Sebastián Silvas „Magic, Magic“ erzählt von einer jungen Frau und dem Moment, als die Angst endgültig ihre Welt befällt, wie Luis Buñuel in „Ein andalusischer Hund“ zunächst von einer anderen Frau erzählt, als eine Rasierklinge ihren Augapfel spaltet. Immer aber spüren sie beide – so zeitversetzt die Filme mit ihren 84 Jahren Abstand auch wirken mögen – der Psyche einer Frau nach, welche durch unglückliche Verstrickungen ihrem wahren Schicksal übergeben wird. Für Buñuel war es noch nur ein beinahe sachlicher Schachzug entlang der damaligen Hysterie gegen das Surreale und Subversive. Für Sebastián Silva bedeutet es die Konventionen eines Publikums zu spalten, wie Buñuel damals den Augapfel spaltete. „Magic, Magic“ meint den Horror in ein langsam immer wirreres Spiel mit den Albträumen der Seele zu deuten, bis kein Genre seine Reise mehr eindeutig erklärt und selbst das Okkulte merkwürdig grauenerregend in den Tod tanzt. Hier wird der Tag zur Nacht, Freunde zu Fremden, Fremde zu Sadisten, der Kopf zur Fata Morgana und Schlaf zu einer Illusion, die zuerst notwendig und später besser umgangen werden sollte. Aber das Schöne ist eben auch: Ganz so äußerst eindeutig führt Silva sein Publikum nicht an den Halluzinationen herum. Weil es um die Identifikation geht, die den Schrecken im inneren Auge belässt.

Wie passend, als Alicia (Juno Temple) da auf der Autofahrt zu einer idyllisch entlegenen Insel in Chile die zukünftige Höllenodyssee einleitet, indem sie Cab Calloways „Minnie the Moocher“ in den CD-Spieler steckt und dieser sich sogleich an dem eigensinnigen Jazzklassiker von 1929 verschluckt. Scat in Endlosrotation. Sinnlose Vokale, originell verwobene Silben, frei, improvisiert, ein böses Omen. Denn „Minnie the Moocher“ basiert nicht nur musikalisch und textlich auf Frankie Jaxons drogeninduziertem Trip „Willie the Weeper“, er meint die Abhängigkeit wortwörtlich, die auch Sebastián Silva hier später in den hypnotischen Tönen seiner Bildgestalter Christopher Doyle und Glenn Kaplan von Taupe nach Zyan einbettet. Das Unheilvolle kommt vielleicht in Opium und Kokain, vielleicht aber auch nicht. Der Traum, von dem Jaxon singt, der kommt vielleicht, vielleicht aber auch nicht. Willie, der Schornsteinfeger, liebt das Rauschgift und träumt sich in seine Fantasien, pokert mit dem Herzen Kleopatras und mit dem Geld von Präsidenten. Am Ende heißt es allerdings noch: „Some day a pill too many he’ll take; and dreaming he’s dead, he’ll forget to wake.“ Im Nachhinein sperrt diese Deutung Sebastián Silvas mittlerweile fünften Spielfilm noch weiter auf, obwohl er doch unkonkret und herrlich wage bleibt. Um in „Magic, Magic“ und seiner betörenden Länge und Langsamkeit baden zu gehen, ist nur der Bezug zu Alicia vonnöten. Allein in Juno Temples ängstlich-wütendem Spiel liegt etwas Wundersames verborgen, das sehr viel früher vielleicht noch Catherine Deneuve als Carole Ledoux in Roman Polanskis „Ekel“ finden konnte. Der ist für Silva ohnehin tatkräftige Anleitung.

Diese Alicia wandert wie Deneuves Carole labil durch die Welt. Sie zuckt mal wie ein junges, einsames Reh zusammen, wenn ihr Umfeld ihre Unsicherheit aufgreift oder sogar benutzt, mal stößt sie mit ihrer Faust zu, wenn ihr vermeintlicher Schrecken überhandnimmt. Um ihre Cousine Sarah (Emily Browning) zu besuchen, überwindet sie erstmals die Grenzen Amerikas. Doch Sarah überlässt Alicia kurz nach deren Ankunft flugs ihren drei Freunden, die sich manchmal konsequent weigern, Englisch zu sprechen und Alicia dafür in einem Schwall Spanisch ertränken. Das eher komödiantisch-anstrengende Komplementärstück „Crystal Fairy & the Magical Cactus“ spielt ebenso mit der Ignoranz des amerikanischen Denkens in der Fremde, welches sich auch in dem hier wiederkehrenden Michael Cera als sexualisierter Sonderling Brink offenbart. Der Provokateur stößt das Tor für Alicias Hysterie erst auf. Was folgt ist ein mentaler Ausnahmezustand, dem die letzte depressive Demontage à la Polanski verloren geht, weil er nach der Suspense an seiner eigenen pragmatischen Psychologisierung zu unschlüssig und sogar irritierend reagiert. Der endgültige Weg des Publikums in die Protagonistin lässt Silva ins Leere laufen wie auch zuvor viele Stränge, in denen Natur und Tierwelt mit dem Seelenfrieden und der Seelenpein Alicias kollidieren. Dafür lösen sich die drei Freunde Sarahs wunderbar aus einer allzu starren Charakterisierung. Sie könnten jederzeit Freund oder Feind sein. Oder beides zugleich.

Aber Magie, auch filmische Magie, lässt sich nicht grundsätzlich im Realen verorten, sie entsteht im Fiktiven und Unsichtbaren. So treibt auch Sebastián Silva in seine Protagonistin, bis von ihr nichts Körperliches mehr in dieser Welt zu finden ist. Damit endet „Magic, Magic“: mit der Freiheit, wo zuvor nur Beklemmung regierte. Ein bittersüßes Mahnmal über die Angst, wo auch immer sie herkommen mag. Vielleicht aber ist sie und die Psychose nur Traum. Aber schließlich sieht man laut Jean Paul nach einem bösen Traum, „welchen Stoff zu einer Hölle ein bloßes Gehirn in sich aufbewahrt.“ Hi De Hi De Hi De Hi! Magie, Magie!

Meinungen

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