Es ist ein Spiel mit Licht, es ist ein Spiel mit Gesten; es ist ein Spiel mit Ton, es ist ein Spiel mit Sprache. Zuvorderst aber ist es ein Spiel mit der Wahrnehmung aus dem Fremden heraus, aus den Augen eines Wesens, das nur scheinbar dem Typus Frau und nur scheinbar der Spezies Homo sapiens entspricht. Auch das Medium Film will hier nicht konkret passen, zumindest, wenn Film eine starre, narrative Komponente anhaften sollte, welche nicht zwingend linear, aber doch zwingend explorativ entwickelt wird und aus den Sorgen seiner Protagonisten auch Lösungen formuliert. „Under the Skin“ friert stattdessen ein, was mit Leben addiert und Verständnis multipliziert werden könnte. Weil Regisseur Jonathan Glazer seinen dritten Spielfilm als Konzeptkunst kreiert, fegt minimalistische Akribie durch seine Staffage aus Weiß und später Schwarz in das Auge eines außerkörperlichen Geistes. Darin unterwirft auch Scarlett Johansson sich als eben jene Extraterrestrische einer Hülle. Aber zunächst wimmelt es von Punkten, Kreisen, Ellipsen und einem Planeten, der sich ins Leben stürzt, damit ein Alien die Augen eines Menschen öffnet. Die Leinwand blitzt in dieser Geburt noch, bis sie folgend immer wieder in Schwärze versinkt. Wie auch die Männer, deren Erektionen einen Tod in Stimulation vorsehen.

Eben der Tod öffnete auch Glazers Vorgänger „Birth“ über eine Witwe, die in einem zehnjährigen Jungen die Reinkarnation ihres verstorbenen Ehemannes vermutet. Die Interieurs wagten dort noch zu funkeln, wo sie jetzt leerstehen und in ihrem beinahe schwerelosen Raum ohne Wand, aber mit wahrlich doppeltem Boden ein Geschlecht aufsaugen. Selbst die Ex­te­ri­eurs wirken entsättigt, leer, distanziert, so wie Glazer sie und die Menschen in ihnen über versteckte Handkameras ausmacht. Es ist die bizarrste und gleichsam beeindruckendste Szene, als die Frau den Mann in die Dunkelheit zieht, die Kleider nach und nach fallen, die Frau einen Schritt zurück und der Mann einen Schritt vor wagt. Es ist ein Spiel, auch hier wieder. Denn der Mann läuft in das Netz der schwarzen Witwe, einem Meer in Schwarz und kleinsten, helleren Punkten. Wo er staunen könnte, ist er nur minder irritiert. Weil in „Under the Skin“ niemand ausspricht, was vor sich geht, da niemals etwas vor sich zu gehen scheint, schweigt jeder. Die Sprache ist nur ein eigenwilliges Instrument für das Fremde in der Welt. Wobei das Fremde den Anzug des Menschen überstreift und darunter zutage tritt, was der Mensch selbst sein könnte: nichts weiter als schwarze Masse, die einer festen Form unabhängig ist. Die scheinbare Frau bezirzt den Mann mit wenigen, äußerst banalen Worten. Wie sie an einen Ort komme, der keine Rolle spielt; ob er sie hübsch finde, in ihr Gefährt einsteigen, sie anfassen möchte. Da Glazer seine fulminante Szene gleich dreimal mit minimalen Abstufungen wiederholt, entgleitet ihm jedoch auch der Film. Die Repetition führt nicht unweigerlich zu Verständnis. Besonders nicht, wenn keine logische Kausalkette im Fokus steht.

Während die Sirene (wahlweise aus James Joyce’ „Ulysses“ oder Franz Kafkas „Das Schweigen der Sirenen“, was nochmals für Doppeldeutigkeiten sorgt) im Düsterwald Schottlands Mann für Mann mit List lockt, transformiert sie sich von der Fremden in bekannter Hülle zu einer seltsamen Metamorphose aus dem Fremden und Bekannten. Plötzlich adaptiert sie Riten der menschlichen Spezies, obwohl ihr das Essen aus dem Körper schießt und der Sex Beklemmung auslöst. Eine Identifikationsfigur aber wird sie nie. Dafür regt auch Scarlett Johansson zu wenig an den Fragen, die „Under the Skin“ bei aller Sprachlosigkeit lose aus dem Roman Michel Fabers (hierzulande unter dem Titel „Die Weltenwanderin“ erschienen) zieht. Wobei sie kein stilisiertes Sexobjekt ist, da der Film fast gänzlich entsexualisiert scheint. Wenn das Wesen aus dunklen Augen und prall-roten Lolitalippen ihren Gesang ausstößt, funktioniert der Lockruf nicht mit Mimik, nicht mit Emotion, nicht mit Interesse dem Individuum gegenüber (sofern es das hier überhaupt gibt), sondern aus einer Aufgabe heraus, die Glazer nicht beantworten möchte. Es lässt seinen Film zu etwas Scheinheiligem werden, wie er seinen Szenarien Motive unterwirft – einmal schreit ein Kind in fürchterlichen Lauten, während seine Eltern in den Fluten der schottischen Küste ertrinken –, sich diese aber niemals entwickeln oder aus mehr als reiner Künstlichkeit funktionieren. Freilich euphorisiert „Under the Skin“ dadurch gleichermaßen, wie er demotiviert. Allein Mica Levis (auch bekannt als Micachu) dissonantes Schwelgen im Tremolo ihrer Streicher kreiert eine somnambule Entwicklung in das Atonale und Hypnotische. Der Score vollführt, zu was das Narrativ nur schwer fähig ist.

Jonathan Glazer denkt Science-Fiction lieber aus dem Andersartigen: graziös, eigenwillig, sensibel, vage. „Under the Skin“ nimmt die Leere des Daseins und spinnt daraus ein Produkt dieser existenziellen Sinnsuche, indem es weder das Fremde, noch das Bekannte eindeutig tituliert und beides einem Wandel unterzieht. Jonathan Glazer will sagen: Der moderne Homo sapiens ist sich der Sprache so fremd und dem Trieb so eigen geworden, dass er nicht mehr unterscheiden kann, was Mensch ist und Mensch zukünftig sein könnte. Auch, wenn seine Demontage zu wirr, eigen, inkohärent und schleppend bleibt, wabert etwas aus dieser schwarzen, schmierigen Suppe, das eher den Charakter einer ungestümen Installation denn eines Films trägt. Ein Film für die Sinne, für Augen und Ohren. Aber vielleicht wohl weniger für Herz und Verstand. Es bleibt ein abstrahierter Film noir über die Ängste der Neuzeit, die schon Stanley Kubrick verstand abzubilden.

Meinungen

Teile uns deine Meinung zu „Under the Skin“ mit. Die Angabe eines Namens, einer korrekten E-Mail-Adresse sowie der Kommentartext sind verpflichtend. Alle Meinungen werden moderiert.

Kinostart: 14.09.2017

Mr. Long

In seiner neunten Berlinale-Teilnahme schickt Sabu Rindersuppen in den Wettbewerb.

Kinostart: 27.07.2017

Django

Étienne Comars Debüt eröffnet mit einem Porträt über Django Reinhardt die 67. Berlinale.

Kinostart: 06.04.2017

Tiger Girl

Jakob Lass’ dritter Langfilm zeigt erneut befreites, deutsches Kino basierend auf einem Skelettbuch.

Kinostart: 09.03.2017

Wilde Maus

Josef Haders Debüt als Regisseur ist ein harmloser Film über Kommunikation und Schnee.

Mr. Long

Sabu, Japan (2017)

Zerbrochene Leben und einstürzende Neubauten: In seiner neunten Berlinale-Teilnahme schickt Sabu Rindersuppen in den Wettbewerb.

Wilde Maus

Josef Hader, Österreich (2017)

Selbstmord durch gefrorenes Wasser: Josef Haders Debüt als Regisseur ist ein harmloser Film über Kommunikation und Schnee.

Occidental

Neïl Beloufa, Frankreich (2017)

Italiener trinken keine Cola! Neïl Beloufa verzettelt sich in seinem chaotisch-absurden Kammerspiel-Debüt.

Tiger Girl

Jakob Lass, Deutschland (2017)

Freiheit durch Reduktion: Jakob Lass’ dritter Langfilm zeigt erneut befreites, deutsches Kino basierend auf einem Skelettbuch.