Durch sein 2007 entstandenes Remake des Carpenter-Klassikers „Halloween“ und seine zwei Jahre darauf folgende Fortsetzung „Halloween II“ erklomm Rob Zombie einen sehr zwiespältigen Ruf: Klassiker-Freunde und kategorische Remake-Verweigerer stempelten Zombie bereits bei der ersten Verlautbarung einer Neuauflage des so gefeierten Horror-Klassikers aus dem Jahre 1978 als Nonsens-Regisseur ab, obwohl er einige Jahre zuvor mit seinen ersten Genreversuchen „Haus der 1000 Leichen“ und „The Devil’s Reject“ in gewisser Weise das Genre modernisieren konnte. Zombies Videoclip-Ästhetik schreitet der im 21. Jahrhundert so allgegenwärtigen Verunglimpfung des Horror-Genres subversiv als auch neuartig entgegen. Während Regisseure wie Ti West das Genre weiterhin durch Stil prägende Elemente am Leben erhalten, gelingt es Zombie durch seinen ganz eigenen Stil den Horror neu zu definieren. Gemäldeartig prognostiziert er den menschlichen Abgrund nicht als philosophische Kontur, sondern als Verderben.

In dem 40000-Seelen-Dorf Salem an der Ostküste von Massachusetts gibt es nicht viel zu erleben. Einzig der lokale Radiosender mit DJ Heidi Hawthrone (Sheri Moon Zombie) als Moderatorin sorgt für Unterhaltung. Als eines Tages eine eigenartige Schallplatte am Empfang des Radiosenders für sie abgegeben wird, ändert sich das Leben für Heidi, denn die Band „The Lords of Salem“ haben nicht den Fokus auf ihr musikalisches Schaffen, sondern vielmehr auf ihre okkulten Rituale gelegt, die die Stadt Salem seit Jahrhunderten begleiten.

Die sich fast schon kindisch ausbreitende Geschichte ist, so viel sei gesagt, mehr als der Versuch eines Regisseurs einen „intimeren Film“ zu drehen. Mit derselben Ausrede kam auch dieses Jahr Michael Bay und setzte uns „Pain & Gain“ vor. Aber Rob Zombie versteht sein Handwerk in seiner künstlerischen Relevanz und erklimmt mit „The Lords of Salem“ den, zumindest vorzeitigen, künstlerischen Höhepunkt, den er eigentlich zuvor erst mit seiner „Halloween“-Fortsetzung erreicht hatte. Doch der Hexenspuk geht einen Schritt weiter: Anstatt sich auf einer festen Vorlage zu beruhen, subversiert Zombie sein eigenes Schaffen. Eine gerade Linie in der Geschichte ist ihm vollkommen egal, er lässt seine Protagonistin einfach von ihrer eigenen Angst treiben und wird dabei mit sich selbst konfrontiert. Albträume, die ein haariges Biest zeigen, während Heidi selbst vor einem LED-ausgeleuchteten Kreuz steht. Der hypnotische und leere Blick, der schief gelegte Kopf und das beständige Brummen des Soundtracks im Hintergrund verführen den Zuschauer als auch den Protagonisten in ein rot gefärbtes Teufelshaus.

Trotz der eigenständigen Inszenierung und der Herangehensweise an die Geschichte bedient sich Zombie beinahe verbeugend bekannten Elementen der Horror-Geschichte. Die durch Ti West immer populärer werdende Rückbesinnung an klassische Teile des Kinos nutzt auch Zombie in „The Lords of Salem“. Hervorstechend sind die groß angelegten Ruhemomente, besonders im ersten Teil des Films. Gemächlich schreitet Sheri Moon Zombie durch den Film, verfällt ihrer Paranoia und Visionen, bis sie schlussendlich in einem – für Horrorfilme typischen – großen Schlag endet. Aber der Weg dorthin ist für Zombie eher neuartig. Seine exzentrische Verspieltheit eines „Haus der 1000 Leichen“ ist nur noch sekundär von Relevanz.

Deutlich gradliniger und fixierter lässt Zombie einen religiösen Horror aufleben: die christliche Absonderlichkeit der Hexenjagd als reale Manifestation der menschlichen Angst. Fast schon naturell führt Zombie seine Protagonistin durch labyrinthartige Bilder und Szenen, die Verlorenheit des eigenen Ichs so wunderbar personifizierend und durch Verzerrungen doch klassisch-distanziert lassend. Denn wenn Sheri Moon Zombie mit leerem Blick in die Kamera schaut und die roten Kolorierungen der Bilder im Hintergrund verstörend aufleben, verzerren die Ansätze des okkulten Horrors beinahe als Persiflage und sind ein Kontrast zu den Rückblenden, in denen alte, sabbernde Hexen ihren Ritualen nachgehen.
Die größte Angst generiert sich zumeist durch die nackten Hexen, die mit quälenden Grimassen winselnd und schreiend am Boden kriechen. Dieser werkimmanente Bruch von der ruhigen Akzentuierung in der Gegenwart zu den Sabberhexen ist ein sehr aus der Reihe tanzendes Stilmittel zur Perfektionierung der Absonderlichkeiten.

Wenn sich Priester masturbierend die Dildos in vollkommener Synchronisation reiben, sind die Absurditäten keinerlei verformter Darstellung geschuldet, sondern ganz allein der sich immer weiter aufbauenden Katharsis der Protagonistin. Das im Hintergrund mehrmals zu sehende Mondgesicht aus Georges Méliès „Reise zum Mond“ steigert die kontextualen Absurditäten ins Unerreichte und suggeriert dennoch eine unheilvolle Planlosigkeit, die sich durch die visuelle Aussagekraft auslebt. Denn trotz der scheinbaren Vernarrtheit Rob Zombies in das Hinterteil seiner Frau Sheri Moon Zombie gelingt es Kameramann Brandon Trost durch groß angelegte Zooms und Fischaugenobjektive eine Distanz als angespannter Zuschauer zu schlagen, die dem Film jederzeit zugutekommt. Natürlich vernarrt sich Zombie hier wieder bewusst der visuellen Schlagfertigkeit des traditionellen Horrorkinos, denn seine eigene Distanz hat er im Laufe immer mehr verloren. Seine eigene Inszenierung, so unausgeglichen wie auch teilweise planlos, ist nun einer eigenen subversiven Kraft gewichen, die in „The Lords of Salem“ stärker als jemals zuvor hervortritt.

Unheilvoll, eigenartig, skurril und bizarr: Rob Zombie ging mit „The Lords of Salem“ einen sehr mannigfaltigen Weg. Bei weitem nicht so gut wie „Halloween II“ und auch nicht so wunderbar eigen wie „Haus der 1000 Leichen“, aber dennoch sein künstlerisch anspruchsvollster, weil interessantester Film. Oft verliert Zombie den Blick für seinen Film aber nicht, zu viel will er aber dennoch. Es ist fast so wie das große Finale, als Sheri Moon Zombie am Boden windend dabei ist, des Teufels Brut zu gebären und der Schalk mit dem ehemaligen White-Zombie-Frontmann durchgeht: Der gemäldeartige Horror wird endgültig zum Exzess und macht aus dem Horrorfilm beinahe eine Farce, auf Messerschneide gerade noch den Spagat zwischen kausaler Lächerlichkeit und Stil prägender Hommage an den 70er-Jahre-Okkulthorror schaffend.

Meinungen

Teile uns deine Meinung zu „The Lords of Salem“ mit. Die Angabe eines Namens, einer korrekten E-Mail-Adresse sowie der Kommentartext sind verpflichtend. Alle Meinungen werden moderiert.

Kinostart: 14.09.2017

Mr. Long

In seiner neunten Berlinale-Teilnahme schickt Sabu Rindersuppen in den Wettbewerb.

Kinostart: 27.07.2017

Django

Étienne Comars Debüt eröffnet mit einem Porträt über Django Reinhardt die 67. Berlinale.

Kinostart: 06.04.2017

Tiger Girl

Jakob Lass’ dritter Langfilm zeigt erneut befreites, deutsches Kino basierend auf einem Skelettbuch.

Kinostart: 09.03.2017

Wilde Maus

Josef Haders Debüt als Regisseur ist ein harmloser Film über Kommunikation und Schnee.

Mr. Long

Sabu, Japan (2017)

Zerbrochene Leben und einstürzende Neubauten: In seiner neunten Berlinale-Teilnahme schickt Sabu Rindersuppen in den Wettbewerb.

Wilde Maus

Josef Hader, Österreich (2017)

Selbstmord durch gefrorenes Wasser: Josef Haders Debüt als Regisseur ist ein harmloser Film über Kommunikation und Schnee.

Occidental

Neïl Beloufa, Frankreich (2017)

Italiener trinken keine Cola! Neïl Beloufa verzettelt sich in seinem chaotisch-absurden Kammerspiel-Debüt.

Tiger Girl

Jakob Lass, Deutschland (2017)

Freiheit durch Reduktion: Jakob Lass’ dritter Langfilm zeigt erneut befreites, deutsches Kino basierend auf einem Skelettbuch.