Gregg Arakis neuestes Werk „Wie ein weißer Vogel im Schneesturm“ ist vielleicht sein bis dato normalster, sprich konventionell aufgebautester Film – was natürlich nicht heißen soll, dass er seinem bekannten, lieb gewonnenen Stil und den oft wiederkehrenden Themen seines jahrelangen Schaffens untreu geworden ist. Stattdessen inszeniert er scheinbar recht originalgetreu, nach einer Romanvorlage von Laura Kasischke, ein überwiegend entspanntes und doch tief gehendes Coming-of-Age-Portrait – im malerischen Zeitkolorit des achtziger-Jahre-Suburban-Americanas – von der Highschool-Schülerin Kat Connor (Shailene Woodley), welche innerhalb der Schwelle zum Erwachsensein zwischen 1988 und 1991 in verschiedenen Stadien mit dem mysteriösen Verschwinden ihrer Mutter Eve (Eva Green) umgehen muss. Zunächst scheint Kat als gängiger Teenager, der in der Pubertät am liebsten keinen Input von den Eltern mehr empfangen will; einigermaßen abgeklärt und gleichgültig der Tatsache gegenüber, dass das weibliche Familienoberhaupt unangekündigt von der Bildfläche gewandert ist. Sie hat es nämlich auch ein gutes Stück weit kommen sehen, wie wir in meist schwelgerischen, doch unter der glühenden Oberfläche schnell zersetzenden Rückblenden des Familienlebens der Connors ebenso mitkriegen, stets unterstützt vom kompromisslosen Voiceover Kats.
„I was 17 when my mother disappeared“ ist der bestimmende Kanon des Films, welcher Stück für Stück vermittelt, wie Kat das absteigende Verhalten und die Sexualität ihrer Mutter im Verlauf der Jahre reflektiert hat und sich dahin gehend auf einen eigenen Weg machen musste, was sie mit ihrem aufblühenden, adoleszenten Körper anstellen würde – da kommt die Ungewissheit trotz der nachvollziehbaren Pro-Aktivität ihrerseits nicht von ungefähr, wenn man die dysfunktionale Situation der Connors bedenkt. Kat sieht diese vielleicht noch als seit jeher gegeben an, doch in mehrmals wiederkommenden Träumen, Besuchen bei der Psychiaterin (Angela Bassett) und den Spekulationen ihrer Freunde wird sie allmählich mit den Gewissensbissen des Verlustes und dem Drang nach Aufklärung konfrontiert, speziell im Angesicht mit ihrem verzweifelten Vater Brock (Christopher Meloni), der trotz seiner schüchternen Nettigkeiten nie so ganz von Eve ernst genommen, sogar gehasst wurde. Mit ihm sympathisiert man am meisten im Film, doch auch so ziemlich jeder andere Charakter wird mehr oder weniger ebenso empathisch aufgebaut – als (nicht ganz objektiver) Beobachter steht Kat natürlich als führende Identifikationsfigur im Fokus, doch speziell die Figuren der Eltern entfalten in ihren zurückgehaltenen Geheimnissen und unerfüllten Sehnsüchten um sie herum die stärkste Fallhöhe.
Aber Regisseur Araki belässt es nicht bei der schlichten Aufklärung des Mysteriums und weiß stattdessen immer noch, den ungehemmten Zeitgeist jugendlicher Schön- und Unbekümmertheit zwischen Schule, Synthpop (unter anderem von Depeche Mode, New Order und The Cure) und Sex einzufangen. Ob Kat nun mit dem drollig-planlosen Phil (Shiloh Fernandez) rummacht oder mit ihrer Clique durch den einzigen New-Wave-Club ihres Kaffs zieht: Die Inszenierung bleibt mit ruhiger, genüsslicher Hand auf Augenhöhe und glänzt in einem Licht, das alle Farben und Gesichter ausgelassen zur Geltung bringt, kontrastiert mit der starren, distanzierten Tristesse des Unaufgeklärten, die den Haushalt der zerrissenen Familie plagt und auch sehr oft Vater und Tochter an den jeweiligen Bildrändern hinsichtlich der fehlenden Mitte entgegensetzt. Diese Anspannung schreit eigentlich regelrecht nach Auflösung und schließlich sammeln sich so einige Hinweise und Vermutungen an (offenbar hatte Eve eine Affäre, versuchte jedenfalls auffällig, sich aufreizend zu verjüngen). Doch Kat übt sich im verhaltenen Verdrängen, glaubt an ein eventuelles Wiedersehen und konzentriert sich eher darauf, das anstehende College-Leben zu meistern – aber natürlich nagt die Geschichte an ihr, unlösbar mit dieser ohnehin schon schwierigen Umbruchsphase ihrer Jugend verbunden. Ihr Wesen kann ohne den genauen Verbleib des Vorbildes Mutter (wie krass es sich auch immer ausgegeben hat) einfach nicht vollständig sein und so eskaliert mit steter Bitterkeit die schier unausweichliche Aufklärung des familiären Dramas, mit welchem letztendlich so viele Faktoren ihres Erwachsenwerdens schockierend, aber sinnig aufgebaut zusammenhängen.
Abgesehen von dieser tragischen Entwicklung, die in den finalen Minuten des Films für gehörig Charakter-fokussierten Herzschmerz beim Zuschauer sorgt, macht Araki aber ebenso Luft für sarkastischen und herzlichen Humor, für joviale Respektlosigkeit (mit haltlosem Einsatz des wunderbar-hingerotzten Fucks) sowie für ein aufregendes, vielfältiges Ensemble, das sich selber keine Grenzen setzt und speziell in puncto Eva Green eine geballte Ladung herrlichen Wahnsinns aufschämen lässt (ganz zu schweigen von der omnipräsenten Erotik – ohne die wäre es auch schlicht kein Araki-Film). Es ist pures filmisch-fesselndes Gold, auch in der teils rauschhaften Aufarbeitung des nostalgischen Settings und dessen immer leicht geheimnisvoller Atmosphäre – welche aber nie overstated wirkt oder in extreme Absurditäten ausfällt, sondern im Gegenteil meist bodenständig bleibt und mit leichtfüßiger Konsequenz die Charaktere einfach in ihr erleben lässt. Natürlich auch mit deren Wunsch zum Träumen; aber eben wohl kaum mit der ausgelassenen Anarchie eines „Nowhere“ oder „Kaboom!“, wie man es von Araki sonst gewohnt ist. Von daher dürfte dieser neue Film von ihm für den geneigten Zuschauer etwas weniger überwältigend ausfallen, geht er doch angesichts seiner potenziell aufregenden Ausgangselemente in Cast und Story recht gemächlich und behutsam zugange. Nichtsdestotrotz gelingt ihm abseits von krasser Provokation in dieser Konstellation wieder eine intime, engagierte Beobachtung und Verinnerlichung menschlich-psychologischer Höhen und Tiefen jedes Alters und Geschlechts. Und ist dementsprechend auch für alle geeignet – diese freimütige und doch wahrhaftige Jugend-Geschichte.
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