera jung bleibt. Eine vergleichsweise bittere Ironie: Das Kamerabild macht ihn für alle Generationen unsterblich, es macht ihn greifbar, es macht ihn unvergänglich, es macht ihn im Gegensatz zu Fotoaufzeichnungen lebendig und natürlich, aber gerade das um ihn herum, die aufgeregten Kinder, die die Kamera vor ihrem Märchenonkel postieren, wähnen sich im Heranwachsen, während ihre Hauptrolle die Vergänglichkeit des Moments erlebt. Zunächst etwas ängstlich, dann leise erwartungsfroh – denn er gesteht sich ein, dass die Kinder nichtsdestotrotz loslegen sollen. Am Ende sind alle aufgeregt, „Action!“, der Mann in einer verträumten 35-mm-Einstellung, warme Farben. Er lächelt schelmisch, seine Mundwinkel verziehen sich jedoch wieder, ängstlich, griesgrämig, vergänglich. Kino ist Freud und Leid.

Cronenberg träumt diesen für seine Verhältnisse allzu prachtvollen Traum mit. Auch wenn er sonst als einer gilt, der komplizierteste Zusammenwirkungen körperlicher Reize diagnostiziert und bändigt, indem er sie mikroskopisch seziert, entflammt in „Camera“ ein praktisch märchenhaftes Wechselbewandtnis zwischen Intimität und Distanz, zwischen Weiche und Härte und Neugier und Anstand. Die Kamera, ein hüllenloses, tattriges Gespenst, das wir in zweifacher Weise „spüren“, betatscht Leslie Carlsons wettergegerbte Züge, lichtet Fleisch- und Augenpartien ab, scannt den seitlichen Teil des Kopfes, lässt aber dennoch einen Restfunken Privatsphäre zu, sobald sich das technologische (Schreck-)Gespenst entfernt und das Geschehen objektiviert. Die „Infizierung“ Film, von der gesprochen wird, ist keine körperliche Infizierung, wie sie in „Shivers“, „Rabit“ und „Die Fliege“ auftaucht, sondern eine mentale wie in „Dead Zone“, „Die Unzertrennlichen“ und „Spider“. „Camera“ behandelt einen ebenfalls natürlichen, sachten und selbstreflexiven Mutationsprozess, dem Cronenberg mit der flauschigen Ruhe eines gelehrsamen, verständnisvollen Zuhörers gegenübertritt. Dieser indirekte Tod des alten Mannes nach der Aufregung des Bevorstehenden – je mehr er Rollen spielt, desto unerbittlicher schrumpft sein Ich – ist beileibe nicht ein absoluter, ekelerregender, ausgeschmückter. Vielmehr ein utopischer, humanistischer, transzendenter, um eine neue Erkenntnisphase zu überschreiten – die des Akzeptierens der Macht einer Fleisch wie Wille aufweichenden Kameralinse als Spiegel in unsere Welt.

Meinungen

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