Wo sich in Rob Zombies „The Lords of Salem“ beim letztjährigen Fantasy Filmfest noch Priester masturbierend die Dildos in vollkommener Synchronisation rieben, lockt nun Scarlett Johansson als Sirene in Jonathan Glazers „Under the Skin“ den Mann in seinen erigierten Abgrund. Doch freilich wartet noch wesentlich mehr Sonderbares auf ein Publikum, welches sich seit 1987 von Genres um Horror, Sci-Fi und Fantasy bedienen ließ, die ansonsten eher gewagt-sprödes Randpotenzial für ängstliche Verleiher boten. So giert dieses Festival der (Zitat) „Fear Good Movies“ nach den Psychopathen der Gesellschaft, den Aussätzigen, den blutleeren und auch den in der Verwandlung überaus haarigen Leibern, den okkulten Sagen und abtrünnigen Kerlen mit Axt in der Hand und Visage à la Marilyn Manson. Ebenso jedoch zeigt es das nicht Klassifizierbare: so wie Pablo Bergers retroeske Schwarz-Weiß-Schneewittchen-Hommage „Blancanieves“, die 2013 den Fresh Blood Award für das beste Debüt holte.
Weil die Freude am Leben und Sterben nicht rein in Gore, Splatter und der Groteske wie ein Nagel in den Sarg festgehalten werden kann (dazu jedoch trotzdem eine Empfehlung: Jemaine Clements und Taika Cohens amüsante Mockumentary „5 Zimmer Küche Sarg – What We Do in the Shadows“), stiehlt sich auch immer wieder romantisches Verzücken hinein. In Ragnar Bragasons „Metalhead“ versucht ein Mädchen daher das Trauma um den plötzlichen Tod ihres Bruders durch einen Mähdrescher zu überwinden – mit Heavy Metal im Kuhstall. Das ist schüchtern-milchiges Kino aus Island mit Argwohn und viel Befreiung. Auch, da es sich nicht einzwängen lässt in eine genaustens abgewogene Sparte, die einige andere Beiträge des Fantasy Filmfest lieber vorziehen. Negativ ist dies keineswegs: Wo sonst sehen wir schließlich noch wahre Genre-Perlen (gerade im Kino), zu denen energisch applaudiert werden kann? Dieses Jahr meint dies insbesondere Jeremy Saulniers „Blue Ruin“ und Jim Mickles „Cold in July“ (Motiv: Rache), David Robert Mitchells „It Follows“ (Motiv: Sex-Tripper), Alejandro Hidalgos „The House at the End of Time“ (Motiv: böses Haus) und ebenso Marjane Satrapis „The Voices“ (Motiv: labiler Psycho).
Wenn ein Festival allerdings schon mit David Michôds „The Rover“ als Eröffnungsfilm einsteigt, so kann wahrscheinlich ohnehin nicht mehr allzu viel schieflaufen. Zuzüglich eines Frauenanteilsschubs durch Robert Pattinson. Auch nicht schlecht.
Das 28. Fantasy Filmfest findet vom 27. August bis 21. September 2014 in insgesamt sieben deutschen Städten statt. Diese werden wie folgt bespielt:
- Berlin (27. August bis 7. September)
- Frankfurt (28. August bis 8. September)
- Stuttgart (3. bis 14. September)
- Nürnberg (3. bis 14. September)
- München (8. bis 19. September)
- Hamburg (8. bis 19. September)
- Köln (10. bis 21. September)
Natürlich rotieren auch wir: heuer sogar in zwei Städten – Hamburg und München – mit gehörig Blutlust, Fast-Food-Fetisch und einem Bärenhunger auf nackte Leiber (besonders jenen von Shailene Woodley in Gregg Arakis „White Bird in a Blizzard“). Rinjehaun!
Überblick
5 Zimmer Küche Sarg
Jemaine Clement, Neuseeland (2014)
Zum Anbeißen: Jemaine Clements und Taika Waititis Mockumentary über eine Vampir-WG ist ein großer Spaß.
All Cheerleaders Die
Lucky McKee, USA (2013)
Kalte Lustgrotte vs. heiße Blutorgie: Pansch um die letzte Bastion des Horror-Genres. Lucky McKee amüsiert wieder.
Beneath
Ben Ketai, USA (2013)
Apocalypse Now Redux: Ein vorexerziertes Minenunglück dient für Ben Ketai als banales Fegefeier der Eitelkeiten.
Coherence
James Ward Byrkit, USA (2013)
Quantenphysikalischer Gegenentwurf: Nichts mit Shane Carruth. James Ward Byrkit interessiert lediglich der Rumpf aller Logik.
Cold in July
Jim Mickle, USA (2014)
Blutgericht in Texas: Ein spannender Southern noir über den Tod im Affekt mit Michael C. Hall in der Hauptrolle.
Der Babadook
Jennifer Kent, Australien (2014)
You can’t get rid of the Babadook: Die Australierin Jennifer Kent lehrt uns ein stark gefilmtes, cleveres Genre-Gruseln.
Der Tod weint rote Tränen
Hélène Cattet, Belgien (2013)
Ein Wagnis zwischen Genre-Offenbarung und Kritiker-Freiwild: Hélène Cattet und Bruno Forzani üben den Frontalangriff auf den Zuschauer.
Honeymoon
Leigh Janiak, USA (2014)
Süße und Zerfall: Leigh Janiak blickt in die Honigwaben der Verzweiflung, die ein junges Paar befallen.
Housebound
Gerard Johnstone, Neuseeland (2014)
Spuk im Hobbitland: Ein amüsanter Staubwedel aus dem Reich der Kiwis treibt den Mief aus den Genrekatakomben.
It Follows
David Robert Mitchell, USA (2014)
Sex sells: David Robert Mitchell lässt die Geister und Dämonen tanzen. Besser aber, wer immer prüde bleibt.
Metalhead
Ragnar Bragason, Island (2013)
Blühe auf, schwarze Seele! Aus einem Leben zwischen gesellschaftlicher Enge und tobender Anarchie.
Nurse
Douglas Aarniokoski, USA (2013)
Basic Instinct für Anfänger: Mit Strapse tötet Paz de la Huerta als Krankenschwester leichthin jeden Ständer.
Oculus
Mike Flanagan, USA (2013)
Fideralala: Der Spiegel des Bösen kreucht und fleucht aus Mike Flanagans okkulter Perspektivchatule.
Open Windows
Nacho Vigalondo, Spanien (2014)
Zum Camwhoring gezwungen: Eine spannende Tour durch den High- Concept-Raster der mobilen Vernetzung und Demütigung.
R100 – Härter ist besser
Hitoshi Matsumoto, Japan (2013)
Exklusive Perversitäten: Ein Film über das Verständnis für fremde Spezialitäten, der sich auch nicht selbst erklärt.
The Mule
Tony Mahony, Australien (2014)
Eine beschissene Situation: Klingt wie eine Komödie, ist aber ein kleines Kammerspiel. Durchaus interessant und eigenwillig.
The Rover
David Michôd, Australien (2014)
Ein Paar, das sich nicht lieben können wird: David Michôd rückt der Nachwelt auf die Pelle in einem arglistig stillen Film. Mit Robert Pattinson.
The Voices
Marjane Satrapi, USA (2014)
Pow Pow: Hund und Katze sprechen sich einen Wolf. Marjane Satrapi lässt dennoch morden.
Under the Skin
Jonathan Glazer, Großbritannien (2013)
Kakophonie der Sinne: Jonathan Glazer definiert die und das Fremde als Missverständnis dieser Welt.
Wer – Das Biest in Dir
William Brent Bell, USA (2013)
Wolfman deluxe: Wenn es bei William Brent Bell spritzt, dann platzt das Fleisch in CGI.
Wie ein weißer Vogel im Schneesturm
Gregg Araki, Frankreich (2014)
Die verschwundene Mutter: Leise rieselt der Schnee auf die Ungewissheit der verzerrten Pubertät.
WolfCop
Lowell Dean, Kanada (2014)
So geht Kult! Ein pelziger Gesetzeshüter eilt zur Rettung des Trash-Genres herbei. Das wurde aber auch Zeit.
Wrong Cops
Quentin Dupieux, USA (2013)
Ernüchternde Absurdität: Wenn Anarchos auf Patrouille gehen. Nicht mal so verrückt wie in echt, ehrlich gesagt.
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